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ACM-Mitteilungen von 5. August 2023

 Liebe Leserin, lieber Leser,

die Diskussion über Cannabis in Deutschland konzentriert sich heute auf die generelle Legalisierung. Als ACM und SCM versuchen wir, auch die Notwendigkeit bei der Verbesserung im medizinischen Bereich zu unterstreichen. Dabei stellen wir eine große Unterstützung in der Bundespolitik fest.

In diesem Newsletter finden sich die Stellungnahme der ACM zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für die Legalisierung von Cannabis sowie Hinweise auf andere Stellungnahmen.

Ein weiteres Thema treibt auch Patient:innen um, die Cannabis als Medizin verwenden: Werde ich bei der Teilnahme am Straßenverkehr von der Polizei, von den Führerscheinstellen und von den Begutachtungsstellen (MPU-Stellen) fair behandelt und nicht diskriminiert, also so behandelt, wie andere Patienten auch? Gegenwärtig ist das leider häufig nicht der Fall. So werden aus Facharbeitern Bezieher von Bürgergeld.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

 

Stellungnahme der ACM zum Entwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften

(Cannabisgesetz - CanG)

Zusammen mit anderen Verbänden hat die ACM eine Stellungnahme zum geplanten Gesetz, das die Verwendung von Cannabis in Deutschland legalisieren soll, abgegeben.

Hier Auszüge aus der Stellungnahme der ACM

I. Vorbemerkung

(...) Bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens hat die ACM gefordert, dass Patient:innen straffrei Cannabis für den eigenen Bedarf anbauen und sich zu Anbauvereinigungen zusammenschließen dürfen. Mit diesem Ziel wurde innerhalb der ACM von Patient:innen eine Patentvertretung, das SCM (Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin), gegründet. Das SCM stellt die mit Abstand größte Patientenvereinigung zum Thema Cannabis und Cannabinoide in Deutschland dar.

Im vorgelegten Entwurf vom 5. Juli 2023 wird eine Abgrenzung zwischen medizinischem und nicht-medizinischem Gebrauch von Cannabis vorgenommen. Diese ist dem Grunde nach richtig und sinnvoll, geht aber leider an der Realität vorbei, da das Cannabis als Medizin-Gesetz bis heute seinem Anspruch nicht gerecht geworden ist. Leider können bis heute nur wenige Patient:innen zu ihrem Arzt oder Ärztin gehen, um dort ein Rezept über ein cannabisbasiertes Medikament zulasten der GKV oder PKV zu erhalten, selbst wenn der behandelnde Arzt oder die Ärztin und Patient oder Patientin dies für sinnvoll und notwendig erachten. Gründe hierfür sind die oft ablehnende Haltung der Krankenkassen im Hinblick auf eine Kostenübernahme und die – leider berechtigte – Sorge der Ärzt:innen vor Regresszahlungen. Wie wir im nachfolgenden Kapitel zum Bedarf von Cannabis-Medikamenten deutlich machen werden, gibt es dadurch weiterhin trotz des Cannabis als Medizin Gesetzes eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Zahl der Patient:innen, die eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten benötigen, und der Zahl derer, die Zugang zu dieser Behandlung haben. Insbesondere besteht eine soziale Schieflage, da vermögende Patient:innen diese Hindernisse einfach umgehen können, indem sie sich privatärztlich ein Medikament auf Cannabisbasis verschreiben lassen und die Kosten selbst tragen.

Diese nach wie vor bestehenden Missstände werden viele weniger vermögende Patient:innen mangels Alternativen dazu zwingen, die eigentlich zum Freizeitkonsum von Cannabis geschaffenen Möglichkeiten zum Eigenanbau oder zum Zusammenschluss zu Anbauvereinigungen zu nutzen, da ihnen kein anderer legaler und finanzierbarer Zugang zu einem cannabisbasierten Medikament offensteht. Daher ist die Differenzierung zwischen medizinischem Cannabis einerseits und nicht-medizinischem Genuss-Cannabis andererseits zwar grundsätzlich wünschenswert, gegenwärtig jedoch eher theoretischer Natur und fern der Realität.

