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ACM-Mitteilungen vom 9. April 2011
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Begründung der Bundesregierung gegen Eigenanbau von Cannabis
Aus der Begründung der Bundesregierung für die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln zum Eigenanbau von Cannabis für medizinische Zwecke vom 17. März 2011- mit Kommentaren von Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM)
Hintergrund
Am 21. Februar 2011 teilte das Verwaltungsgericht Köln dem Anwalt von Herrn F., der gegen die Ablehnung des Eigenanbaus von Cannabis zu medizinischen Zwecken durch das BfArM klagt, mit, dass das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) im Namen der Bundesrepublik Deutschland Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Januar eingelegt hat. Am 17. März reichte die Bundesregierung die Begründung für die Berufung nach.
Am 11. Januar fand vor dem Verwaltungsgericht Köln der Prozess um die Genehmigung des Eigenanbaus für den schwerkranken Multiple-Sklerose-Patienten durch das BfArM statt. In dem Urteil heißt es, dass die Ablehnung des Antrags durch das BfArM, das der Aufsicht des Bundesgesundheitsministeriums untersteht, vom 10. August 2010 rechtswidrig gewesen sei. Die Behörde müsse nun neu über den Antrag entscheiden.
Der Kläger ist seit vielen Jahren auf Cannabis angewiesen und wurde im Jahr 2003 in einem strafrechtlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz unter dem Gesichtspunkt des rechtfertigenden Notstands freigesprochen. Er besitzt bereits eine Ausnahmegenehmigung vom BfArM zur Verwendung von Cannabis aus der Apotheke, der aus den Niederlanden importiert wird. Angesichts des erheblichen Bedarfs an Cannabis kann sich der Betroffene diesen jedoch finanziell nicht leisten. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass zwingende Gründe gegen eine Erlaubniserteilung nicht vorlägen. Die geplanten Sicherungsmaßnahmen des Klägers seien ausreichend. Der jahrelange Eigenanbau belege, dass der Kläger sich durch eine Therapie mit diesem Cannabis nicht selbst schädige. Der mit der Erlaubniserteilung verbundene Verstoß gegen das internationale Suchtstoffabkommen müsse nicht zwingend zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Das BfArM habe auch beim Verstoß gegen das Abkommen einen Ermessensspielraum, innerhalb dessen auch die Interessen des Klägers angemessen zu berücksichtigen seien. Dieses Ermessen habe die Behörde nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
Die Ablehnung des Antrags von Herrn F. durch das BfArM vom 10. August 2010 basierte auf einer Anweisung durch das Bundesgesundheitsministerium mit Philipp Rösler (FDP) als verantwortlichem Minister. Aus den Aktennotizen in den Unterlagen von Herrn F. beim BfArM geht hervor, dass eine Erlaubnis zum Selbstanbau in seinem Fall "ohne Alternative" sei, das Institut jedoch der Anweisung Folge leisten musste. Zwar vertritt das BfArM in diesem Verfahren die Bundesrepublik Deutschland. Verantwortlich ist aber aufgrund dieses Vorgangs das Bundesgesundheitsministerium.
Ausschnitte aus der Begründung mit Kommentaren
* Ausschnitt 1 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Vielmehr führte der erkennende Senat dort wie folgt aus: "Die Entscheidung, einem Patienten den Erwerb oder, was insbesondere bei Cannabis in Betracht kommt, etwa den Anbau zu gestatten, bleibt stets eine Einzelfallentscheidung. Sie muss die konkreten Gefahren des Betäubungsmitteleinsatzes, aber auch den möglichen Nutzen in Rechnung stellen." (BVerwG, a.a.O., Jurist-Rdnr. 33). Aus den Ausführungen des BVerwG folgt insoweit lediglich, dass die Erteilung einer Erlaubnis zum Anbau von Betäubungsmitteln, insbesondere von Cannabis in Betracht kommen kann, mithin nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Eine Genehmigung des Eigenanbaus kommt für die Bundesregierung entgegen des Tenors des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts offenbar nicht in Betracht. Wie anders ist es zu verstehen und zu erklären, dass das Bundesgesundheitsministerium - mit den absurdesten Argumentationen (siehe unten) - alle Anstrengungen unternimmt, um eine solche Erlaubnis zu verhindern?
* Ausschnitt 2 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Die weiteren Ausführungen des Gerichts [gemeint ist das Verwaltungsgericht Köln] zu der Verfügbarkeit und Finanzierbarkeit von Dronabinol und insbesondere Medizinalhanf aus den Niederlanden sind insoweit nicht nachvollziehbar, weil der Kläger einen Antrag auf Übernahme der Kosten für den Medizinalhanf aus den Niederlanden bei seiner gesetzlichen Krankenkasse, der AOK Rhein-Neckar, gar nicht gestellt hat. Die Kostenübernahmeanträge beschränken sich unstreitig auf die Erstattung des Rezepturarzneimittels Dronabinol.
