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ACM-Mitteilungen vom 13. August 2016

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Liebe Leserin, lieber Leser,

wir bekommen vermehrt Anfragen zu Anträgen auf eine Ausnahmerlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis für den eigenen medizinischen Bedarf durch die Bundesopiumstelle. Das Bundesverwaltungsgericht

hatte die Bundesopiumsstelle am 06. April 2016 (BVerwG 3 C 10.14) verpflichtet, solche Anträge nicht mehr grundsätzlich abzulehnen.

Ein Anbauantrag ist mit einigen Erfordernissen bzw. Auflagen verbunden, darunter eine ausreichende Sicherung der Pflanzen in allen Stadien des Anbaus, der Trocknung und der Lagerung sowie der Nachweis einer ausreichenden Sachkunde der für das Betäubungsmittel (Cannabis) verantwortlichen Person. Bei Michael F. ist das Bundesverwaltungsgericht von einer ausreichenden Sachkunde ausgegangen, da er seit mehr als 2 Jahrzehnten Cannabis selbst anbaut.

Dies mag auch für einige andere Patienten zutreffen. Andere Antragsteller werden jedoch Probleme haben, eine ausreichende Sachkunde nachzuweisen. Deshalb hat sich innerhalb der ACM eine Arbeitsgruppe gebildet, die einen Workshop zu diesem Thema anbieten will. Zudem konnten wir bereits Tjalling Erkelens, Geschäftsführer des niederländischen Unternehmens Bedrocan, als Referenten im Rahmen eines solchen Workshops gewinnen. Ich möchte alle Patienten, die einen Eigenanbau anstreben und auf eine entsprechende Anleitung durch die ACM warten, bitten, sich in Geduld zu üben. Wir wollen diese Sache gut vorbereiten und da geht Sorgfalt vor Schnelligkeit. Wir halten die Leser der ACM-Mitteilungen zu diesem Thema auf dem Laufenden. Da die Bundesopiumstelle den Antragstellern eine Frist gesetzt hat (meistens bis Ende September), um offene Fragen zum Thema Sicherung, Sachkunde, ärztliche Begleitung der Selbsttherapie bei einem Eigenanbau, etc. zu beantworten, wird es notwendig sein, dass viele Patienten eine Fristverlängerung beantragen.

Wer ausreichende Sicherungsmaßnahmen vornehmen kann und auch der Auffassung ist, über eine ausreichende Sachkunde zu verfügen, kann natürlich vorher diese Fragen beantworten.

Die Sprecherin des SCM, Gabriele Gebhardt, hat eine Online-Umfrage zu Apotheken, die Cannabisblüten im Rahmen einer Ausnahmeerlaubnis abgeben, gestartet. Darin geht es darum zu erfahren, ob eine Apotheke damit einverstanden ist, dass ihre Kontaktdaten an andere Patienten, die eine entsprechende Apotheke suchen, weitergegeben werden oder nicht. Einige Apotheker haben sich darüber beschwert, dass ihre Kontaktdaten ungefragt weitergegeben wurden, während andere Apotheken sehr gern weitere Patienten mit Cannabisblüten versorgen. Zudem werden in der Umfrage die Preise für Cannabisblüten in der jeweiligen Apotheke abgefragt. Die mit der Umfrage gewonnenen Erkenntnisse können sowohl den Apothekern als auch den Patienten nutzen. Sie erlauben Apotheken, auch mit Blick auf die in der Zukunft weiter deutlich zunehmende Verwendung von Cannabisblüten in diesem Bereich zu expandieren. Sie erlauben mehr Patienten, von günstigen Preisen zu profitieren.

Abschließend noch eine unerfreuliche Nachricht. Das Landessozialgericht in Essen hat das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf, durch das eine gesetzliche Krankenkasse zur Kostenübernahme für Cannabisblüten im Rahmen einer Ausnahmeerlaubnis gezwungen werde, aufgehoben. Die Urteilsbegründung ist uns noch nicht bekannt.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Workshop für Ärzte: Cannabis und Cannabinoide in der Medizin

Am Immanuel Krankenhaus der Charité Berlin führt Dr. Franjo Grotenhermen am 18. November 2016 einen halbtägigen Workshop für Fachberufe im Gesundheitswesen durch. Die Zertifizierung als Weiterbildungsmaßnahme ist beantragt. Falls andere Krankenhäuser ebenfalls an der Durchführung eines solchen Workshops interessiert sind, können sie sich gern bei der ACM melden (info@cannabis-med.org).

Fachvortrag: Cannabis und Cannabinoide in der Medizin

Der praxisorientierte Workshop mit Dr. med. Franjo Grotenhermen, Experte für Therapien mit Cannabinoidmedikamenten, richtet sich primär an Ärztinnen und Ärzte sowie andere medizinische Fachberufe, für die Therapien mit Cannabis und Cannabinoiden klinische Relevanz besitzen. Themen sind unter anderem die Pharmakologie der Cannabinoide, die Sicherheit von Cannabisbasierten Medikamenten und deren praktische Anwendung, Cannabiskonsumstörungen und einen Überblick über geplante Gesetzesänderungen.

Aus gesundheitlichen Gründen kann der Referent nicht persönlich vor Ort sein und wird via Beamer und Audiotechnik live und interaktiv hinzugeschaltet. Der Workshop ist von der Ärztekammer Berlin mit 5 Punkten CME-zertifiziert.