II. Mindestens 1,6 Millionen Bundesbürger:innen benötigen Cannabis
als Medizin

Um zu beurteilen, ob das bisherige Cannabis als Medizin-Gesetz ein Erfolg ist und welcher Weg noch vor uns liegt, damit alle Patient:innen, die Cannabis aus medizinischen Gründen benötigen, dieses auch erhalten, ist die Frage des Bedarfs von erheblicher Bedeutung: Wie hoch ist der Bedarf für cannabisbasierte Medikamente in Deutschland? Eine rationale Grundlage bieten konkrete Zahlen aus anderen Ländern. Bis vor wenigen Jahren konnte aufgrund der Entwicklungen in Kanada und Israel von mindestens 1 % der Bevölkerung ausgegangen werden, was mehr als 800.000 Bundesbürger:innen entspräche. Diese Zahl gilt heute aber als überholt. Nach den aktuellen Entwicklungen in den USA, Kanada und Israel muss von einem Bedarf von mindestens 2 % der deutschen Bevölkerung ausgegangen werden, entsprechend 1,6 Millionen Bundesbürger:innen.

Während in Israel gegenwärtig etwa 1,5 % der Bevölkerung einen legalen und kostengünstigen Zugang zu cannabisbasierten Medikamenten erhalten, mit weiter ungebrochen steigender Tendenz, sind es in Deutschland auch nach 5 Jahren Cannabis als Medizin-Gesetz weniger als 0,2 %. Die Zahl von 1,5 % der israelischen Bürger:innen wurde nach offiziellen Angaben im Jahr 2022 überschritten.

Schätzungen in den USA gingen bereits 2018 davon aus, dass etwa 3,5 Millionen US-Patient:innen einen legalen Zugang zu Cannabis hatten. Seither hat die Zahl der Staaten mit einem entsprechenden Programm für medizinisches Cannabis sowie die Zahl der Staaten mit einer generellen Legalisierung weiter zugenommen. Wie die Webseite PROCON.org bereits 2018 feststellte, durften in einigen Staaten schon 2018 zwischen etwa 1 und 4 % der Bevölkerung Cannabis aus medizinischen Gründen legal nutzen. Zu diesen Staaten zählten Arizona (2,3 %), Kalifornien (2,3 %), Colorado (1,5 %), Hawaii (1,4 %), Maine (3,8 %), Michigan (2,7 %), Montana (2,4 %), Neumexiko (2,5 %), Oregon (1,1 %) und Washington (1,1 %).

Die Zahlen haben in den vergangenen Jahren in einigen US-Staaten weiter zugenommen. In einigen anderen Staaten haben die offiziellen Zahlen der Gesundheitsministerien nach der generellen Legalisierung jedoch abgenommen, weil Patient:innen sich offenbar nicht mehr kostenpflichtig als Patient:innen registriert haben, sondern Quellen aus dem legalen Freizeitmarkt verwendet haben, um an ihre Medizin zu gelangen. Das gilt beispielsweise für Colorado und Oregon. Auch in Kanada nahm die Zahl der offiziell registrierten Cannabispatient:innen nach der generellen Legalisierung im Jahr 2018 ab.

Sollte das Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) so verabschiedet werden wie geplant, so ist auch in Deutschland eine ähnliche (Fehl-)Entwicklung zu befürchten. Patient:innen werden den für sie dann (leider) einfacheren und zielführenderen Weg wählen, sich selbst zu therapieren und Cannabis entweder selber anbauen oder in einer Anbauvereinigung kaufen. Mehr noch: es ist sogar zu befürchten, dass Ärzt:innen ihre Patient:innen an Anbauvereinigungen verweisen, um den – in vielen Indikationen nur selten erfolgreichen - hohen bürokratischen Aufwand für eine cannabisbasierte Therapie zu Lasten der GKV zu vermeiden.             

III. Zusammenfassung

Der ACM-Vorstand würde sich Veränderungen des MedCanG in einer Weise wünschen, die es ihm erlauben würden, sich mit den nicht-medizinischen Teilen des CanG gar nicht befassen zu müssen. Solche Veränderungen sind jedoch weder vorgesehen noch absehbar.

Der ACM-Vorstand begrüßt daher die Pläne der Bundesregierung zur Ermöglichung des Eigenanbaus von Cannabis allein oder gemeinsam in einer Anbauvereinigung. Viele Patient:innen, die gegenwärtig und zukünftig nicht durch das Gesundheitssystem versorgt werden, jedoch nach der Einschätzung ihres behandelnden Arztes oder ihrer behandelnden Ärztin eine solche Therapie benötigen, haben auf diese Weise eine weitere Option, legalen Zugang zu Cannabis zu erhalten bzw. aus der Illegalität herauszukommen und nicht länger strafrechtlich verfolgt zu werden.