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Die Bundesregierung verweist mit dieser Begründung auf eine Substanz, die für Herrn F. nicht "ohne weiteres verfügbar" ist und widerspricht damit dem Geist des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 (Az. 3 C 17/04). Auf das Argument, Patienten könnten sich auch vom Arzt Dronabinol verschreiben lassen, auch wenn dieses teuer sei und von den Krankenkassen nicht immer erstattet werde, entgegnete das Bundesverwaltungsgericht: "Der Verweis auf ein Arzneimittel, das weder ohne weiteres verfügbar noch für den normalen Bürger erschwinglich ist, stellt aber keine Alternative dar, die das öffentliche Interesse am Einsatz von Cannabis zur Krankheitsbekämpfung entfallen lässt."
Die Krankenkasse von Herrn F. hat die Kostenübernahme für das Medikament Dronabinol mehrfach abgelehnt. Es ist daher vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtslage und Rechtsprechung abwegig, davon auszugehen, dass seine Krankenkasse die Kosten für eine Behandlung mit Cannabis aus der Apotheke, bei dem es sich im Gegensatz zu Dronabinol nicht einmal um ein rezeptierfähiges Medikament handelt, übernehmen würde.
* Ausschnitt 3 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Für das Rezepturarzneimittel Dronabinol wurde zuletzt mit Schreiben vom 25.8.2006 ein Antrag auf Übernahme der Kosten gestellt. Dieser Antrag wurde zwar mit Schreiben der AOK Rhein-Neckar vom 28.09.2006 abgelehnt, seit dem Jahr 2006 wurde allerdings kein weiterer Antrag auf Kostenübernahme gestellt, obgleich jüngere sozialgerichtliche Entscheidungen aus dem Jahr zweitausendzehn zeigen, dass in Einzelfällen durchaus eine Erstattung für Dronabinol als Sachleistung durch die Krankenkassen angezeigt ist (SG Köln, Urteil vom 24.02.2.2010 - S 9 KR 88/07; SG Duisburg, Urteil vom 13.08.2010 - S 9 KR 96/10; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.09.2010 - L 9 KR 268/06), denn bei nicht zugelassenen cannabishaltigen Arzneimitteln prüft die Krankenkasse im Einzelfall, ob eine Kostenübernahme für Dronabinol aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Voraussetzung für eine Prüfung des Antrages sind aktuelle medizinische Aussagen über das Krankheitsbild."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
"Daniel Bahr (FDP), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, hat in seiner Antwort im Namen der Bundesregierung vom 14. Februar 2011 auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen selbst klar und unmissverständlich ausgedrückt, dass nur in seltenen Einzelfällen ("notstandsähnlichen Situationen") eine Kostenübernahme der Behandlung mit Dronabinol durch die Krankenkassen zu erwarten ist (Bundestagsdrucksache 17/4611). Bei diesen Ausnahmen handle es sich "um eine verfassungskonforme Auslegung einzelner Leistungsvorschriften in einer notstandsähnlichen Situation. Hier hat eine Prüfung von Chancen und Risiken anlässlich des Einzelfalls stattzufinden. Es besteht kein Anlass, über den Einzelfall hinaus auch in nicht notstandsähnlichen Situationen für eine breite Anwendung von nicht zugelassenen Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung zu sorgen." Soweit Daniel Bahr (FDP), der damit deutlich gemacht hat, dass Dronabinol ein Arzneimittel ist, das nicht "ohne weiteres verfügbar" ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Jahr 2005 die Bundesregierung allerdings gerügt, dass sie auf ein nicht ohne weiteres verfügbares Medikament (Dronabinol) als Alternative verweist, um den Anspruch auf eine Behandlung mit Cannabis abzuwehren. Die Bundesregierung ist dennoch so dreist, diese Linie ganz offen aufrecht zu erhalten.
Vor dem Hintergrund der von Daniel Bahr (FDP) dargestellten Rechtslage prüft der medizinische Dienst auch nicht, ob eine Kostenübernahme für Dronabinol aus medizinischen Gründen erforderlich ist, sondern ob die strengen Vorgaben von Bundesverfassungsgericht und Bundessozialgericht erfüllt werden. Nach diesen Vorgaben werden nur in wenigen Fällen Zusagen zur Kostenübernahme erteilt. Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Bündnis neunzig/Die Grünen zeigt, dass ihr diese Situation bekannt ist.
