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ACM-Mitteilungen vom 5. Mai 2019

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Liebe Leserin, lieber Leser,

finanzielle Verflechtungen von einflussreichen Wissenschaftlern mit pharmazeutischen Firmen spielen eine immer größere Rolle, auch wenn es um das Thema Cannabis in der Medizin geht.

Ein Beispiel sind die Leitlinien zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter aus dem Juni 2018. Dort heißt es auf Seite 43: „Cannabis soll für die Behandlung der ADHS nicht eingesetzt werden.“ Aufgrund dieser Aussage haben Patienten mit ADHS heute keine Chance mehr, eine Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis-Medikamenten von ihrer Krankenkasse zu erhalten, obwohl eine zunehmende Zahl von engagierten Psychiatern und Neurologen eine solche Therapie mit Cannabis bei ADHS befürwortet, und es auch eine kleine kontrollierte klinische Studie zur Verwendung des Cannabisextrakts Sativex bei ADHS gibt, die zeigt, dass Cannabis ein therapeutisches Potenzial bei ADHS besitzt.

Ein ärztlicher Kollege wies kürzlich in der Mailingliste für Ärzte der ACM auf mögliche Interessenkonflikte von Autoren der Leitlinie hin. So ist einem Übersichtsartikel zur Therapie der ADHS im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2017 zu entnehmen, dass der Leitlinienkoordinator Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski „Gelder für Beratertätigkeiten von Lilly, Medice, Novartis, Shire, Otsuka und Actelion“ erhielt. Das findet sich auf der letzten Seite unter „Interessenkonflikte“.

Lilly produziert das ADHS-Medikament Strattera mit dem Wirkstoff Atomoxetin. Medice stellt das Methylphenidat-Präparat Medikinet, Novartis das Methylphenidat-Präparat Ritalin und Shire das ADHS-Medikament Elvanse mit dem Wirkstoff Lisdexamphetamin her. Selbstverständlich reicht das allein nicht aus, um die wissenschaftliche Aussagekraft von Artikeln von Professor Banaschewski infrage zu stellen. Wenn man aber sieht, dass auch gewichtige Coautoren der Leitlinien für die Behandlung der ADHS und des Artikels im Deutschen Ärzteblatt Beraterverträge mit den gleichen Firmen haben, kommen doch Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit auf. So heißt es beispielsweise zu 2 weiteren Autoren: „Prof. Döpfner erhielt Honorare für Beratertätigkeiten von Medice, Shire, Lilly und Vifor. (…) Prof. Rösler erhält Lizenzgebühren vom Hogrefe Verlag. Für Beratertätigkeiten wird er honoriert von Medice, Shire und Lilly.“

Das ist keine gute Entwicklung. Heute sind Professoren von Medizinische Fakultäten gezwungen, Drittmittel für ihre Forschung zu akquirieren, weil öffentliche Gelder nicht mehr ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Drittmittel kommen von pharmazeutischen Firmen mit konkreten Erwartungshaltungen, die durch kritische Aussagen nicht verprellt werden dürfen, weil die finanzielle Förderung dann eingestellt werden könnte. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, das man nicht allein dem Einzelnen vorhalten kann. Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, in dieser Struktur unabhängig zu bleiben.

Es ist begrüßenswert, dass solche Interessenkonflikte zumindest offen gelegt werden müssen. Das ändert aber nichts am Konflikt.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Presseschau: 226 Millionen Euro: Bionorica verkauft Cannabis-Geschäft (Apotheke-AdHoc)

Ein milliardenschweres Unternehmen in der Cannabis-Branche, Canopy aus Kanada, das keine Lizenz zum Anbau von Cannabis in Deutschland erhalten hat, hat nun die Cannabis-Sparte von Bionorica gekauft. Das deutsche Tochterunternehmen von Canopy ist Spektrum Cannabis.

226 Millionen Euro: Bionorica verkauft Cannabis-Geschäft

Bionorica gilt nicht nur als Branchenpionier mit mehr als 20 Jahren Erfahrung, sondern auch als einziger Anbieter, der mit Cannabis in Deutschland Geld verdient. Rund 19.500 Patienten wurden 2018 nach Firmenangaben mit Dronabinol versorgt, im Jahr zuvor – als Cannabis auf Rezept freigegeben wurde – waren es noch 10.500. Für dieses Jahr geht man in Neumarkt von 33.000 Patienten aus.

Rund 27 Millionen Euro Umsatz erzielte Bionorica im vergangenen Jahr in der Sparte C3, zu der Bionorica Ethics, THC Pharm und C3 Ethics Austria gehören. Davon entfielen 22 Millionen Euro auf Dronabinol und rund 5 Millionen Euro auf Cannabidiol (CBD). Bionorica hat damit nach eigenen Angaben einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Das Wachstum soll nach derzeitiger Planung weitergehen. Mit 43 Millionen Euro Umsatz weltweit rechnet man in Neumarkt für 2019; alleine in Deutschland kämen 800.000 Patienten für eine Therapie mit THC-basierten Wirkstoffen in Frage.

