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ACM-Mitteilungen vom 5. Mai 2018
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Liebe Leserin, lieber Leser,
ich bekomme vermehrt E-Mails, aus denen hervorgeht, dass Ärzten die Bürokratie im Zusammenhang mit der Verschreibung von Cannabismedikamenten auf einem Kassenrezept zu umständlich sei. Wie etwa diese: „Mittlerweile habe ich einen Schmerztherapeuten bei mir im Ort gefunden, der mit mir eine Therapie gestartet hat... leider nur auf Privat-BTM-Rezept, da er sagt, dass 8 von 8 Kostenübernahme-Anträgen, die er bisher gestellt hat abgelehnt wurden, und er keine Lust mehr hat, auf die ganze Arbeit, wenn eh nix dabei rauskommt.“
Andererseits steigen die Quoten der Kostenübernahmen durch die gesetzlichen Krankenkassen. Was auf den ersten Blick erfreulich scheint, hat bei näherer Betrachtung kaum mit einer größeren Berücksichtigung der ärztlichen Meinung durch die Krankenkassen zu tun – ganz im Gegenteil. Diese Entwicklung basiert mehr auf eine (zumindest bisher erfolgreichen) Strategie der Krankenkassen.
So haben viele Ärzte erkannt, dass eine Kostenübernahme bei bestimmten Indikationen keine Aussicht auf Erfolg hat, und diese sich die Frustration der Bearbeitung von Anträgen für den Papierkorb ersparen. Der Vorstand der ACM hatte vor der Verabschiedung des Gesetzes die Befürchtung geäußert, dass die Krankenkassen die Indikationen, bei denen Kostenübernahmeanträgen erfolgreich gestellt werden können, selbst begrenzen – und damit selbst auswählen, bei welchen Indikationen sie in einigen Jahren nach Abschluss der Begleiterhebung zur Kostenübernahme gezwungen werden.
Möglicherweise werden die Krankenkassen in ein oder zwei Jahren in der Tat „nur [noch] in Ausnahmefällen“ Kostenübernahmeanträge ablehnen, weil die Ärzte nicht mehr ihren Überzeugungen folgen, sondern im vorauseilendem Gehorsam den Vorgaben und Gesetzesinterpretationen der Krankenkassen. Die Kriterien, nach denen die Krankenkassen bzw. der MDK Anträge befürwortet, sind schließlich bekannt. Gegenwärtig haben die Krankenkassen die maßgebliche Deutungshoheit bei der Auslegung des Gesetzes.
Am 19. Januar 2017 haben sich die Mitglieder des Bundestags aller Parteien über das Gesetz gefreut, das sie verabschiedet haben. Entweder die Krankenkasse weisen zu Recht darauf hin, dass das Gesetz einen großen Spielraum lasse und die Dinge nicht klar regelt, oder das Gesetz beinhaltet echte Fehler. Gemäß Äußerungen von Politikern aller Parteien war es die Absicht des Gesetzgebers, die Entscheidung des Arztes in den Vordergrund zu stellen. Dies ist in der Praxis leider nicht gelungen.
Die aktuelle Petition, die wir vor zwei Wochen gestartet haben, stellt dagegen die ärztliche Beurteilung hinsichtlich der Notwendigkeit einer Therapie mit Cannabis wieder in den Vordergrund. Ursprünglich hatten zumindest wir das Gesetz so gelesen, dass diese Beurteilung bereits jetzt im Vordergrund steht.
Diesmal wollen wir zunächst ausschließlich offline Unterschriften auf Unterschriftenlisten sammeln. Warum offline? Bei der letzten Petition im Jahr 2014 haben wir gleich mit einer online-Petition begonnen, was bedeutete, dass innerhalb einer Frist von 28 Tagen 50.000 Unterschriften gesammelt werden mussten, damit das Quorum für eine Beratung der Petition im Petitionsausschuss erreicht wurde. Wir hatten dieses Quorum damals knapp verfehlt und waren froh, dass der Petitionsausschuss unsere Petition dennoch behandelt hat.
Bei dieser Petition wollen wir das Quorum erreichen, ohne dass wir am Ende zittern müssen. Es geht darum deutlich zu machen, dass das Thema der medizinischen Verwendung von Cannabis in Deutschland mit der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht befriedigend gelöst ist. Es geht darum deutlich zu machen, dass Patienten, die aus ärztlicher Sicht eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten oder Cannabis erhalten sollten, diese auch erhalten. Dies hatten wir bereits in der Stellungnahme zum gegenwärtigen Gesetz betont.