* Ausschnitt 4 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Die Beklagte [gemeint ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesgesundheitsministerium] verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass der Kläger den Rechtsweg vor den Sozialgerichten bereits bestritten hat und der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse, Dronabinol als Sachleistung von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet zu erhalten, letztinstanzlich abgewiesen wurde. Allerdings erging die Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg im Verfahren L 4 KR 3828/01 im Jahr zweitausenddrei auf der Grundlage seinerzeit aktueller medizinischer Gutachten und wissenschaftlicher Erkenntnisse und zu einem Zeitpunkt, als die Rechtsprechung der Sozialgerichte noch keinem Wandel unterzogen war."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Die Bundesregierung erwartet offensichtlich von Patienten, die verzweifelt einen Weg suchen, sich mit Cannabisprodukten behandeln zu können, dass sie im Verlaufe eines Antragsverfahrens mehrfach vor den Sozialgerichten klagen, obwohl die Bundesregierung selbst sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass die Chancen schlecht stehen. Sofern es in den vergangenen Jahren einen Wandel bei den Chancen auf eine Kostenübernahme von Dronabinol durch die Krankenkassen gegeben hat, so geht dieser Wandel eindeutig zu Lasten der Patienten, denn die Chancen haben sich verschlechtert. Da das Bundesgesundheitsministerium offenbar der Auffassung ist, dass ein Medikament ohne weiteres verfügbar sei, auch wenn man dafür mehrfach vor den Sozialgerichten mit geringer Aussicht auf Erfolg klagen muss, so zeigt das einmal mehr den Realitätsverlust von Philipp Rösler (FDP), Daniel Bahr (FDP) und anderen Verantwortlichen des Ministeriums.
* Ausschnitt 5 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Insbesondere hätte das Verwaltungsgericht [Köln] in Bezug auf die Verfügbarkeit von alternativen Therapien wie z. B. Dronabinol und Medizinalhanf in seinem Urteil einbeziehen müssen, dass die letzte Entscheidung über die vom Kläger beantragte Leistungserbringung bzw. Kostenerstattung noch nicht die erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 -1 BvR 347/98 (sog. "Nikolaus-Entscheidung") berücksichtigen konnte. Darin hat das BVerfG deutlich gemacht, dass bei schweren Erkrankungen ein aus den Grundrechten in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip abzuleitende Schutzpflicht des Staates für Leben und körperliche Unversehrtheit von Versicherten und damit ein Anspruch solcher Patienten auf Leistung einer von ihnen gewählten Behandlungsmethode besteht, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Der Inhalt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 wird hier nicht korrekt wiedergegeben. Das BVerfG hat deutlich gemacht, dass nicht bei "schweren Erkrankungen" ein Anspruch auf Leistungserbringung besteht, sondern bei einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. So heißt es in der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts zum Urteil: "Es sei mit der grundgesetzlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit, dem Sozialstaatsprinzip und dem Grundrecht auf Leben nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht."
Am 27. März 2007 wurde dieses Urteil vom Bundessozialgericht auf Dronabinol angewendet (Az. B 1 KR 30/06 R). Das Gericht wies die Klage eines Patienten, der an Schmerzen aufgrund einer Querschnittslähmung litt, gegen seine Krankenkasse ab, die sich geweigert hatte, eine Behandlung mit dem Cannabinoid zu bezahlen. Die Richter stellten fest, dass Dronabinol in Deutschland nicht zugelassen ist, und dass der Kläger nicht an einer lebensbedrohlichen oder im Allgemeinen tödlichen Erkrankung leide.
Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts galt noch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19. März 2002 (Aktenzeichen: B 1 KR 37/00 R). Das Gericht forderte drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Es muss eine schwerwiegende Krankheit vorliegen, für die zweitens keine andere Therapie verfügbar ist, und drittens müsse aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehen. Heute ist nicht mehr von einer schwerwiegenden Erkrankung die Rede. Der Wandel in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts geschah zu Ungunsten des Klägers.
Herr F. leidet nicht an einer lebensbedrohlichen oder im Allgemeinen tödlichen Erkrankung und hat daher aufgrund der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Chancen auf eine erfolgreiche Klage vor den Sozialgerichten.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es sich bei Cannabis aus der Apotheke nicht einmal um eine in Deutschland "ärztlich angewandte Behandlungsmethode" handelt, sodass ein Anspruch auf Kostenerstattung gegenüber einer Krankenkasse vermutlich auch nicht bei lebensbedrohlichen Erkrankungen durchsetzbar sein wird.
* Ausschnitt 6 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Die Beklagte hat im Verwaltungs- sowie im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach darauf hingewiesen, dass Behandlungsalternativen verfügbar sind. Insbesondere wären dem Kläger mit Inaussichtstellung der Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG für Cannabisextrakt im Juni 2007 und verschiedene hochwertige und standardisierte Medizinalcannabis-Blüten im Januar 2009 verschiedene Behandlungsalternativen grundsätzlich verfügbar gemacht worden. Mit Schreiben vom 01.08.2007 bzw. 22.01.2009 hatte der Kläger jedoch deutlich gemacht, dass er weder eine Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis-Extrakt noch von Cannabis-Pflanzenteilen begehre, sondern ausschließlich die Erlaubnis zum Selbstanbau von Cannabis.
