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ACM-Mitteilungen vom 6. Februar 2021
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Liebe Leserin, lieber Leser,
“Top-Demokraten im Senat: Wir werden Marihuana legalisieren“. So oder so ähnlich lauten aktuelle Schlagzeilen aus den USA. Es kommt nicht unerwartet, dass die Demokratische Partei mit dem Gedanken spielt, das Cannabisverbot in den USA auf Bundesebene zu beenden. Ungewöhnlich ist allerdings die Geschwindigkeit, die sowohl der neue Präsident Joe Biden als auch die Demokraten im Senat und Repräsentantenhaus bei einigen Themen an den Tag legen, darunter auch hinsichtlich der Legalisierung von Cannabis für Erwachsene. Diese wird in den USA mittlerweile von mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterstützt. Dazu beigetragen hat sicherlich die Tatsache, dass viele Befürchtungen, die vor der Legalisierung in vielen US-Staaten geäußert wurden, nicht eingetreten sind. So hat insbesondere der Konsum unter Jugendlichen nicht zugenommen.
Deutschland tut sich dagegen selbst bei der medizinischen Verwendung von Cannabis weiterhin schwer. Wenn die Gefahren des Cannabiskonsums und insbesondere die Auswirkungen auf den Konsum durch Jugendliche nicht so schwerwiegend sind, wie früher häufig behauptet, ist es nicht mehr rational begründbar, den Zugang zu Cannabis für Patienten so streng wie gegenwärtig in Deutschland zu reglementieren. Dahinter stehen letztlich die Befürchtungen, der eine oder andere Patient könne einen legalen Zugang zu Cannabis erhalten, obwohl dies nicht unbedingt notwendig wäre, und die Gefahren der Verwendung von Cannabis würden bagatellisiert. Eine strenge Prüfung hat letztlich immer die Konsequenz, dass viele die Prüfung zu Unrecht nicht bestehen. Aufgrund dieser Befürchtung müssen viele andere unnötig leiden und werden kriminalisiert. Die kommende Bundestagswahl gibt uns die Chance, alle Parteien im Vorfeld zu befragen, ob sie weiterhin der Auffassung sind, dass viele Patienten trotz Unterstützung durch einen Arzt auch in Zukunft von einer legalen Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten ausgenommen bleiben und kriminalisiert werden sollten.
Es ist leider nicht selten, dass selbst Patienten, die Cannabis legal verwenden dürfen, von einzelnen Polizeibeamten, Führerscheinstellen und Vertretern der Justiz drangsaliert werden. Wir dokumentieren hier einen extremen Fall, der ihn Vice veröffentlicht wurde. Ein solches Verhalten schadet auch dem Ruf der involvierten Berufsgruppen insgesamt. Es ist kritisch für einen Staat, wenn Kranke aufgrund konkreter Vorkommnisse von Polizeiwillkür ihren „Freund und Helfer“ fürchten müssen.
Ab sofort besteht für Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit, sich für einen Intensivworkshop der ACM am Abend nach der kostenlosen ganztägigen Fortbildungsveranstaltung am 20. März anzumelden.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Intensiv-Workshop: Praxis der Cannabinoid-Therapie
Am Abend der kostenlosen Fortbildungsverstaltung der ACM am 20. März 2021, an dem alle Interessierten teilnehmen dürfen, findet ein kostenpflichtiger Intensiv-Workshop für Ärztinnen und Ärzte mit begrenzter Teilnehmerzahl statt.
Leitung: Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl und Dr. Franjo Grotenhermen
Datum: 20. März 2021
Zeit: 20:00 bis 21:30 Uhr
Dauer: 90 Minuten
Teilnahmegebühr: 75 EUR
Maximale Teilnehmerzahl: 25
Zur Reservierung der Teilnahme schicken Sie bitte eine E-Mail mit einer verbindlichen Anmeldung unter Nennung Ihres vollständigen Namens und Ihrer Adresse an info@arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de. Es gelten Datum und Uhrzeit des Eingangs Ihrer Anmeldung. Sie erhalten dann weitere Informationen und eine Rechnung.
Presseschau: Wie die schwäbische Justiz einen unschuldigen Cannabis-Patienten vor Gericht (Vice)
Es ist nicht ungewöhnlich, dass gesetzestreue Cannabispatienten ihren Führerschein verlieren. Vice berichtet von einem Fall strafrechtlicher Verfolgung.
Wie die schwäbische Justiz einen unschuldigen Cannabis-Patienten vor Gericht zerrte (Vice)
Lenn Reich befolgte alle Regeln und landete trotzdem vor Gericht. Weil die baden-württembergische Justiz offenbar die eigenen Gesetze nicht kennt.