Wir sehen allerdings erhebliche Gefahren, die mit einer Verdrängung von Patient:innen in den Freizeitmarkt und die damit zwangsläufig einhergehende Selbsttherapie verbunden sind. Die ACM ist der Auffassung, dass eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten ärztlich verordnet und überwacht – und nicht in Form einer Selbsttherapie -  durchgeführt werden sollte.

Die ACM fordert daher deutliche Nachbesserungen im Cannabis als Medizin-Gesetz aus dem Jahr 2017 durch das neue MedCanG. Dies betrifft (1) die Beschränkung der Kostenübernahme auf schwerwiegende Erkrankungen, (2) die Anforderung, dass vor einer Therapie mit Cannabis-Medikamenten andere Therapien mit einem ungünstigeren langfristigen Risiko-Nutzen-Profil durchgeführt werden müssen, sowie (3) den Nachweis einer nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf Linderung einer spezifischen Symptomatik in Form von klinischen Daten.

Die ACM fordert bei den geplanten Möglichkeiten zum Eigenanbau, den spezifischen Belangen von Patient:innen Rechnung zu tragen. Dazu zählen insbesondere eine bedarfsgerechte Versorgung, die im Einzelfall über die im Gesetzentwurf vorgesehenen Mengenbegrenzungen hinausgehen kann sowie die Möglichkeit der Teilnahme am Straßenverkehr für Cannabispatient:innen, soweit der medizinische Bedarf durch eine entsprechende ärztliche Bescheinigung begründet und die Selbsttherapie ärztlich begleitet wird, so wie dies zwischen 2007 und 2017 im Rahmen der ärztlich begleiteten Selbsttherapie nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz bereits der Fall war.

Wir gehen an dieser Stelle ausdrücklich nicht ausführlich auf den nicht medizinischen Teil des CanG ein, da uns bekannt ist, dass dies andere Verbände tun wie etwa der Deutsche Hanfverband und der Bundesverband Cannabiswirtschaft.

IV. Grundsätzliche Position der ACM zum CanG

Die Position der ACM umfasst 4 Elemente:

1. Wir nehmen den Entwurf des CanG bzw. CanAnbauG grundsätzlich positiv auf, da diese auch zur Entkriminalisierung von Patient:innen beitragen können. Die Einschränkung des Eigenanbaus oder die Gründung von Anbauvereinigungen auf nicht-medizinische Zwecke, lehnen wir ab. Eigenanbau und Anbauvereinigungen wird es auch von Patient:innen geben.

2. Wir befürchten, dass die neu geschaffenen Optionen mit möglichen Risiken für die medizinische Versorgung von Patient:innen verbunden sind. Erfahrungen aus anderen Ländern haben gezeigt, dass die medizinische Verwendung von Cannabis nach der Umsetzung einer generellen Legalisierung von Cannabis für Erwachsene zurückgeht.

3. Um den spezifischen Belangen von Patient:innen gerecht zu werden, fordert die ACM Anpassungen des Gesetzentwurfes für diese Personengruppe im CanG. Allerdings ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob nicht Anpassungen etwa hinsichtlich der maximalen Menge, die Bundesbürger:innen nach dem neuen Gesetz besitzen dürfen, oder hinsichtlich von Abstandsgeboten sinnvoll und erforderlich sind, damit das Gesetz nicht zu bürokratisch und lebensnaher gestaltet wird.

4. Wir begrüßen grundsätzlich Verbesserungen der aktuellen rechtlichen Situation durch das MedCanG und insbesondere die Herausnahme cannabisbasierter Medikamente aus dem Betäubungsmittelgesetz. Insgesamt halten wir die vorgesehen Veränderungen aber für völlig unzureichend.

(...)

Der Branchenverband Cannabiswirtschaft hat auf seiner Webseite Stellungnahmen von Verbänden zum Cannabisgesetz veröffentlicht.