Inhalt des Workshops

Geschichte der medizinischen Cannabisverwendung

Die historische Perspektive der medizinischen Cannabisverwendung; die Wirkungen der Cannabispolitik auf die Forschung und die Entwicklung von Medikamenten; die Bedeutung der späten Entdeckung der chemischen Struktur der Cannabinoide für den Status von Cannabis-basierten edikamenten innerhalb der vergangenen 100 Jahre

Botanik von Cannabis sativa

Grundzüge der Botanik der Hanfpflanze; pflanzenbasierte Produktion von Cannabis-basierten Medikamenten; genetische und phänotypische Unterschiede verschiedener Sorten

Biologie des Endocannabinoidsystems

Identität, Lokalisierung und funktionelle Charakteristika von Cannabinoidrezeptoren und Endocannabinoiden; Endocannabinoidsynthese und -abbau; Wirkungsmechanismen und die Rolle der Endocannabinoide in der normalen Physiologie

Pharmakologie der Cannabinoide

Klinische Pharmakologie (Absorption, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung) der Cannabinoide; mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Indikationen für Cannabisbasierte Medikamente

Übersicht über bisher erforschte Indikationen für die Verwendung von Cannabis-basierten Medikamenten; therapeutisches Potenzial bei weiteren Indikationen

Sicherheit von Cannabisbasierten Medikamenten

Nebenwirkungen der akuten und chronischen Verwendung von Cannabisprodukten; mögliche Unterschiede zwischen dem Freizeitkonsum und der medizinischen Verwendung; absolute und relative Kontraindikationen

Cannabiskonsumstörungen

Cannabiskonsumstörungen (Missbrauch, schädlicher Gebrauch Abhängigkeit) nach ICD-10 sowie DSM-IV und DSM-V

Rechtliche Grundlage für die Verwendung von Cannabis-basierten Medikamenten in Deutschland

Rechtliche Grundlage für die Verwendung von Medikamenten auf Cannabisbasis (Sativex, Dronabinol, Nabilon) sowie von Cannabisblüten aus der Apotheke in Deutschland

Praktische Anwendung von Cannabismedikamenten

Verschreibung von Medikamenten auf Cannabisbasis; Unterstützung von Patienten bei einer Ausnahmeerlaubnis für die Verwendung von Cannabisblüten; Kostenerstattung durch die Krankenkassen

Geplante Gesetzesänderungen

Geplante Änderungen hinsichtlich der Verwendung von Cannabisblüten; Änderungen bei der Kostenübernahme von Cannabis-basierten Medikamenten; Einrichtung einer Cannabisagentur und geplanter Anbau von Cannabis in Deutschland

Der Referent

Seit 1997 ist Dr. med. Franjo Grotenhermen Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. (ACM) und seit 2000 Geschäftsführer der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM). Seine ärztliche Praxistätigkeit hat den Schwerpunkt der Therapie mit Cannabinoidmedikamenten. Zudem ist er Autor einer Vielzahl von Publikationen zum therapeutischen Potenzial und der Pharmakologie von Cannabisprodukten.

Teilnahmevoraussetzungen

Ausübung eines medizinischen Heilberufs (oder im Studium zu einem solchen befindlich)

Presseschau: Bittere Medizin für Big Pharma (Infosperber)

Die Legalisierung von Cannabis für medizinische Zwecke in etwa der Hälfte der Staaten der USA hat dazu geführt, dass die Verschreibung von Standardmedikamenten abgenommen und sich dadurch der Umsatz für pharmazeutische Unternehmen reduziert hat.

Bittere Medizin für Big Pharma

Cannabismedikamente reduzieren den Schmerzmittelverbrauch, zeigt eine US-Studie. Der Pharmaindustrie schmeckt das gar nicht.

Über die Legalisierung von Cannabis wird international seit Jahrzehnten gestritten. Mal waren die berauschenden Blüten erlaubt, mal verboten, in einigen Ländern befinden sie sich rechtlich sogar in einer Kategorie mit harten Drogen wie Heroin.

Doch die medizinische Wirkung von Cannabis wird immer breiter anerkannt. In der Schweiz ist die Behandlung mit dem Cannabis-Wirkstoff THC in Sonderfällen erlaubt. Wer Cannabis als Tinktur oder Öl zu sich nehmen will, braucht aber nicht nur ein Rezept vom Arzt, sondern auch eine Genehmigung des Bundesamtes für Gesundheit.

Eine Studie mit deutlichen Resultaten

Anders in den USA: In derzeit 25 Bundesstaaten ist der therapeutische Einsatz von Cannabis erlaubt. Ein Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin der University of Georgia haben nun Daten analysiert, die die Auswirkung der Legalisierung auf den Medikamentenverbrauch in den betreffenden Staaten aufzeigen, berichtet die «Washington Post».

In allen 17 untersuchten Staaten, schreiben die Autoren, verschrieben Ärzte von 2010 bis 2013 deutlich weniger Medikamente als vor der Legalisierung: Ein durchschnittlicher Arzt verschrieb pro Jahr 265 Dosen weniger Antidepressiva, 486 Dosen weniger krampflösende Medikamente (Antikonvulsiva) und 1‘826 Einheiten weniger Schmerzmittel.

Cannabismedikamente sorgen bei bestimmten Krankheiten für einen deutlichen Rückgang von Verschreibungen anderer Medikamente.

Bei Krankheiten, für deren Behandlung Cannabis nicht relevant ist, hatten sich die verschriebenen Mengen im gleichen Zeitraum nicht verändert. «Ein deutlicher Beweis, dass die Veränderung auf die Legalisierung von Cannabis zurückzuführen ist», sagen Ashley und W. David Bradford. «Die Resultate zeigen auch, dass Patientinnen und Patienten Cannabis als Medikament nutzen und nicht nur zur Freizeitgestaltung.»