Patienten sollen nicht mehr kriminalisiert werden.
Ärzte sollen nicht mehr gegängelt werden.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Spahn will rasche Reformen einleiten (Deutscher Bundestag)
„[…] Der Gesundheitsausschuss befasste sich daneben auch mit Vorlagen der Opposition zur kontrollierten Freigabe von Cannabis. Die Grünen-Fraktion hat dazu einen Gesetzentwurf (19/819 ) eingebracht. Hinzu kommen Anträge der FDP-Fraktion (19/515) und der Linksfraktion (19/832). Der Ausschuss beschloss zu dem Thema eine öffentliche Expertenanhörung am 27. Juni. […]“
Umfrage: Einsatz von Cannabisarzneimitteln in der Schmerz- und Palliativmedizin
Der Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD), die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) und die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. führen eine gemeinsame Online-Umfrage zum Einsatz von Cannabisarztneimitteln durch.
„Liebe BVSD-Mitglieder,
sehr geehrte Damen und Herren,
in der täglichen Praxis gewinnen Cannabisarzneimittel immer mehr an Bedeutung, sowohl in der Schmerz-als auch in der Palliativmedizin, aber auch darüber hinaus.
Mit der folgenden Online-Umfrage, die sich auf Ihre Erfahrungen bei der Verordnung von Cannabinoiden bezieht, wollen wir uns einen Überblick aus ärztlicher Sicht mit folgenden Fragen verschaffen:
a) Wer verschreibt Cannabis, wo, welches Cannabisarzneimittel, bei welchen Indikationen?
b) Wer verschreibt es nicht mehr?
c) Welche berufsrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Probleme befürchten Sie oder sind bei der Verordnung mit Cannabinoiden aufgetreten?
Ihre Antworten werden nach streng wissenschaftlichen und datenschutzrechtlichen Kriterien behandelt. Ein Rückschluss der Untersuchungsergebnisse auf einzelne Personen ist nicht möglich. Bitte bearbeiten Sie jede einzelne Aussage und lassen Sie keine aus. Bei den folgenden Fragen gibt es keine "richtigen" oder "falschen" Antworten. Antworten Sie bei der Bearbeitung des Fragebogens so, wie es Ihrer Person und Ihren Erfahrungen am ehesten entspricht.
Bevor Sie mit der Umfrage beginnen: Sie benötigen eine Medikamenten-Statistik Ihrer Cannabisarzneimittelverordnungen für das 1. Quartal 2018 (Anzahl) sowie die Anzahl der behandelten Patienten zur Beantwortung einiger Kernfragen! Erst wenn Sie diese Statistik zur Hand haben, bitten wir Sie mit dem Fragebogen zu beginnen.
Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Teilnahme. Bitte machen Sie auch weitere Kolleginnen und Kollegen, die Cannabisarzneimittel verschreiben, auf diese Umfrage aufmerksam!
Zum Online-Fragebogen:
https://www.survio.com/survey/d/A6H5Y5J7P7C2Y8N1L
Das Ausfüllen dieser Online-Umfrage wird ca. 20 Minuten in Anspruch nehmen. Alle Ihre Datenangaben werden vertraulich behandelt und bleiben anonym. Daten werden nicht an unberechtigte Dritte weitergegeben.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung.“
Ansprechpartner:
Dr. Knud Gastmeier
Karl-Marx-Straße 42, 14482 Potsdam
Telefon: 0331-743070
E-Mail: knud.gastmeier@t-online.de
Presseschau: Cannabis – Droge oder Arznei? Kranke berichten von spektakulären Behandlungserfolgen (Stern)
Der Stern brachte eine Titelgeschichte zur medizinischen Verwendung von Cannabis. Wir dokumentieren den Anfang des Artikels.
Cannabis – Droge oder Arznei? Kranke berichten von spektakulären Behandlungserfolgen
Oliver Bödeker hatte keine Waffe und keinen Plan, als er in die Sparkasse stürmte und brüllte: "Hände hoch! Das ist ein Banküberfall!" Einen Moment später war er wieder draußen und ging mit seiner Mutter einkaufen. "Zum Glück kennen mich alle im Viertel", sagt er. "Auch in der Sparkasse wissen sie, dass ich krank bin." Seine Mutter sagt: "Aber die Kunden waren schon etwas schockiert." Manchmal ist das Leben mit Tourette-Syndrom zum Lachen komisch, meistens ist es qualvoll. Bödeker, 23, kommen oft provozierende Worte über die Lippen, die er nicht so meint. Zur türkischen Nachbarin: "Du Schlampe!" Vor einem Holocaust-Mahnmal: "Heil Hitler!" Es ist einer seiner vielen Tics, er kann nichts dagegen tun. "Ein Druck baut sich in mir auf, den ich irgendwann entladen muss", sagt er. An schlechten Tagen beißt er sich alle paar Minuten in die Hand, der Kopf zuckt, es fliegen auch schon mal Gegenstände durch die Wohnung.