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Auch in der Antwort auf die oben genannte Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte die Bundesregierung bereits zu den Therapiealternativen Stellung genommen. In ihrer Frage Nr. zwei hatten die Grünen gefragt: "Welches sind die vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) vom 19. Mai 2005 (Az. 3 C 17/04) vorhandenen, ohne weiteres verfügbaren und für den normalen Bürger erschwinglichen "Therapiealternativen", die das BMG in seinem Schreiben vom 16. Juli 2010 an das BfArM als Versagungsgrund benennt?" In der Antwort von Daniel Bahr (FDP) vom 14. Februar 2011 hieß es: "Für die Behandlung der Multiplen Sklerose und deren unterschiedlichen Verlaufsformen stehen gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie eine Reihe unterschiedlicher Therapieverfahren und Arzneimittel zur Verfügung. Diese sind für Versicherte auch grundsätzlich verfügbar und erschwinglich, da sie von Ärztinnen und Ärzten im stationären und ambulanten Gesundheitseinrichtungen angewendet sowie - indikationsgerecht eingesetzt - von den Krankenkassen/-versicherungen finanziert werden."
Herr Bahr (FDP) hat mit keinem Wort Cannabisextrakt oder Cannabisblüten als mögliche Alternativen erwähnt. Offenbar ist ihm klar gewesen, dass Cannabisextrakt und Cannabisblüten keine "ohne weiteres verfügbaren und für den normalen Bürger erschwinglichen" Therapiealternativen darstellen, weil sich die gleichen Einschränkungen wie für Dronabinol ergeben, die das Bundesverwaltungsgericht nicht als Therapiealternative akzeptiert hat. Jetzt, in der Begründung für die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, soll Cannabis aus der Apotheke auf einmal eine Therapiealternative darstellen. Das ist nicht glaubwürdig.
Bei diesen Unterschieden in der Argumentation wird deutlich, dass die Bundesregierung langsam die Übersicht in ihrem Lügengebäude verliert. Zum einen ist die Argumentation von Herrn Bahr unsinnig, weil die Verfügbarkeit anderer Medikamente keine Alternative für Cannabis darstellt, wenn diese nicht wirken oder starke Nebenwirkungen verursachen. Das Fehlen von Therapiealternativen ist schließlich die entscheidende Voraussetzung für die Gewährung einer Ausnahmegenehmigung durch die Bundesopiumstelle. Zum anderen ist auch die Argumentation der Bundesregierung im laufenden Gerichtsverfahren abwegig, weil auch der Cannabisextrakt und Cannabisblüten - wie Dronabinol - nicht ohne weiteres verfügbar und erschwinglich sind. Daher ist es logisch, dass Herr Bahr diese nicht als Therapiealternativen genannt hat.
* Ausschnitt 7 aus der Begründung der Bundesregierung:
"In der Widerspruchsbegründung vom 08.01.2008 hat der Kläger v.a. argumentiert, dass die Kosten für eine Therapie mit Medizinalcannabis bei etwa € 1.500,- pro Monat liegen würden. Eine Berechnung der tatsächlichen Kosten war jedoch bislang gar nicht möglich, da Cannabisextrakt und Medizinalhanf nicht einmal probehalber angewendet worden sind.
Die Sorte Bedrocan hat einen THC-Gehalt von 18% und einen CBD-Gehalt von 1%. Sollte der Bedarf an THC bei Verwendung dieser Sorte des Medizinal-Cannabis tatsächlich 5.000 mg monatlich betragen, wie es auch in der Urteilsbegründung angenommen wird, so ergäbe sich ein Monatsbedarf von etwa 28 Gramm Medizinalcannabis. Bei angenommenen Kosten von € 14,- je Gramm ergäben sich somit Kosten von weniger als € 400,- monatlich."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Der Kläger benötigt nach meiner Kenntnis täglich mehrere Gramm potenten Cannabis, um seine Symptomatik ausreichend zu lindern, sodass bei Verwendung der Sorte Bedrocan mit Kosten von monatlich etwa 1500 EUR zu rechnen ist. Aber auch bei monatlichen Kosten von 400 EUR wäre der Cannabis aus der Apotheke für ihn und für viele andere, die von Sozialleistungen leben, nicht erschwinglich.
* Ausschnitt 8 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Es ist zudem nicht ausgeschlossen, dass bei dem Kläger andere Cannabissorten, z. B. mit einem höheren CBD-Gehalt, eine bessere Wirksamkeit aufweisen. Auf Grund der individuell unterschiedlichen Wirkung einzelner Cannabissorten werden von der Fa. Bedrocan verschiedene Sorten angeboten. Die Sorte Bediol enthält lediglich 6% THC aber 7,5 ich% CBD. Sollte beim Kläger das CBD für die Hauptwirkung verantwortlich sein, wäre bei dieser Sorte ggf. eine wesentlich geringere Menge erforderlich. Dies ist jedoch ausschließlich herauszufinden, wenn von der in Aussicht gestellten Erlaubnis Gebrauch gemacht wird. Die alleinige Abstellung auf den THC-Gehalt ist jedenfalls nicht zielführend, zumal weder dieser noch der CBD-Gehalt für das selbst angebaute Cannabis-Produkt bekannt ist."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Die Annahme, CBD könne für die Hauptwirkung bei der vorliegenden Symptomatik des Klägers verantwortlich sein, ist pharmakologischer Unsinn.