Der staatlichen Krankenversicherung Medicare, bei der ältere Bürger der USA ab 65 Jahren pflichtversichert sind, habe das in den 17 untersuchten Staaten im Jahr 2013 rund 165 Millionen Dollar gespart, rechneten die Forscher vor. Medicare-Daten bildeten auch die Basis für die Berechnung des Forscherteams, was ein Kritikpunkt an der Studie ist: Sie bildet nicht den Gesamtbedarf der US-Bevölkerung ab. Allerdings nehmen ältere Menschen am häufigsten dauerhaft Schmerzmittel und Psychopharmaka ein.

Umsatzrückgang für die konventionelle Pharmaindustrie

Was die beiden Wissenschaftler herausgefunden haben, dürfte der Pharmaindustrie Kopfzerbrechen bereiten. Viele Pharmaunternehmen wollten keine Umsatzeinbussen in Kauf nehmen und wehrten sich deshalb vehement gegen eine Legalisierung von Cannabis. Pharmafirmen unterstützten auch Anti-Cannabis-Gruppen wie die Community Anti-Drug Coalitions of America (CADCA) oder Wissenschaftler, die sich gegen die medizinische Verwendung aussprechen.

Auch auf Ebene der US-Bundesstaaten wird Einfluss genommen, um zu verhindern, dass weitere US-Gliedstaaten Cannabis legalisieren. Auf Bundesebene stellte das amerikanische Gesundheitsministerium HHS vor einigen Monaten bei der Drogenkontrollbehörde DEA (Drug Enforcement Administration) den Antrag, Cannabis und dessen Wirkstoff THC von der höchsten Drogen-Gefahrenklasse «Schedule 1» in eine niedrigere einzugruppieren.

Diese bisherige Klassifizierung verbietet die Forschung und den Anbau von natürlichem Cannabis. Dafür ist eine spezielle Erlaubnis der DEA nötig. Bisher gebe es eine einzige Lizenz für den Anbau, beschreibt der Antrag. Das sei zu wenig. Im vergangenen Jahr habe die DEA auch nur zwei Forschungslizenzen für Wissenschaftler ausgestellt. Einzelne Bundesstaaten, welche Cannabis legalisiert haben, wenden die Bundesvorschriften allerdings nicht an.

Das Drug Scheduling der US-Behörden

Die US-Behörde DEA (Drug Enforcement Administration) teilt Substanzen nach dem Controlled Substance Act (CSA) in fünf verschiedene Klassen ein. Die ersten drei sind:

Schedule I: (illegale) Drogen mit hohem Abhängigkeitspotential, deren medizinische Nutzung verboten ist, beispielsweise Heroin, LSD, Ecstasy, Cannabis, THC.

Schedule II: Substanzen mit hohem Missbrauchspotential in Konzentration von weniger als 15 Milligramm wie Kokain, MDMA, Oxycodon, Methadon, Fentanyl und Ritalin.

Schedule III: Substanzen mit mittlerem oder niedrigem Missbrauchspotential in Konzentrationen von weniger als 90 Milligramm, zum Beispiel Tylenol (Markenname für Paracetamol) in Verbindung mit Codein, Ketamine, anabole Steroide, Testosteron.

Verwirrend ist, dass Cannabis in der nationalen Gesetzgebung per se als illegal gehandhabt wird. Die abweichende Gesetzgebung der einzelnen Staaten wird von der DEA jedoch toleriert.

Das Missbrauchspotential eines offenen Cannabisanbaus sei zu hoch, lautete eine Einsprache. Geschrieben wurde sie ausgerechnet von «INSYS Therapeutics», einer Pharmafirma, die den Cannabis-Wirkstoff THC synthetisch herstellt. Das Gesuch der HHS wurde von der DEA kommentarlos abgelehnt.

Cannabis gegen den Tod auf Rezept

Eine fast wichtigere Rolle spielen andere Fakten. Der Wirkstoff THC bietet gegenüber konventionellen Medikamenten einige Vorteile: Cannabis hat weniger Nebenwirkungen als starke Schmerzmittel und die Gefahr einer Überdosierung besteht kaum. Jedoch, darauf weisen Wissenschaftler hin, sind noch sind nicht alle Neben- und Langzeitwirkungen bekannt. Es gibt jedoch starke Argumente, eine therapeutische Nutzung zu erlauben.

Eine Studie, die 2014 von einem anderen Forscherteam vorgestellt wurde, analysierte Daten aller 50 US-Staaten aus den Jahren 1999 bis 2010 und kam zu einem anderen aufsehenerregenden Ergebnis. Während fünf bis sechs Jahren nach der Legalisierung von Cannabis als Therapeutikum hatte in den betreffenden Staaten die Anzahl der Todesfälle durch Medikamentenüberdosen stark abgenommen.

In den «Medical Marijuana States» war die Anzahl der Menschen, die an Überdosen von Opiumderivaten wie Morphin und Oxycodon gestorben waren während fünf bis sechs Jahren um 33 Prozent zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum vervielfachte sich die Zahl der Opioidopfer im Rest des Landes. 60 Prozent der Todesopfer hatten laut Reuters ein legales Rezept.

Selbst skeptische Ärzte äussern sich positiv über die Legalisierung

Der hohe Verbrauch von Schmerzmitteln ist ein drängendes Problem in den USA. Auch starke Schmerzmedikamente werden gerne und oft verschrieben. Ärzte versuchen diese Praxis mit vielen Mitteln einzudämmen. Selbst Ärzte, die sich skeptisch gegenüber einer therapeutischen Verwendung von Cannabis äussern, sehen sie diesbezüglich als Erfolg an.