Als die Ulmer Polizei Lenn Reich kontrolliert, macht er sich noch keine Sorgen. Und das obwohl er an diesem Tag im Mai 2020 Cannabis in der Tasche stecken hat. "Auf die Nachfrage ob ich etwas dabei hätte, habe ich direkt meinen Joint rausgeholt und gesagt, dass ich Cannabis-Patient bin", sagt der 23-Jährige. Das Weed hatte er in einer Apotheke gekauft, ganz legal verordnet von einem Arzt. Dieser hatte ihm 2019 zum ersten Mal Cannabis gegen Schmerzen verschrieben, unter denen er aufgrund einer Kugelzellenanämie leidet. Herkömmliche Schmerzmittel wirken bei dieser Krankheit oft nicht.
Bei der Kontrolle belegt Lenn seinen Patientenstatus und die Herkunft seiner Medizin mit Kopien der erforderlichen Dokumente. Auch der Polizist, der die Kontrolle durchführt, bestätigt das später laut Lenns Anwalt vor Gericht. Trotzdem beschlagnahmen die Beamten den Joint und zeigen Lenn wegen illegalem Besitz von Betäubungsmitteln an. Wie Lenn schildert, hätten die Polizisten behauptet, man dürfe medizinisches Cannabis nur vaporisieren, ansonsten seien Besitz und Konsum missbräuchlich und somit eine Straftat. Zudem sei sein Rezept älter als einen Monat und deshalb "abgelaufen".
Mit all dem liegen die Beamten grundlegend falsch. Und trotzdem geht der Fall vor Gericht. Denn noch immer scheinen manche Polizisten, Staatsanwaltschaften und Gerichte nicht wirklich über Cannabis als Medizin bescheid zu wissen. Und noch immer müssen sich Patientinnen und Patienten deshalb für ihre Medikamente rechtfertigen.
Cannabis als Medizin: Die Rechtslage ist eindeutig
Das wäre vermeidbar, wenn Polizistinnen und Polizisten besser aufgeklärt würden. Denn die Rechtslage ist klar. Für das Rauchen von Cannabis gibt es, anders als fürs Vaporisieren und Teezubereitungen, keinen so genannten Verordnungsschlüssel. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) betont, dass Cannabis nicht zum Rauchen verordnet werden solle. Wer sein Cannabis entgegen der ärztlichen Empfehlung raucht, macht sich allerdings nicht strafbar. Ist die Polizei der Meinung, der Konsum eines legalen Medikaments erfolge missbräuchlich, müsste sie den Vorfall allenfalls dem BfArM, nicht der Staatsanwaltschaft melden.
Kurzum: Dem Patienten das Rauchen abzugewöhnen ist Sache des Arztes, nicht der Polizei.
Aber war Lenns Rezept tatsächlich ungültig? Nicht eingelöste Cannabis-Rezepte laufen nur dann ab, wenn man sie nicht innerhalb von einer Woche in einer Apotheke abgibt. Ein einmal eingelöstes Rezept wie Lenns hat jedoch kein Verfallsdatum. Das gibt es nur für die Blüten. Deren Verfallsdatum steht auf der Packung und liegt im Normalfall sechs Monate nach dem Erntezeitpunkt. Aber auch wenn ein legales Betäubungsmittels abgelaufen ist, wird dessen Besitz nicht illegal. Man sollte es dann nur nicht mehr konsumieren und in einer Apotheke abgeben.
Mit dem Strafrecht haben diese Regeln außerdem wenig zu tun. Falls Cannabis-Patienten gegen die sogenannte Betäubungsmittelsicherheit verstoßen oder das verschriebene Medikament missbräuchlich einnehmen, begehen sie allenfalls eine Ordnungswidrigkeit gemäß Paragraf 32 des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG). Dort werden Dinge wie die unsachgemäße Lagerung oder eine unbefugte Weitergabe geregelt, den Artikel zur falschen Einnahmeform sucht man jedoch vergeblich. Das heißt, selbst wenn Cannabis-Patienten ihre Medizin anders einnehmen als vom Arzt verordnet, fehlt die Rechtsgrundlage, sie dafür zu bestrafen.
Zurück in Ulm bei der Personenkontrolle. Wie Lenn schildert, hatte er noch einen weiteren Grund, sich keine großen Gedanken wegen der Polizei zu machen: Er kann vor Ort nachweisen, dass er sich bereits vor der Kontrolle einen Folgetermin beim Arzt besorgt hatte, um seine Therapie fortzusetzen. Deshalb, so erzählt es Lenn, denkt er zu diesem Zeitpunkt noch, die Vorwürfe klären sich im Laufe der Ermittlungen von selbst, nachdem die Staatsanwaltschaft seine Dokumente sorgfältig geprüft hat. Aber es kommt anders.