* Ausschnitt 9 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Die bisherige und angesichts der geänderten Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit zweifelhafte (s.o.) Nicht-Erstattung von z. B. Dronabinol und/oder Medizinalhanf durch die gesetzliche Krankenversicherung würde dazu führen, dass sich wohlhabende Patientinnen und Patienten die therapeutisch vorzuziehenden und qualitativ hochwertigeren Rezepturarzneimittel beschaffen und im Hinblick auf § 13 BtMG - anders als beim Eigenanbau, der dies nicht zulässt - auch ärztlich behandelt bzw. begleitet werden könnten, wohingegen finanziell nicht ausreichend leistungsfähige Patientinnen und Patienten auf die Versorgung mit selbst gezogenen Cannabis-Produkten oder den Erwerb auf dem illegalen Markt angewiesen wären."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Endlich wurde von der Bundesregierung - wenn auch unbeabsichtigt - das Vorliegen einer zwei-Klassen-Medizin bei der Versorgung von Patienten mit Cannabisprodukten anerkannt. Denn das, was hier im Konjunktiv mit "wäre" und "könnte" beschrieben ist, ist nichts anderes als die seit vielen Jahren bestehende Realität, durch die "bisherige Nicht-Erstattung von z. B. Dronabinol und/oder Medizinalhanf".
Herr Bahr (FDP) hatte in seiner Antwort auf die kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen vom 14. Februar 2010 noch versucht, den Vorwurf der zwei-Klassen-Medizin, der offenbar aus ideologischen Gründen nicht akzeptiert werden darf, abzuwehren, wenn er schreibt: "Nach Auffassung der Bundesregierung geht der Vorwurf einer zwei-Klassen-Medizin fehl. Vermögende und weniger vermögende Personen sind rechtlich gleichgestellt. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen bieten einen gewissen Ermessensspielraum, eine Kostenübernahme von Rezepturarzneimitteln mit nicht zugelassenen Wirkstoffen durch die gesetzliche Krankenkasse in besonderen Einzelfällen zu gewähren."
Vermögende Patienten sind eben nicht darauf angewiesen, mit geringer Aussicht auf Erfolg vor die Sozialgerichte zu ziehen, sich dann mit selbst gezogenem Cannabis oder illegalen Produkten zu versorgen, sich der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen und sich darüber hinaus noch die zynische Argumentation der Bundesregierung angesichts ihres Leidens anzuhören.
Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 347/98, Urteil vom 6.12.2005) und das Bundessozialgericht (B 1 KR 30/06 R) haben die Grenzen für eine Erstattungspflicht für Dronabinol sehr eng - und damit auch für Cannabis aus der Apotheke noch enger - gezogen. Vermögende Patienten sind an diese engen Grenzen nicht gebunden.
Die Bundesregierung ist zudem hinsichtlich der Kostenerstattung für Dronabinol seit Jahren untätig. Bereits am 14.12.2005 hatte der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags in einem Beschluss die Petition einer Schmerzpatientin unterstützt, deren Krankenkasse sich seit 2001 - bis heute - weigert, die Kosten der Behandlung zu erstatten (Pet 2-15-16-8271-008724a). In einer Stellungnahme an den Petitionsausschuss hatte das Bundesministerium für Gesundheit damals erklärt, dass die Kostenübernahme für Dronabinol von einer entsprechenden Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten und Krankenkassen abhängt. Das Ministerium habe den Gemeinsamen Bundesausschuss erneut gebeten, ein Verfahren zur Bewertung Dronabinol-haltiger Rezepturen einzuleiten. Es habe den Bundesausschuss zudem darauf hingewiesen, dass es als Aufsichtsbehörde befugt sei, "anstelle des Gemeinsamen Bundesausschusses Richtlinien zu erlassen, wenn die Sicherung der ärztlichen Versorgung dies erfordere und die Selbstverwaltung die erforderliche Richtlinie nicht selbsttätig beschließe".
Seither ist nichts geschehen. Offenbar ist die Bundesregierung der Auffassung, dass kein Handlungsbedarf von ihrer Seite besteht. Stattdessen wird trotz der restriktiven höchstrichterlichen Vorgaben von oftmals Schwerkranken mit geringen finanziellen Möglichkeiten verlangt, gegen ihre Krankenkassen zu klagen. Auf diese Weise wird die zwei-Klassen-Medizin aufrecht erhalten.
* Ausschnitt 10 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Der Kläger begehrt den Anbau von 24 Pflanzen. Dieser (erhebliche) Umfang einer Anpflanzung sowie der Ort des Anbaus (die Privatwohnung des Klägers) dürfte zudem auch öffentlich bekannt sein, zumindest dürfte der Ort des Anbaus von interessierten Kreisen ohne Weiteres in Erfahrung zu bringen sein; nicht zuletzt durch die umfangreiche Berichterstattung über das Verfahren unter Angabe des Vor- und Nachnamens des Klägers und der Stadt, in der der Kläger wohnt. Der Anbauort erfordert daher nach seinem Gefährdungsgrad eine umfangreiche Raumsicherung. (...)