«Alles, was wir bisher versucht haben, hatte keinen Effekt [zur Reduzierung des Schmerzmittelgebrauchs], ausser in den Staaten, in denen Cannabis zur medizinischen Verwendung freigegeben wurde», zitiert Reuters die Neurologin und Psychologin Marie J. Hayes von der University of Maine.

Presseschau: Hanfplantage im Gespräch (Stuttgarter Nachrichten)

Die Unterstützung Schwerkranker durch eine Erleichterung des Zugangs zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten bzw. Cannabis-basierten Medikamenten ist glücklicherweise in Deutschland heute nicht mehr eine Frage der Pateizugehörigkeit. In Baden-Württemberg regt Karin Maag, Bundestagsabgeordnete der CDU für den Wahlkreis Stuttgart II, einen Cannabisanbau für medizinische Zwecke am agrarwissenschaftlichen Standort an der Universität Stuttgart-Hohenheim an.

Hanfplantage im Gespräch

Die Stuttgarter CDU-Abgeordnete Maag regt Hohenheim als Produktionsort für Cannabis als Medizin an.

Die Leiden sind oft beschrieben worden und ein Wirkstoff aus Cannabis kann sie lindern. Etwa die eines Ingenieurs aus Bayern, der wegen eines genetischen Knochendefekts an den Rollstuhl gefesselt war und nach mehreren Knochentransplantationen und jahrelangem Konsum von starken Schmerzmitteln auf ärztlichen Rat hin erstmals Cannabis erhielt. Seitdem führt er ein fast normales Leben – dafür ist er finanziell ruiniert. Denn die derzeit 779 Patienten, die mit einer Ausnahmeerlaubnis der Bundesopiumstelle ein Cannabisextrakt aus medizinischen Gründen erhalten, müssen tief in die eigene Tasche greifen. Die Krankenkassen zahlen dafür nicht, was bei Kosten von 300 bis 500 Euro im Monat eine starke Belastung für viele ist. Ein unheilbar an Multipler Sklerose erkrankter Mann hat sogar vor Gericht erstritten, dass er aus Kostengründen das „Gras“ daheim anbauen darf.

„Die Kranken fühlen sich allein gelassen, das muss und wird sich ändern“, sagt Karin Maag (CDU), Stuttgarter Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss. Noch vor der Sommerpause hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einen Gesetzentwurf eingebracht, wonach vom nächsten Jahr an die Krankenversicherungen bei Schwerkranken die Kosten für Cannabis als Medizin übernehmen werden. Die Voraussetzung ist die ärztliche Verordnung eines Rezeptes, die aufwendige Beantragung bei der Bundesopiumstelle wird entfallen. Für den Anbau des Cannabis bringt Maag zudem die Universität Hohenheim ins Gespräch.

Hoffnung für Schmerzpatienten und bei Epilepsie

Krebspatienten mit starken Schmerzen, die Patienten auf den Palliativstationen der Krankenhäuser oder Eltern von Kindern, die an einer schweren Epilepsie leiden, hoffen auf das Gesetz. Auch wenn nach einer Chemotherapie Übelkeit und schwere Appetitlosigkeit auftritt, kann Cannabis helfen. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin geht davon aus, dass die sogenannten Cannbinoide bei 40 bis 50 verschiedenen Krankheiten eingesetzt werden können – darunter neurologische und psychiatrische Probleme sowie entzündliche Darmerkrankungen.

Dass der Entwurf von Minister Gröhe nach der Sommerpause vom Bundestag angenommen wird, davon geht die Abgeordnete Karin Maag aus: „Noch sehen einige in der CSU das Gesetz kritisch, aber da selbst die Drogenbeauftragte Marlene Mortler von der CSU ist und das Vorhaben gut findet, kann sie die Skeptiker in den eigenen Reihen sicher überzeugen. Es gibt strenge Regeln, die Missbrauch verhindern.“ Der Grundkonsens sei da, man schließe eine gesundheitspolitische Lücke.Spannender könnte die Frage der Vorgaben für die Herstellung und die Ausgabe von Cannabisarznei sein – sei es in Form von getrockneten Blüten oder als Extrakt. Noch wird der sogenannte Medizinalhanf aus den Niederlanden importiert Künftig soll eine staatliche Stelle den Anbau in Deutschland ausschreiben, den Bedarf ermitteln, die Qualität prüfen und die Belieferung von Großhändlern und Apotheken organisieren. Sie wird Cannabisagentur heißen und am Bundesinstitut für Arzneimittel angesiedelt sein. Schon seit der Vorstellung von Gröhes Plänen im Januar gehen in der Behörde fast täglich Anfragen von Landwirten, Privatleuten oder Firmen ein, die sich für den Anbau interessieren.

Anbau nur staatlich kontrolliert und vor Diebstahl geschützt

„Der Anbau wird staatlich kontrolliert sein, er muss mit gleich bleibender Qualität erfolgen, zum Beispiel darf der THC-Gehalt nicht schwanken“, sagt Karin Maag. Und der Anbau müsse vor Diebstahl geschützt sein. Sie selbst sieht den agrarwissenschaftlichen Standort an der Universität Stuttgart-Hohenheim „als prädestiniert“ für den Anbau von Medizinalhanf an. „Dort könnte ein kontrollierter Anbau garantiert werden, da habe ich Null Bedenken“, sagt Maag im Gespräch mit unserer Zeitung.