ABDA Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

ACM Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Akzept Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik

BAEK Bundesärztekammer

BDCan Bund Deutscher Cannabis-Patienten

BDK Bund Deutscher Kriminalbeamter

BPC Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen in Deutschland

BPI Bundesverband der pharmazeutischen Industrie

BvCW Branchenverband Cannabiswirtschaft

BVRA Bundesverband Rauchfreie Alternative e.V.

CSC-GC Gründungscommunity der Cannabis Anbauvereinigungen Deutschlands

CSCD Dachverband Deutscher Cannabis Social Clubs

DGKJP, DGKJ, BAG KJPP, BKJPP & BVKJ Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie; Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin; Bundesarbeitsgemeinschaft der leitenden Klinikärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie; Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland; Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte

DKSB Kinderschutzbund Bundesverband

DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen

DHV Deutscher Hanfverband

EIHA European Industrial Hemp Asscociation

Fachstelle Suchtprävention Berlin gGmbH

GKV-SV Spitzenverband Bund der Krankenkassen

Nutzhanf-Netzwerk

LEAP Teil1 LEAP Teil2 Law Enforcement Against Prohibtion Deutschland

Pro Rauchfrei

Schildower Kreis

Textilhanf Verein „Hanf in der Landwirtschaft und Textilökonomie“

VCA Verband der Cannabis versorgenden Apotheken 

 

Presseschau: Streit um Blüten: Apothekerin attackiert Kassen (Apotheke adhoc)

In im traditionsreichen Land für Pflanzenmedizin (Phytotherapie) – Deutschland – spielt eine Rolle, was in anderen Ländern völlig irrelevant ist, eine Diskussion über die Frage, ob getrocknete Heilpflanzen oder nur daraus hergestellte Extrakte Medizin sind.

Streit um Blüten: Apothekerin attackiert Kassen

Cannabis-Apothekerin Melanie Dolfen: "Die Kassen kennen die wahren Zahlen und Fakten und behaupten dreist das Gegenteil.

Melanie Dolfen, Inhaberin der Bezirksapotheken in Berlin Mitte und Friedrichshain, ist Expertin für medizinisches Cannabis. Dass die Krankenkassen gerne Blüten aus der Erstattung streichen würden, findet sie ungeheuerlich. Der GKV-Spitzenverband verbreite bewusst Unwahrheiten.

Das Cannabisgesetz sollte laut GKV-Spitzenverband zum Anlass genommen werden, die Leistungspflicht für Cannabis in Form von getrockneten Blüten zu überprüfen. „Mit standardisierten Extrakten und Fertigarzneimitteln auf Basis von Cannabis stehen für den medizinischen Einsatz besser geeignete Optionen zur Verfügung. Es besteht daher keine Notwendigkeit für einen medizinischen Einsatz von Cannabis in Form getrockneter Blüten“, so der Kassenverband in seiner Stellungnahme.

Laut Dolfen sind dies reine Falschinformationen: Die Kassen wüssten doch ganz genau, dass Blüten beliebt seien und dass es vergleichbar wirksame Fertigarzneimittel und Standardextrakte bisher so gut wie nicht gebe. „In 70 Prozent der Fälle verschreiben Ärzt:innen Rezepte für Blütentherapien. Zum Verdampfen oder für die Herstellung von Präparaten, die in Apotheken patientenindividuell hergestellt werden.“

Trotzdem forderten sie erneut, die Leistungspflicht für Cannabis in Form von getrockneten Blüten zu überprüfen. Für Dolfen ist klar, dass die Kassen versuchen, „sich aus der Kostenübernahme für Medizinalcannabis zu verabschieden“. „Gleichzeitig wollen sie der Medizin im Genehmigungsverfahren weiter Vorschriften machen. Sie hängen in alten Vorstellungen fest, von Standardarzneimitteln einer industriellen Pharmazie. Lieber Big Pharma statt patientenindividuelle Apothekenpräparate.“

Gelänge es den Kassen, die Blütentherapien aus der Leistungspflicht rauszubekommen, so würden sie den Großteil der Patient:innen los sein, die heute medizinisches Cannabis bekommen. Den Kassen sollten endlich verbindliche Regeln für Medizinalcannabis gegeben werden – und zwar „auf der Basis von Wissenschaft und Praxiswissen“.

Presseschau: Bun­des­tags­gu­t­achten gibt der Ampel Rücken­wind (LTO.de)

Die geplante Cannabislegalisierung ist europarechtlich umstritten. Jetzt gibt ein Gutachten dem Vorhaben der Bundesregierung grünes Licht.