Ohnehin würden die vorgeschlagenen und vom Verwaltungsgericht für ausreichend erachteten Sicherungsmaßnahmen nur Fällen des Einbruchdiebstahls vorbeugen, aber unbefugte Zugriffe von Besuchern nicht verhindern können."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Zunächst ist positiv hervorzuheben, dass auch die Bundesregierung der Auffassung ist, dass die Sicherungsmaßnahmen einem Einbruchdiebstahl vorbeugen. Im Übrigen handelt es sich nicht um eine Anpflanzung in erheblichem Umfang, sondern dreimal 8 Pflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien sind ein Kleinstanbau.
* Ausschnitt 11 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Ein Badezimmer muss allen Bewohnern und Besuchern einer Wohnung schon aus bauordnungsrechtlichen Gründen zugänglich sein. Die vom Kläger vorgeschlagene und auch vom Verwaltungsgericht für ausreichend befundene Sicherung dieser sanitären Anlage würde mittelbar quasi zu einer Verhinderung jeglicher sozialer Kontakte des Klägers führen. Dies erscheint jedoch gerade im Hinblick auf die gesundheitliche Situation des Klägers - auch aus therapeutischer Sicht - kein gangbarer Weg zu sein, zumal der Kläger nach Angaben der Lebensgefährtin die Wohnung, kaum verlassen kann und somit die zur Erhaltung der Lebensqualität erforderlichen sozialen Kontakte umso mehr in seiner Wohnung stattfinden müssen."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Hier wird der perfide Zynismus, mit der der Eigenanbau unter allen Umständen verhindert werden soll, besonders deutlich: Die Verweigerung des Eigenanbaus von Cannabis, das heißt die einzige verfügbare Möglichkeit, dem Betroffenen mit einer schweren Erkrankung etwas Lebensqualität zu verschaffen, wird von der Bundesregierung als fürsorgliche Maßnahme zu verkaufen versucht. Dass es sich bei dieser Fürsorge in Wirklichkeit um eine brutale Entmündigung handelt, wird die Bundesregierung damit nicht verdecken können. Nach Angaben der Lebensgefährtin des Betroffenen geht die Argumentation hier ebenfalls an der Realität vorbei, weil der Betroffene soziale Kontakte nicht aushält.
* Ausschnitt 12 aus der Begründung der Bundesregierung:
Der Eigenanbau ist zur Sicherstellung der medizinischen Eigenversorgung auch nicht geeignet, weil zu dem durch Eigenanbau gewonnenen Pflanzenmaterial keine hinreichenden Erkenntnisse über den Wirkstoff - insbesondere den THC-Gehalt - vorliegen.
Durch morphologische Gegebenheiten kann es außerdem zu einer unbekannten und ungleichmäßigen Wirkstoffverteilung in der Pflanze kommen. Damit sind Aspekte einer sicheren Arzneimitteltherapie beim Eigenanbau, anders als beim Erwerb niederländischen Medizinalhanfs (Cannabisblüten), der in standardisierter Form angeboten wird, nicht hinreichend gegeben."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Es gibt keinen botanischen Grund, warum die Ungleichmäßigkeit der Wirkstoffverteilung beim Eigenanbau größer sein sollte als beim Cannabis aus den Niederlanden, der in der Apotheke erhältlich ist, wenn der Anbau in beiden Fällen mittels Stecklingen erfolgt, was der Fall ist. Die "morphologischen Gegebenheiten" entpuppen sich als Inhaltsleere Worthülse, die durch Fachbegriffe Kompetenz vorgaukeln soll, wo in Wirklichkeit nur eine rudimentäre Kenntnis der Materie besteht. Auch beim niederländischen Medizinalhanf gibt es leichte Schwankungen in der Cannabinoid-Konzentration, was bei einem Naturprodukt nicht anders zu erwarten ist. Es gibt keinen Hinweis, dass solche leichten Schwankungen, die auch beim Eigenanbau mit Stecklingen zu erwarten sind, bei dem Kläger unerwünschte Wirkungen oder Probleme bei der Dosierung verursacht haben.