In Hohenheim hat man sich noch keine Gedanken über solch ein Ansinnen gemacht, da eine offizielle Anfrage oder Ausschreibung der Cannabis-Produktion ja noch nicht erfolgt sei, wie der Pressesprecher Dietmar Töpfer betont. Tatsache sei, dass in Hohenheim kleinere Versuchsfelder für sechs Sorten von proteinreichem Industriehanf bestehen, dessen Körner von Veganern bevorzugt werden. Aus ihnen können Öle und Fasern jedoch kein Haschisch gewonnen werden, da der THC-Gehalt viel zu niedrig ist. Die Universität besitzt 110 Hektar landwirtschaftliche Fläche, von denen im Wechsel ein Drittel für Versuche und zwei Drittel als herkömmliche Landwirtschaft genutzt werden. Bisher gibt es allerdings noch keinerlei Schätzungen darüber, wie vielen Personen der Medizinalhanf verschrieben wird und welche Mengen gebraucht werden.

Presseschau: Dravet-Syndrom Wenn Sommer keinen Spaß macht (Westfälische Nachrichten)

Die Westfälischen Nachrichten berichteten über den Einsatz von Cannabisprodukten beim Dravet-Syndrom, eine seltene Epilepsieform, an der Universitätsklinik Münster.

Dravet-Syndrom Wenn Sommer keinen Spaß macht

Noel sitzt auf der Couch. Er ist müde. Gleich werden ihm die Augen zufallen. Es ist Hochsommer, und der Zwölfjährige ist derzeit mit der Ferienfreizeit viel unterwegs – mal im Zoo, mal im Freibad. Seine Mutter Andrea weiß aber schon jetzt, am Nachmittag, dass es eine anstrengende Nacht wird. Noel wird nämlich einige epileptische Anfälle erleiden.

Schuld daran ist das Dravet-Syndrom – eine seltene und komplexe Krankheit, die bei Noel hauptsächlich zu Epilepsie führt, wenn seine Körpertemperatur ansteigt. Und während sich viele nach dieser Jahreszeit sehnen, würde Familie Döring aus Wettringen sie gerne aus dem Kalender streichen. Der Sommer macht ihr keinen Spaß.

Andrea Döring (36) will ihren Sohn trotz der vermehrten Anfälle in den Sommermonaten nicht hinter heruntergelassenen Jalousien einsperren. Die Krankheit soll das junge Leben nicht in diesem Ausmaß bestimmen. „Ich versuche sie in den Alltag zu integrieren“, sagt sie. Dass das schwierig ist, verhehlt sie nicht.

Die Alleinerziehende hat noch drei weitere Söhne (20, zehn und knapp zwei Jahre alt), und das Spektrum des Dravet-Syndroms ist groß. Es beeinflusst bei Noel auch die motorische und kognitive Entwicklung – sie verlangsamt sich in zunehmendem Maße und wird ihn voraussichtlich ein Leben lang zu einem Pflegefall machen. Je größer er wird, desto instabiler wird sein Bewegungsapparat, was Physiotherapie und Therapeutisches Reiten nicht auffangen können. Außerdem treten bei ihm erste Parkinson-Symptome auf.

Noel geht zu einer Förderschule für geistige Entwicklung. Dennoch hängt er sprachlich viele Jahre hinterher. Neben dem Anstieg der Körpertemperatur lösen auch das Baden sowie Freude und Emotionen die epileptischen Anfälle aus – etwa drei bis sieben große in der Woche, kleinere täglich. Seit zwölf Jahren.

Seinen ersten Anfall hatte Noel mit fünf Monaten, bei einem Infekt. Es folgten viele Besuche bei beschwichtigenden Ärzten und in Krankenhäusern, verschiedene und häufig falsche Medikamente, Verschlechterung von Motorik und Sprache, immer wieder Anfälle. „Mir war klar, dass etwas nicht stimmt“, blickt Andrea Döring zurück. Erst in der Neuropädiatrie des Uniklinikums Münster stellte Professor Gerhard Kurlemann die richtige Diagnose – Noel war da bereits zweieinhalb Jahre alt.

Behandlung mit Cannabis

In der Neuropädiatrie des Uniklinikums Münster bei Professor Gerhard Kurlemann ist Noel auch heute noch in Behandlung. Als eines der wenigen Kinder in Deutschland wird der Zwölfjährige mit Cannabis behandelt. Im August 2014 startete die Therapie und reduzierte die Anzahl der Anfälle. Nach einer Pause im Februar 2016 (zur Erholung der Rezeptoren im Gehirn) hat sich die Dosierung nun etwas geändert. Kurlemann setzt sich auch im Kampf mit der Krankenkasse für eine Fortsetzung ein. „Wegen der Kosten von 500 bis 700 Euro pro Monat ist es schwer, die Genehmigung zu bekommen“, sagte Kurlemann. Darüber hinaus ist das Image der Therapie nicht besonders gut. Dabei handele es sich um medizinisches Cannabis in einer genau ermittelten Dosierung, erläutert Kurlemann. Zurzeit betreue er 14 Kinder mit Epilepsie; vielfach gelingt es, Anfälle zu reduzieren. Dauerhaft anfallsfrei werden sie aber auch mit Cannabis nicht. Familie Döring wartet deshalb auf den Studien¬beginn eines neuen Medikamentes, für den Noel angemeldet wurde.