Anfang Juli 2020 bekommt Lenn Post von der Staatsanwaltschaft. Er habe erwartet, dass das Verfahren eingestellt wurde, sagt er. Aber stattdessen zieht er einen Strafbefehl aus dem Umschlag, das Schreiben liegt VICE vor. Es erwähnt weder Lenns Status als Cannabis-Patient noch die eingereichten Dokumente mit einer Silbe. Der Azubi soll wegen eines Joints 40 Tagessätze zu je 25 Euro, also insgesamt 1.000 Euro Strafe bezahlen und die Verfahrenskosten tragen. Lenn holt sich einen Anwalt.
Die Höhe der Strafe wäre auch dann maßlos, wenn Lenn den Joint nicht legal als Medizin besessen hätte, sondern nur, um ihn zur Entspannung zu rauchen. Auch dann hätte jede Staatsanwaltschaft in Baden-Württemberg das Verfahren einstellen können. Das darf sie im Rahmen der Verordnung zur Geringen Menge Cannabis, wenn es um nicht mehr als sechs Gramm geht. Ein kleiner Joint, der mit Papier und Filter 0,83 Gramm wiegt, fällt sicher unter diese Regelung. Und das gilt selbst in Wiederholungsfällen, sofern man von gelegentlichem Konsum ausgehen kann. Trotzdem: Lenn muss vor Gericht.
Zwei Verhandlungstage für einen Joint
Es dauert zwei quälende Verhandlungstage, bis sich das Gericht dazu durchringt, Lenn am 8. Dezember 2020 freizusprechen. Eine Woche später hätten er und sein Anwalt nicht schlecht gestaunt, sagt Lenn, als sie die Begründung des rechtskräftigen Urteils lasen. Auch darin wird nicht erwähnt, dass Lenn Cannabis-Patient ist und sein Rezept ihm den Besitz von medizinischem Cannabis gestattet.
"Am 20.5.2020 führte der Angeklagte im Bereich des Spielplatzes […] wissentlich und willentlich einen Joint bestehend aus 0,83 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch mit sich. Wie er wusste, besaß der Angeklagte nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.
Die Tat konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte war folglich aus tatsächlichen Gründen freizusprechen"
Diese Begründung des Freispruchs macht stutzig. Da der Joint beschlagnahmt wurde und Lenn dessen Besitz nie bestritten hat, kann es hier gar nicht um die Frage gehen, ob das Gericht eine Straftat beweisen kann oder nicht. Die Beweislage ist eindeutig, es war Lenns Joint.
Es müsste schlicht und einfach darum gehen, ob Lenn den Joint besitzen durfte oder nicht. Da er die erforderliche Erlaubnis in der Tasche hatte, durfte er das und wurde deshalb auch freigesprochen. Doch diese Tatsache wollte man ihm anscheinend im Rahmen der schriftlichen Urteilsbegründung nicht bestätigen. In diesem Zusammenhang stellten wir seit Juli 2020 vier schriftliche und fünf telefonische Presseanfragen beim Amtsgericht Ulm. Bis zur Veröffentlichung dieses Artikels blieben alle Anfragen unbeantwortet. Wir erhielten lediglich eine Antwort per Post, in der uns die Akteneinsicht verweigert wurde. Die hatten wir jedoch gar nicht beantragt.
Nicht zum ersten Mal hat die Justiz im Süden der Republik gezeigt, dass Cannabis-Patientinnen und Patienten sich dort trotz eindeutiger Rechtslage immer wieder in einem rechtsfreien Raum bewegen. Dieser existiert nur, weil Polizei und Gerichte das Gesetz falsch anwenden. Öffentlich wird diese Praxis nur, wenn sich die Betroffenen wie in diesem Fall wehren. Die Kosten der Ulmer-Joint Posse tragen aufgrund des Freispruchs die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Das Übergehen des Patientenstatus, der völlig überzogene Strafbefehl, eine zweitägige Verhandlung um einen ziemlich kleinen Joint sowie die mangelhafte Urteilsbegründung legen nahe, dass es hier nur am Rande darum ging, der aktuellen Gesetzeslage gerecht zu werden. Stattdessen sendet dieser Prozess ein anderes Signal: Cannabis-Patienten sind ausnahmslos verdächtig und Kiffen soll, Gesetz hin oder her, so illegal wie möglich bleiben.
"Ich bin froh, mich nach dem Freispruch wieder auf den Job und die Gesundheit konzentrieren zu können", sagt Lenn. Er wolle jetzt seinen Joint, der rund zehn Euro Wert war, zurück haben. Sollte der bereits vernichtet sein, muss die Polizei demnächst wohl zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die Kosten für einen zu Unrecht beschlagnahmten Joint erstatten.
Eine Pressemeldung der vergangenen Tage
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