* Ausschnitt 13 aus der Begründung der Bundesregierung:
"Vielmehr führt das Gericht u.a. lediglich aus, dass der Kläger durch den jahrelangen Eigenanbau belegt hat, dass der Konsum des selbst angebauten Cannabis eine Linderung seiner Leiden bewirkt und er sich durch eine Therapie mit dem eigenangebauten Cannabis nicht selbst schädigt (Seite 19 des UA). Insbesondere hinsichtlich der letzten Aussage liegen der Beklagten keinerlei Informationen vor."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen
Die Bundesregierung deutet hier an, dass der Kläger sich durch den eigenangebauten Cannabis möglicherweise selbst geschädigt haben könnte. Allerdings fällt es der Bundesregierung ganz offensichtlich schwer, konkret darzulegen, wie die Schädigung habe aussehen können oder aussieht. So schreibt Herr Daniel Bahr (FDP) in seiner Antwort auf die oben genannte Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen: "Grundsätzlich handelt es sich bei Cannabis um eine berauschende Substanz, deren Konsum gesundheitsgefährdend ist." Das gilt allerdings auch für Cannabis aus der Apotheke oder für den Cannabiswirkstoff Dronabinol. Entscheidend ist nicht die Frage, ob Cannabis gesundheitsgefährdend sein kann, sondern warum eigenangebauter Cannabis im Vergleich zu Cannabis aus der Apotheke oder Dronabinol so viel gesundheitsgefährdender sein soll, dass dies ein grundsätzliches Argument gegen eine Genehmigung des Eigenanbaus darstellt.
In einem Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums an das BfArM vom 16.07.2010 hatte das BMG argumentiert, dass bei Überdosierungen von Cannabis epileptische Anfälle auftreten könnten. Darauf in der Kleinen Anfrage der Grünen angesprochen, führt Herr Bahr aus: "Es ist bekannt, dass Cannabis sowohl Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem als auch auf das kardiovaskuläre System hat. Sowohl aus der Produktinformation zu Marinol als auch aus den einschlägigen Foren lässt sich ableiten, dass THC als auslösende Noxe für einen Krampfanfall nicht ausgeschlossen werden kann." Herr Bahr verheimlicht allerdings hinsichtlich der Produktinformation zu Marinol einen entscheidenden Aspekt, denn in der Produktinformation heißt es unter der Überschrift "Überdosierung" ("Overdosage"): "...Krampfanfälle können bei Patienten mit bestehenden Krampfleiden auftreten" ("...seizures may occur in patients with existing seizure disorders"). Der Kläger leidet aber nicht an einem Krampfleiden, so dass die Argumentation der Bundesregierung irreführend ist. Der Verweis auf "einschlägige Foren", in denen erfahrungsgemäß zum Thema Cannabis viel Unsinn verfasst wird, ist unseriös und ein Hinweis auf die Hilflosigkeit bei dieser Argumentation.
Es gibt einige Tiermodelle, bei denen THC in der Lage war, die Neigung zu Krampfanfällen zu verstärken. In den meisten Tiermodellen wirkt THC wie bei Menschen mit Krampfleiden im Allgemeinen antiepileptisch. Es gibt keine in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlichten Berichte, nach denen THC oder Cannabis bei Personen ohne Krampfleiden epileptische Anfälle ausgelöst haben.
* Ausschnitt 14 aus der Begründung der Bundesregierung:
"In Bezug auf die Ermessensausübung verkennt das Verwaltungsgericht insbesondere, dass die Beklagte bei ihrer Abwägung der widerstreitenden Belange auch das Interesse des Klägers an einer optimalen Therapie gewürdigt hatte. Im Vergleich zu einer vom Kläger im Wesentlichen "in Eigenregie" vorgenommenen Versorgung mit selbstgezogenem Cannabis in unklarer Qualität ist die Behandlung mit Dronabinol, Cannabisextrakt oder Medizinalhanf eindeutig die bessere Wahl."
** Kommentar von Dr. Grotenhermen:
Das Bundesgesundheitsministerium verkennt insbesondere, dass der Kläger nicht die Wahl zwischen Dronabinol, Cannabisextrakt, Cannabis aus der Apotheke und dem Eigenanbau hat. Er würde sich wie andere Patienten sehr freuen, wenn er diese Wahl hätte. Dafür kämpft die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin seit Jahren, gegen den hartnäckigen Widerstand einer bornierten Politik, heute in Form des FDP-geführten Bundesgesundheitsministeriums.
Betrachtet man die Realität, so bleibt von diesen fürsorglichen Floskeln nur der Zynismus der Macht, der den Zugang zu Cannabisprodukten für die meisten Patienten in Deutschland erfolgreich verhindert.
Schlussfolgerung
Die hier in Auszügen vorgestellte Begründung für die Berufung stellt einen der verbalen Höhepunkte eines ideologisch bornierten Zynismus gegenüber Schwerkranken, die von Cannabisprodukten profitieren, durch das FDP-geführte Bundesgesundheitsministerium dar. Höchstrichterliche Urteile werden uminterpretiert und bewusst nicht umgesetzt. Liberalität und Freiheitsrechte, die die FDP sich einmal auf die Fahnen geschrieben hatte, sind zu einer paternalistischen Gängelung erwachsener Bürger verkommen, zu einer Drangsalierung von Menschen, die bereits durch ihre schweren Erkrankungen gequält werden.
Mittlerweile werden die Widersprüche im Argumentationsgebäude des Bundesgesundheitsministeriums offenbar. Da wird auch nicht davor zurückgeschreckt, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 oder die Produktinformation für Marinol falsch wiederzugeben.