Bundestagsgutachten gibt der Ampel Rückenwind

Die CSU gibt noch mal alles, um gegen die Legalisierungspläne der Ampel Stimmung zu machen. Jetzt legt sie ein Gutachten des Bundestages vor, das angeblich die Europarechtswidrigkeit des Vorhabens bestätigt. Doch das stimmt nicht.

Aufregung um ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum Thema Cannabis. Zuerst hatte der Spiegel darüber berichtet – allerdings mit der irreführenden Überschrift "Ampelpläne zur Cannabislegalisierung kollidieren mit Europarecht".

Denn die jüngsten Pläne der Ampel sind es jedenfalls nicht, die angeblich nach Ansicht der Bundestagsjuristen mit Europarecht kollidieren. Diese lagen den Bundestagsjuristen nämlich gar nicht zur Prüfung vor. Der "Fachbereich Europa" des Wissenschaftlichen Dienstes hatte vielmehr bereits vor einigen Wochen grundsätzlich den Auftrag bekommen zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang das Unionsrecht den EU-Mitgliedsstaaten "Regelungsfreiheiten im Bereich Cannabis" verschafft.

Die Ausarbeitung der Bundestagsjuristen wurde am 16. Juni 2023 ("zugleich letzter Zugriff auf Online-Quellen") fertiggestellt und ist hier abrufbar. Das Bearbeitungsdatum belegt: Den von der Bundesregierung Anfang Juli vorgelegten Referentenentwurf, über den LTO berichtet hatte, haben die Bundestagsjuristen erst gar nicht in ihre Prüfung miteinbezogen.

Bundesregierung von Vereinbarkeit mit EU-Recht überzeugt

In der Begründung des Cannabisgesetz-Entwurfs erläutert die Bundesregierung ausgiebig, warum ihr "Säule-1-Gesetz" mit EU-Recht vereinbar sei: So hätten nach Artikel 2 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25.10.2004 ("Rahmenbeschluss 2004") die Mitgliedstaaten zwar die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass unter anderem das Ein- und Ausführen, Herstellen, Zubereiten, Anbieten, Verkaufen, Liefern von Drogen, zu denen auch Cannabis gehört, unter Strafe gestellt wird, wenn die Handlungen "ohne entsprechende Berechtigung" erfolgten ("Berechtigungsklausel"). 

Diese EU-Vorgabe berühre aber nicht das Cannabisgesetz der Ampel: Hier finde vielmehr Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses Anwendung ("Privatkonsumklausel"): Danach seien bestimmte Handlungen vom Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses nicht erfasst, "wenn die Täter sie ausschließlich für ihren persönlichen Konsum im Sinne des nationalen Rechts begangen haben”. Der im Cannabisgesetz der Bundesregierung nunmehr vorgesehene private Eigenanbau zum Eigenkonsum sowie der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Anbau in Anbauvereinigungen stellten in diesem Sinne Vorbereitungshandlungen für den ausschließlich persönlichen Konsum dar. Mit der Folge: Der Anwendungsbereich des EU-Rahmenbeschlusses 2004 sei nicht eröffnet.

Darüber hinaus ist laut Bundesregierung auch das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zum schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen nicht einschlägig.  Es betreffe von seiner Zielrichtung her ausschließlich Fragen des grenzüberschreitenden Drogenhandels bzw. des grenzüberschreitenden Inverkehrbringens von Drogen. "Handlungen, die allein auf den Eigenanbau zum ausschließlichen persönlichen Konsum abzielen, sind von seinem Anwendungsbereich nicht erfasst", so die Bundesregierung.

Wissenschaftlicher Dienst: "Entkriminalisierung europarechtlich möglich"

Die Juristen des Bundestages sehen diese Normen nunmehr in ihrem Juni-Gutachten auch und kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Entkriminalisierungen – "vorbehaltlich der jeweiligen nationalen Ausgestaltung" – im Bereich des Besitzes, Kaufes und Anbaus im Rahmen der Privatkonsumklausel nach Art. 2 Abs. 2 möglich seien.