Firmenchef Professor Dr. Michael Popp ist seit 2002 in dem Bereich aktiv; über viele Jahre hinweg fuhr er damit hohe Verluste ein. 2014 wurde der insolvente Mitbewerber THC Pharma aus Frankfurt übernommen. Aus Hessen stammen seitdem die synthetischen Produkte, die natürlichen kommen jedoch aus Neumarkt. Der Anbau des Medizinalhanfs für die Bionorica-Produkte findet in Österreich statt.

Popps Durchhaltevermögen zahlt sich jetzt aus. Denn es ist keineswegs gesagt, dass der Markt auch in Zukunft so funktioniert wie bislang. Während das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bereits Zuschläge für den Anbau von sieben Tonnen an neun Anbieter erteilt hat, würden die Kassen am liebsten auch die Versorgung in den Apotheken ausschreiben, um die Preise in den Griff zu bekommen. Andererseits stehen auch Pharmafirmen in den Startlöchern, um mit einer Zulassung in den Markt zu gehen.

Was bislang fehlt, ist eine Studie. Bionorica selbst hatte versucht, für sein Cannabis-Präparat Kachexol eine Zulassung als Generikum zu bekommen. Entsprechend hatte das Unternehmen sich auf die Zulassung des bislang einzigen Cannabis-Präparates Marinol bezogen und eine Bioäquivalenzstudie eingereicht. Der US-Konzern Abbvie besitzt in der EU derzeit allerdings keine Zulassung, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lehnte daher ab.

Diese Gemengelage war – neben dem perfekten Zeitpunkt – auch ein Grund für den Ausstieg. Seit langem wisse man, dass ein sehr umfangreiches und kostenintensives Forschungsprogramm zur Erschließung der verschiedenen Therapieoptionen im Bereich medizinisches Cannabis notwendig sei. Zudem drängten viele neue und finanzkräftige Wettbewerber in den Markt. „Für uns als Mittelständer ist das eine große Herausforderung. Für die Ansprüche an das Forschungsprogramm und den zunehmenden Wettbewerb sind wir nicht groß genug“, so das Unternehmen. „Zudem müssen wir uns auf unser Kerngeschäft fokussieren. Daher haben wir nach Kooperationen und Partnerschaften gesucht, um das bisher Erreichte ausbauen zu können.“

Ausschlaggebend für Canopy sei das grundlegende gemeinsame Verständnis einer evidenzbasierten Cannabismedizin und deren intensiver Weiterentwicklung auf höchstem pharmazeutischem Standard gewesen. „Zum einen wird Canopy Growth, als eines der weltweit dynamischsten Unternehmen der Branche, das von uns Erreichte in kongenialer Weise ausbauen. Zum anderen werden wir den dadurch erreichten Mittelzufluss dafür verwenden, unser erfolgreiches und klar fokussiertes Kerngeschäft mit Hochdruckweiter zu entwickeln“, so Popp. Er verweist auf das umfangreiche Wissen, die Patentrechte, die Reputation bei Ärzten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark und die Expertise von Canopy im Bereich der natürlichenollspektrumprodukte.

Bruce Linton, Chairman und Co-CEO von Canopy, sagte: „Diese Akquisition wird uns in die Lage versetzen, Ärzten in ganz Europa eine größere Angebotsvielfalt zu ermöglichen, unseren Absatz und unsere Geschäftspräsenz auf dem Kontinent zu erhöhen und neue Innovationen voranzutreiben. Unser Ziel ist es, auf dem außergewöhnlichen Ruf und dem jahrzehntelangen Erfolg von Bionorica aufzubauen und in eine Phase eines innovativen Kontinuums medizinischer Cannabis-Therapien einzutreten, die es Ärzten weltweit ermöglichen, ihre Patienten besser zu behandeln.“

Die Standorte in Neumarkt, Frankfurt und Wien werden weitergeführt; 100 Mitarbeiter werden übernommen. Das Management – Deutschlandchef Dr. Josef Harrer, Marketing- und Vertriebsleiterin Kristin Mann, Finanzchefin Anna Urlacher und Österreichchefin Dr. Silvia Heise-Grubner bleiben ebenfalls an Bord.

Canopy mit Sitz in Smiths Falls ist börsennotiert und in 13 Ländern auf fünf Kontinenten aktiv. Bislang werden hauptsächlich Blüten vertrieben; hierzulande bietet die Tochterfirma Storz & Bickel medizinisch zugelassene Verdampfer an. Geplant ist eine langfristige Forschungskooperation mit Bionorica. Die im November 2018 gestartete klinische Studie zur Untersuchung der Wirkung von Dronabinol zur Behandlung der Spastik bei Patienten mit Multipler Sklerose wird entsprechend weitergeführt.

Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage

Jedes andere Medikament mit Nebenwirkungen wie Cannabis hätten wir längst verboten (Handelsblatt)

Für Cannabis als Medikament dürfen keine Sonderregeln gelten (Handelsblatt)

Eine erstaunliche Eigenschaft von Cannabis könnte bei der Heilung von Alzheimer helfen (Business Insider Deutschland)

Studie zur Selbstkontrolle im Umgang mit Cannabis (Medizin Aspekte)

Cannabis als Medizin im Mittelpunkt (Die Glocke Online)

Auf dieser Messe in Dortmund dreht sich alles um Cannabis (RP Online)