Der Effekt? Durchschlagend!
Bödeker ist intelligent, als Kind übersprang er die achte Klasse. Doch in der Pubertät siegte die Krankheit. Nach vier Schulwechseln und einer abgebrochenen Berufsausbildung ist er heute arbeitslos. Vorübergehend halfen ihm bestimmte Neuroleptika, die nicht für die Indikation Tourette zugelassen sind, sondern für Psychosen und Schizophrenien. Sie bescherten ihm einige bessere, einige schlechtere Jahre, bevor sie ihre Wirkung ganz verloren. Eine Nebenwirkung ist zudem Gewichtszunahme. Bödeker, als Kind schlank, wog zuletzt 180 Kilogramm. Im Auto passte der Sicherheitsgurt nicht mehr um seinen Bauch.
Seit fünf Monaten raucht er Cannabis auf Kassenrezept, verschrieben vom Hausarzt. Andere Medikamente nimmt er nicht mehr. Der Effekt? Durchschlagend! "Nur morgens vor der ersten Zigarette ticke ich noch." Seine Mutter Melanie Bödeker, zweite Vorsitzende der Tourette-Gesellschaft Deutschland, sagt: "Tagsüber ist er weitgehend frei von Tics. Und 38 Kilogramm abgenommen hat er außerdem." Sie war es, die bei deutschen Tourette-Experten dafür kämpfte, dass ihr Sohn diese Chance erhielt. Zuvor hatten ihr andere Mitglieder von großen Erfolgen berichtet.
Es ist eine dieser Geschichten, die demjenigen begegnen, der sich mit medizinischem Cannabis beschäftigt. Sie handeln von Menschen mit unterschiedlichsten schweren Krankheiten, die jahrelang auf der Suche nach Linderung waren. Dann rauchten sie ein paar Joints, es machte klick, binnen weniger Tage wurde alles besser. Fast zu schön, um wahr zu sein. Doch einige dieser Geschichten sind wahr, und sie stammen auch von Menschen, die nie mit Drogen zu tun haben wollten. Sie wecken große Hoffnungen bei Millionen von chronisch Kranken. Weitgehend einig sind sich die Wissenschaftler bislang, dass Cannabis vor allem bei drei Anwendungsgebieten wirkt: bei chronischen Schmerzen, Muskelspastiken bei Multipler Sklerose sowie Übelkeit und Erbrechen während Chemotherapien.
Das Potenzial der Heilpflanze aber scheint wesentlich größer. "Es gibt Hinweise auf eine heilsame Wirkung von Cannabis bei mehr als 50 Diagnosen", sagt die Psychiaterin Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover. So hat Cannabis schon bei Epilepsie, Schuppenflechte, Reizdarmsyndrom, Depression, Borderline-Störung, vermehrter Schweißproduktion und rheumatoider Arthritis geholfen. Die meisten dieser Hinweise stammen von 1061 Patienten, die sich eine Ausnahmeerlaubnis der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erstritten, um Cannabisblüten zu kiffen, zu verdampfen oder in Keksen zu essen. Ihre Ärzte mussten nachweisen, dass zuvor alle Standardtherapien versagt hatten. Es gibt auch zahlreiche kleinere Studien, die positive Effekte für einige dieser Krankheiten bestätigen.
[…]
Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage
Cannabis-Gesetz: „Regierung hat von Anfang an falsch geplant“ (Finanzen.de)
Cannabis als Leistung der GKV (Kassenärztliche Vereinigung Hessen)
Cannabis – das heiße Eisen in der Praxis (Ärzte Zeitung)
Psyche: Bereits ein Zug an der Cannabis-Tüte wirkt gegen Depressionen (heilpraxis)
Lidl verkauft jetzt auch Cannabis (Gründerszene)
Cannabis für die kranke Freundin: Bewährungsstrafe (Westfalenpost)
Zehnter Selbsthilfetag in Duisburg: Fast 40 Gruppen dabei (WAZ)
Fazit nach einem Jahr – Cannabinoide ja, Blüten nein (Ärzte Zeitung)
In der Schweiz gibt's Cannabis beim Discounter - für CHF 17.99 (euronews)