Etwas vorsichtiger fällt ihr Urteil hingegen zu der Frage aus, ob auch (kommerzielle) Verschaffungshandlungen wie etwa die Einrichtung eines staatlichen oder staatlich kontrollierten Anbau- und Abgabesystems zu Genusszwecken von der mitgliedstaatlichen Entkriminalisierungsfreiheit gedeckt seien. In der Rechtswissenschaft sei diese Frage umstritten, lautet aber auch hier die ausgewogen ergebnisoffene Position des Wissenschaftlichen Dienstes.  

Ebenso ist es laut der Bundestags-Gutachter juristisch umstritten, welche Schlüsse aus der sog. Berechtigungsklausel in Art. 2 Abs. 1 im Hinblick auf Bestrebungen zur Legalisierung zu ziehen seien. Unklar sei, ob diese im Hinblick auf den Spielraum des Gesetzgebers eng oder weit ausgelegt werden könne. Wäre sie eng auszulegen, so könnte z.B. die Erlaubnis zum Anbau in den geplanten, nicht-kommerziellen Vereinen nur auf medizinische oder wissenschaftliche Zwecke beschränkt sein. 

Aber auch hier bleibt das Gutachten ergebnisoffen: "Selbst bei einer Beschränkung der Berechtigungsklausel auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke dürfte den Mitgliedstaaten ein vergleichsweise weiter Ausgestaltungsspielraum zustehen, der jedoch – weil die Berechtigungsklausel nicht in das nationale Recht verweist – einer strengeren Kontrolle durch den EuGH unterliegen dürfte".

Weiter verweisen die Bundestagsjuristen darauf, dass eine weite, unionsautonome Auslegung der Berechtigungsklausel, die die Einführung staatlicher oder staatlich kontrollierter Anbau- und Abgabesysteme zu Genusszwecken gestatten würde, u.U. menschenrechtlich bzw. unionsgrundrechtlich geboten sein könnte. Allerdings: "Soweit ersichtlich, haben sich bis jetzt aber weder die zuständigen VN-Organe noch der EuGH in diese Richtung positioniert."

Auftraggeber des Gutachtens ist CSU-MdB Pilsinger

In Auftrag gegeben hatte das Gutachten des Bundestages der gesundheitspolitische Sprecher der CSU, Stephan Pilsinger, MdB. Der gelernte Arzt ist derzeit äußerst aktiv, um den Legalisierungsplänen der Ampel den Garaus zu machen. Mit dem Ergebnis seiner in Auftrag gegeben Prüfung dürfte Pilsinger nicht hundertprozentig zufrieden sein. 

Gleichwohl bewertete er das Resultat gegenüber LTO in seinem Sinne: "Das Gutachten unterstreicht, wie nahe der Referentenentwurf der Ampel an der Europarechtswidrigkeit dran ist. Denn das Risiko, dass Cannabis-Pflanzen an Personen abgegeben werden, die nicht nachweislich Mitglieder des Anbauvereins sind, ist faktisch hoch. Die Gefahr einer verdeckten Kommerzialisierung in den Vereinen ist einfach nicht von der Hand zu weisen, was die erste Säule der Legalisierung von Cannabis in Cannabis Social Clubs schon mit Blick auf das EU-Recht erheblich ins Wanken bringt."

 Kürzlich hatte Pilsinger auch eine 44 Fragen umfassende "Kleine" parlamentarische Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die sich ausschließlich um die angeblich geplanten "Cannabis Social Clubs" drehte. Über die Antwort der Bundesregierung (BT-Ds. 20/7808) hatte LTO berichtet.

Die in der Unions-Anfrage verwendete Bezeichnung "Cannabis Social Clubs" suggeriert, dass – wie in einigen anderen Staaten – in den geplanten Einrichtungen Cannabis nicht nur erworben, sondern auch konsumiert werden darf. Das aber ist gerade nicht geplant. "Sozial" wird es in den Räumen eher weniger zugehen: Vorgesehen sind reine Anbauvereine, in deren Räumlichkeiten – streng kontrolliert – erwachsene Mitglieder Cannabis erwerben, aber nicht konsumieren dürfen. Kiffen ist auch im Umkreis von 200 Metern verboten.

Bundesregierung will "EU-Rechtsrahmen mittelfristig flexibilisieren"

In ihrer Antwort auf die Anfrage der Union hatte die Bundesregierung schließlich einen kleinen Hinweis gegeben, dass sie sich ggf. auch mit europarechtlichen Hürden nicht abfinden wird: "Die Bundesregierung strebt mittelfristig an, den einschlägigen EU-Rechtsrahmen zu flexibilisieren und weiterzuentwickeln."