Andrea Döring erzählt die Geschichte ihres Sohnes und wirkt dabei aufgeräumt. „Ja, es war ein Schock damals. Und natürlich bin ich traurig, wenn es ihm schlecht geht“, sagt sie. „Aber ich frage mich nicht und habe das auch nie, warum es mich getroffen hat. Es ist so, wie es ist. Und Noel ist gut so, wie er ist“, ergänzt sie mit einem liebevollen Blick auf ihren Sohn. „Ich versuche, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen“, bekräftigt sie. So fahre Noel gerne Zug oder Bus. „Das machen wir häufig, steigen aus, unternehmen was und fahren zurück.“ Im Sommer bleiben sie dennoch häufig im Haus. „Da ist meine Kreativität gefragt“, sagt Andrea Döring und lacht.

Die Zukunft lässt sie auf sich zukommen – ohne langfristige Pläne. „Es gibt immer eine Lösung, einen Weg“, sagt Andrea Döring. Und hegt dann doch eine noch etwas ferne Hoffnung: dass ihr Sohn als Erwachsener ins Marienheim ziehen kann, eine Einrichtung mit Wohn- und Betreuungsangebot in Wettringen, nur ein paar Hundert Meter entfernt.

Noel ist mittlerweile auf der Couch eingeschlafen, während die Sonne durch die Jalousienritzen lugt. Familie Döring wartet auf den Herbst.

Presseschau: Für Schwerkranke: Cannabis auf Rezept (Bild.de)

Bild berichtete über die unterschiedliche Bewertung des geplanten Gesetzesvorhabens der Bundesregierung zur Verbesserung der Möglichkeiten einer Therapie mit Cannabisprodukten in der Ärzteschaft.

Für Schwerkranke: Cannabis auf Rezept

Cannabis als Heilmittel spaltet die Ärzteschaft

Die Psychiaterin Kirsten Müller-Vahl begrüßt die Pläne der Bundesregierung, Cannabis auf Rezept zu erlauben. Cannabis-basierte Medikamente könnten bei rund 50 Krankheiten beziehungsweise Symptomen helfen, sagte die Professorin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH): „Leider gibt es viel zu wenig Geld für die Forschung.“

Der Suchtmediziner Rainer Thomasius sieht Cannabis als Medikament kritisch. Unter anderem gebe es ein Psychose-Risiko, sagte der Kinder- und Jugendpsychiater vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Derzeit besitzen nach Auskunft der Bundes-Opiumstelle 779 Patienten eine Ausnahmeerlaubnis zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabis.

Sie haben mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Unter anderem gibt es Lieferengpässe, weil die Cannabisblüten aus Holland bezogen werden.

Die Gründung einer staatlichen Cannabis-Agentur in Deutschland soll Abhilfe schaffen.

Presseschau: Drogen auf Rezept: Staatliche Cannabis-Agentur geplant (tz München)

Auch die tz München berichtete über das geplante Gesetzesvorhaben der Bundesregierung, das sich einer breiten Unterstützung durch die Mitglieder des Deutschen Bundestags erfreut.

Drogen auf Rezept: Staatliche Cannabis-Agentur geplant

Cannabis auf Rezept - einige Ärzte befürworten diese Form Schmerztherapie. Doch die Patienten haben mit Hürden zu kämpfen. Eine staatliche Cannabis-Agentur könnte Abhilfe schaffen.

Ohne Cannabis wäre er längst blind und könnte vor Schmerzen nicht vor die Tür gehen, ist Bernd Vohwinkel überzeugt. Der Frührentner aus Duderstadt bei Göttingen inhaliert jeden Tag 3,0 bis 3,5 Gramm. Er ist einer von 779 Patienten bundesweit, die eine Ausnahmeerlaubnis zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabis besitzen.

Die Döschen mit den Hanfblüten bezieht sein Apotheker aus Holland. Aufgrund von Lieferengpässen muss Vohwinkel manchmal wochenlang auf das Medikament warten. „Wir Patienten werden dann quasi zum Schwarzmarkt und in die Illegalität gezwungen“, sagt der 56-Jährige, den die Augenkrankheit Glaukom, Hepatitis C und chronische Schulterschmerzen seit einem Unfall plagen.

Vohwinkel hat wie einige Leidensgenossen bei der Bundesopiumstelle einen Antrag auf Eigenanbau von Hanf gestellt, der wegen fehlender Sicherheitsvorkehrungen abgelehnt wurde. „Die verlangen eine Haustür wie in einer Apotheke, Gitter vor dem Badezimmerfenster, ein Fingerprint-Schloss und eine Überwachungskamera“, erzählt der frühere Kraftfahrer. „Dafür habe ich kein Geld.“ Schon jetzt sei er auf finanzielle Hilfe seiner Familie angewiesen, denn die Krankenkasse übernimmt die Cannabis-Kosten in Höhe von etwa 1300 Euro monatlich nicht.

Die Bundesregierung hat vor, schwerkranken Menschen demnächst den als illegale Droge eingestuften Stoff auf Rezept zu ermöglichen - ein entsprechender Gesetzentwurf ist auf dem Weg. „Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann“, sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). „Außerdem wollen wir eine Begleiterhebung auf den Weg bringen, um den medizinischen Nutzen genau zu erfassen.“

In vielen Ländern wie den USA oder Israel ist Cannabis als Medizin schon etabliert. Es wird zur Linderung der Nebenwirkungen von Chemotherapien, zur Appetitsteigerung bei HIV/Aids oder bei chronischen Schmerzen eingesetzt. In Deutschland ist Sativex das einzige zugelassene Präparat auf Cannabis-Basis. Es kann bei multiplen Spastiken an Patienten mit Multipler Sklerose verschrieben werden.