Enttäuschender Beschluss: Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags unterstützt Bundesregierung hinsichtlich medizinischer Verwendung von Cannabisprodukten
Am 28. Juni 2000 unterstützte der Petitionsausschuss des deutschen Bundestages eine Petition von medizinischen Cannabiskonsumenten und überwies die Petition "zur Berücksichtigung" an die Bundesregierung. In der Begründung schrieb der Petitionsausschuss: "Es steht fest, dass Cannabis u. a. appetitsteigernd, brechreizhemmend, muskelentspannend, schmerzhemmend, bronchienerweiternd, augeninnendrucksenkend und stimmungsaufhellend wirkt" (Deutscher Bundestag, Pet 2-14-15-221-005387).
Am 6. April 2011 befürwortete der Petitionsausschuss nur noch "alle Anstrengungen der Bundesregierung, die dazu führen, dass wirksame Arzneimittel auf der Basis von Cannabis in den Verkehr gebracht werden können". Damit fällt der Petitionsausschuss hinter seinen früheren Beschluss zurück, da für ihn offenbar nicht mehr feststeht, dass Cannabisprodukte auch bei Indikationen wirken, für die noch keine arzneimittelrechtliche Zulassung vorliegt. Der Petent, der sich an den Petitionsausschuss gewandt hat, hat sich möglicherweise auch nicht gut ausgedrückt. Da er an chronischen Schmerzen leidet, ist ihm mit dem Beschluss nicht geholfen. Es gibt bisher keine arzneimittelrechtlich zugelassenen Medikamente auf Cannabisbasis, und die anvisierten Indikationen für entsprechende Zulassungen umfassen keine Indikationen, die Schmerzpatienten betreffen.
In der Pressemitteilung zum aktuellen Beschluss des Petitionsausschusses vom 6. April 2011 unter dem Titel "Wirksame Arzneimittel auf der Basis von Cannabis in den Verkehr bringen" heißt es:
"Der Petitionsausschuss befürwortet alle Anstrengungen der Bundesregierung, die dazu führen, dass wirksame Arzneimittel auf der Basis von Cannabis in den Verkehr gebracht werden können. Während der Sitzung am Mittwochmorgen beschlossen die Abgeordneten daher einstimmig, eine dahingehende Petition dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Erwägung zu überweisen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben. Damit, so begründete der Ausschuss sein klares Votum, solle nochmals deutlich gemacht werden, dass die von der Bundesregierung bereits eingeleiteten Maßnahmen vollkommen im Sinne der Petition seien und volle Unterstützung verdienten.
Der Petent hatte sich in seiner Eingabe für die arzneimittelrechtliche Zulassung cannabinoidhaltiger Medikamente, insbesondere Dronabinol, und die entsprechende Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen ausgesprochen. Zur Begründung führt er an, dass die konventionelle Behandlung von Schmerzerkrankungen mittels Opioiden eine körperliche und seelische Abhängigkeit von diesen Medikamenten fördere. Zudem würden bei der Behandlung zahlreiche Nebenwirkungen auftreten. Die Behandlung chronischer Schmerzen mittels cannabinoidhaltiger Medikamenten sei zwar teurer, für den Patienten jedoch weitaus angenehmer, da die Nebenwirkungen bei weitem nicht so schwerwiegend seien.
In der Begründung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses wird darauf verwiesen, dass nach Erkenntnisstand des Petitionsausschusses das BMG einen Referentenentwurf für eine Verordnung zur Änderung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften vorgelegt habe. Damit sollen die rechtlichen Vorschriften geschaffen werden, damit cannabishaltige Fertigarzneimittel zukünftig nach den strengen Regeln des Arzneimittelgesetzes (AMG) zugelassen und für Patienten auf Betäubungsmittelrezept verschrieben werden könnten. Der Verordnungsentwurf, so heißt es weiter, bedürfe noch der Zustimmung des Bundesrates und befinde sich derzeit in der Abstimmung. Der Ausschuss macht jedoch darauf aufmerksam, dass die Verfügbarkeit derartiger Fertigarzneimittel davon abhängig sei, dass pharmazeutische Unternehmen entsprechende Anträge auf arzneimittelrechtliche Zulassung stellen. Diesen Schritt könne der Gesetzgeber letztlich nicht selbst tätigen.
Bei aller Unterstützung für die Inverkehrbringung von Arzneimitteln auf Basis von Cannabis fordert der Petitionsausschuss jedoch zu beachten, dass wie bei allen Arzneimitteln dies im Interesse der Patienten nur auf der Grundlage des AMG und des Betäubungsmittelgesetzes erfolgen könne. Danach müssten insbesondere reproduzierbare Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Mittel wissenschaftlich nachgewiesen werden. Maßgeblich hierbei seien die Erkenntnisse der evidenzbasierten Medizin. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt seien, könnten die entsprechenden Wirkstoffe verschreibungsfähig gemacht werden, machen die Abgeordneten deutlich."
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