Gemünzt sein könnte dieser Hinweis auf den für nach der parlamentarischen Sommerpause angekündigten Säule-2-Gesetzentwurf, der regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten vorsieht. Dieser Gesetzentwurf werde voraussichtlich der Europäischen Kommission zur Prüfung vorgelegt, schreibt das Ministerium auf seiner Website.

Presseschau: Cannabislegalisierung: Grüne fordern Anhebung des THC-Grenzwerts für den Straßenverkehr (rnd.de)

Ein Thema treibt auch Patienten um, die Cannabis als Medizin verwenden: werde ich bei der Teilnahme am Straßenverkehr von der Polizei, von den Führerscheinstellen und von den Begutachtungsstellen (MPU-Stellen) fair behandelt und nicht diskriminiert, also so behandelt, wie andere Patienten auch? Gegenwärtig ist das leider häufig nicht der Fall. So werden aus Facharbeitern Bezieher von Bürgergeld.

Cannabislegalisierung: Grüne fordern Anhebung des THC-Grenzwerts für den Straßenverkehr

Die Ampel will Cannabis in Deutschland legalisieren. Aktuell sträubt sich das Verkehrsministerium aber, die THC-Grenzwerte für den Straßenverkehr anzuheben. Drei Grünen-Politiker fordern aber genau das. Das Straßenverkehrsrecht dürfe nicht länger als Ersatzstrafe für Cannabiskonsumierende herangezogen werden, sagen sie.

Die Grünen fordern im Rahmen der Cannabislegalisierung die Anhebung des THC-Grenzwerts im Straßenverkehr von aktuell 1,0 Nanogramm pro Milliliter Blutserum auf 3,5 Nanogramm. Das geht aus einem Autorenpapier der Grünen-Politikerinnen Swantje Michaelsen, Kirsten Kappert-Gonther und des Grünen-Politikers Lukas Benner hervor, das dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt.

„Niemand darf Auto fahren, wenn die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt ist. Das Straßenverkehrsrecht darf aber nicht länger als Ersatzstrafe für Cannabiskonsumierende herangezogen werden“, heißt es darin. Notwendig sei die „Festlegung eines angemessenen THC-Grenzwerts“. Konkret schlagen die Autorinnen und der Autor vor, dass im Straßenverkehrsgesetz „ein Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter THC im Blutserum festgelegt und Cannabis aus der Liste der weiteren berauschenden Mittel entfernt“ wird. „Da THC nicht gleichmäßig abgebaut wird und sich im Gewebe einlagert, kann es noch nachgewiesen werden, wenn längst keine Auswirkungen mehr auf die Fahrtauglichkeit gegeben sind“, schreiben die Bundestagsabgeordneten. Der aktuelle Grenzwert liege deutlich unter der Grenze der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit, betont das Autorenteam.

Weitere Meldungen der vergangenen Tage

ABDA lehnt Cannabisgesetz ab (Deutsche ApothekerZeitung.de)

Gutachter sehen Grenzen bei Legalisierung von Cannabis (Deutsches Ärzteblatt)

Was Sie über medizinisches Cannabis wissen sollten (Apothekenumschau)

Cannabisgesetz ermöglicht Hochrisikokonsum (Deutsches Ärzteblatt)

Kinder- und Jugendmediziner warnen vor Cannabis-Legalisierung (Gesundheit.de)

Cannabis­legalisierung führt zur Zunahme von Vergiftungsfällen (Deutsches Ärzteblatt)

Regierung beschwichtigt: Trotz Cannabis-Legalisierung soll der Jugendschutz gesichert werden (Ärztezeitung)

Das sind die skurrilen Änderungen im aktuellen Cannabis-Gesetzentwurf (Focus)

Umfrage: Großteil der Cannabis-Firmen verschwindet im nächsten Jahr (Krautinvest)

Gewerkschaft der Polizei kritisiert Cannabis-Gesetzentwurf (Süddeutsche Zeitung)

Schwerstkranke profitieren von medizinischen Cannabinoiden (Ärztezeitung)

Polizeigewerkschaft sieht keine Entlastung durch Cannabisfreigabe (Ärztezeitung)