Kirsten Müller-Vahl erforscht an der Medizinischen Hochschule Hannover die Wirksamkeit von Cannabis bei der Nervenkrankheit Tourette-Syndrom, die mit Tics einhergeht. „In unserem Körper befindet sich ein weit verzweigtes Cannabinoid-System, dessen Stimulation zu vielfältigen Wirkungen führt“, sagt die Neurologin und Psychiaterin. „Deshalb könnten Cannabis-basierte Medikamente möglicherweise bei rund 50 Krankheiten beziehungsweise Symptomen helfen. Leider gibt es viel zu wenig Geld für die Forschung.“

Wer sich mit Cannabis nicht auskennt oder von eigenen Kiffererlebnissen ausgeht, denkt schnell, dass der Stoff auf die Patienten eine dämpfende, betäubende Wirkung hat oder aber high macht. Die Wirkung auf die Psyche ruft fast nur das THC (Tetrahydrocannabinol) hervor. Insgesamt enthält die Hanfpflanze aber mehr als 100 Cannabinoide sowie Hunderte weitere pflanzliche Stoffe. „Cannabis ist kein Wundermedikament“, sagt Müller-Vahl. Einigen Patienten helfe es nicht, sie berichteten von Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Das Suchtrisiko sei aber sehr gering.

Dass die Bundesregierung Cannabis auf Rezept ermöglichen will, findet die Professorin gut. „Die politische Umsetzung wird aber schwierig“, meint sie. Bisher dürfen die Patienten mit Ausnahmegenehmigung ihr Medizinalhanf nicht ins Ausland mitnehmen, können also nicht dorthin reisen. Dies soll sich mit dem neuen Gesetz ändern.

Der Entwurf sieht zudem die Gründung einer staatlichen Cannabis-Agentur vor. Zum Anbau von Cannabis als Arzneimittel soll es ein Ausschreibeverfahren geben. Im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gehen seit Veröffentlichung des Gesetzentwurfes täglich Anfragen zu dem Thema ein. „Die Anfragen stammen hauptsächlich von Einzelpersonen und Unternehmen aus den Bereichen Landwirtschaft beziehungsweise Obst- und Gemüsebau und von neu gegründeten Unternehmen“, sagt Behördensprecher Maik Pommer.

Wie viele Cannabis-Rezepte ausgestellt werden könnten, will das Bundesgesundheitsministerium nicht vorhersagen. Nicht alle Ärzte sind der Pflanze gegenüber positiv eingestellt. Der Psychiater Rainer Thomasius hält Cannabis für „kein besonders gutes Medikament“ und zählt dafür gleich eine Vielzahl an Gründen auf. „Wir wissen nicht, was die über 400 Wirkstoffe im Körper machen“, sagt der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zudem gebe es ein Psychose-Risiko. Die akuten Nebenwirkungen wie Schwindel oder euphorische Zustände könnten bei älteren Menschen zu Stürzen führen.

Davon kann Cannabis-Patient Bernd Vohwinkel nicht berichten. „Wenn ich das Zeug nehme, sehe ich keine bunten Farben und habe auch keine Ausfallerscheinungen“, betont der chronisch kranke Frührentner. „Im Gegenteil - ich kriege dadurch wieder Appetit und Antrieb.“ Vohwinkel hofft, dass es in Deutschland ein Umdenken gibt und Hanf aus der kriminellen Ecke geholt wird. „Ich kann nicht verstehen, dass sich so viele schwertun mit der Pflanze, die Jahrhunderte als Heilmittel und Medikament gebraucht wurde.“

Presseschau: Ein Molekül könnte Weg zu ALS-Medikament weisen (derStandard.at)

Der österreichische Standard berichtete über die Entwicklung eines Markers für CB2-Rezeptoren im Gehirn und damit verbundener möglicher diagnostischer und therapeutischer Potenziale.

Ein Molekül könnte Weg zu ALS-Medikament weisen

Schweizer Forscher entwickelten Marker, mit dem das Fortschreiten der Muskelkrankheit beobachtet werden kann

Bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) sterben nach und nach die Nervenzellen ab, mit denen die Muskeln gesteuert werden. Betroffene verlieren die Fähigkeit, sich zu bewegen. Eine neue Markersubstanz für bildgebende Verfahren könnte nicht nur bei der Erforschung der bisher unheilbaren Krankheit helfen, sondern auch den Weg zu Medikamenten weisen, wie Wissenschafter der Eidgenössische Technischen Hochschule Zürich (ETH) mitteilen.

Forschende der ETH Zürich haben gemeinsam mit Experten des Kantonsspitals St. Gallen und des Universitätsspitals Zürich einen sogenannten PET-Marker entwickelt, der es erlaubt, das Fortschreiten der Muskelkrankheit zu beobachten. Dieser Marker heftet sich an krankheitsspezifische Strukturen im Körper an und lässt sich per Positronen-Emissions-Tomografie (PET) abbilden.

Andockstelle für Cannabis

Die neue Markersubstanz lagert sich an einer Andockstelle für Cannabis-Inhaltsstoffe an, den Cannabinoid-Rezeptor 2, wie die ETH mitteilte. Dieser Rezeptor komme vor allem in entzündetem Nervengewebe vor, so auch im zentralen Nervensystem von ALS-Patienten. Das Fortschreiten der Krankheit ließe sich so per PET nachverfolgen.

Eine besondere Herausforderung war es, den PET-Marker so zu gestalten, dass er sich nur an diesen spezifischen Rezeptor bindet und nicht an den nahe verwandten Cannabinoid-Rezeptor 1, erklärt Studienleiter Simon Ametamey von der ETH. Der Rezeptor 1 kommt auch im Gehirn gesunder Menschen vor und vermittelt die schmerzlindernde und berauschende Wirkung von Cannabis.

Möglicher Grundstein für Medikamente

Klinische Studien beim Menschen stehen zwar noch aus, die Forschenden hoffen jedoch, dass die Markersubstanz helfen wird, ALS und vielleicht auch weitere Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder multiple Sklerose besser zu erforschen und zu verstehen. Auch diese neurodegenerativen Erkrankungen gehen mit einer Entzündung des Nervengewebes einher.

Die Markersubstanz kann aber nicht nur helfen, wichtiges Grundlagenwissen über diese Krankheiten zu schaffen. Sie könnte auch die Basis für neue Arzenimittel legen: Substanzen, die an den Cannabinoid-Rezeptor 2 binden, wirken im Körper entzündungshemmend. "Es wäre somit denkbar, verwandte Moleküle als Medikament in der Therapie von ALS einzusetzen", sagt Ametamey.

ALS rückte im Sommer 2014 durch die sogenannte "Ice Bucket Challenge" in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit: Dabei ging es darum, Geld für die Erforschung von ALS zu spenden oder sich einen Kübel Eiswasser über zu gießen. Zu den bekanntesten Betroffenen der Krankheit gehört Astrophysiker Stephen Hawking. In Österreich gibt es etwa 800 ALS-Patienten.

Das Letzte: Irrflug des Geyers

Der Organisator der Hanfparade Steffen Geyer kritisierte auf seiner Facebook-Seite die IACM, weil sie die heute stattfindende Hanfparade nicht angekündigt hat.

Steffen Geyer in facebook am 08. August 2016

„Liebe Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente (IACM).

Seit 20 Jahren setzt sich die Hanfparade für die Belange der CannabispatientInnen ein. Seit 20 Jahren widmen wir einen besonderen Bereich der Abschlusskundgebung dem Ziel, den Zugang zum Heilmittel Hanf zu erleichtern. Seit 20 Jahren bietet wir Ärzten und Betroffenen Raum am Mikrophon. In mehr als einem Dutzend Fällen haben wir (wie dies auch 2016 geplant ist) sogar extra eine Zwischenkundgebung vor dem Bundesgesundheitsministerium gemacht, auf der ÄrztInnen, Betroffene und ihre politischen VertreterInnen sprechen.

Nirgendwo sonst wird "euer" Anliegen derart prominent präsentiert. Keine andere Cannabismedizinveranstaltung erreicht mehr Menschen.

Dennoch sind euch unsere Bemühungen in den letzten 16 Jahren KEINE Zeile im Newsletter Wert gewesen? Noch nicht einmal zur Jubiläumsparade könnt ihr euch ne Erwähnung abringen? Ich erwarte ja gar keine kreativ-glühenden Aufrufe a'la Axel Junker. Eine kleine Terminankündigung hätte mich schon mit der Welt versöhnt... Aber so garnichts?

Schämt euch!“

Dazu Dr. Franjo Grotenhermen, Geschäftsführer der IACM

„Menschlich kann ich es verstehen, wenn jemand, der viel Zeit und Arbeit in die Organisation einer Veranstaltung, wie der Hanfparade, investiert hat, sich gekränkt fühlt, wenn eine von ihm als offensichtlich bedeutend angesehene Organisation diese Bemühungen nicht honoriert, um ihn mit der Welt zu versöhnen, wie er es formuliert. Politisch – und es geht um Politik und nicht um persönliche Befindlichkeiten – ist es mir jedoch unverständlich, wie jemand, der sich nur ein wenig in der Cannabispolitik auskennt, auf die Idee kommt, die IACM solle eine nationale Legalisierungsveranstaltung ankündigen.

Daher hier nicht nur für Herrn Geyer, sondern auch für andere, denen der folgende Sachverhalt nicht bewusst ist, eine kurze Einführung. Die IACM ist eine internationale wissenschaftliche Gesellschaft und befasst sich weder mit nationalen politischen Aktivitäten noch mit der Legalisierung von Cannabis. Wenn auf der Hanfparade oder anderen Legalisierungsveranstaltungen das Thema Cannabis als Medizin aufgegriffen wird, hat dies für die weitere Entwicklung der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten im Allgemeinen keine Relevanz. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Legalisierungsbewegung hat immer wieder versucht, das Leid der Patienten, denen eine wirksame Medizin vorenthalten wird, dieses himmelschreiende Unrecht, für andere Zwecke, nämlich die generelle Legalisierung zu instrumentalisieren. Es ist kein Geheimnis, dass für die meisten, die mit dem Slogan für „Hanf als Rohstoff, Medizin und Genussmittel“ durch die Straßen ziehen, der letzte Aspekt im Vordergrund steht. Denn es macht keinen Sinn, für Hanf als Rohstoff zu demonstrieren, da dies bereits Realität ist. Zudem hat das Thema Cannabis als Medizin mit dem Thema Cannabis als Genussmittel nichts zu tun. Wer das vermischt, hat vom Leid der Patienten keine Ahnung. Das ist sowohl der bundesrepublikanischen Bevölkerung – das zeigen Umfragen – als auch der Politik bewusst. Es sollte auch dem Organisator der Hanfparade bekannt sein.

Ich sage das im Bewusstsein, dass viele Patienten aufgrund unterschiedlicher Motive für eine generelle Legalisierung sind, und vielen in der Legalisierungsbewegung Aktiven und auch den auf der Hanfparade Demonstrierenden das Thema Cannabis als Medizin neben der Legalisierung für Cannabis als Freizeitdroge eine Herzensangelegenheit ist.“