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ACM-Mitteilungen vom 5. Juli 2008
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Freie Demokraten, Grüne und Linksfraktion im Bundestag fordern die Beendigung der Strafverfolgung von Schwerkranken, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden
Am 26. Juni diskutierte der Deutsche Bundestag Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke zur medizinischen Verwendung von Cannabis, an der sich Redner aller fünf im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), beteiligten. Am 15. Oktober 2008 soll im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages eine öffentliche Expertenanhörung zum Thema stattfinden, zu der Patienten und andere Interessierte als Zuschauer herzlich eingeladen sind. Die Anhörung soll um 14 Uhr beginnen und eine Stunde dauern.
Die Reden der Vertreter von FDP (Detlef Parr), Die Linke (Monika Knoche) und Bündnis 90/Die Grünen (Dr. Harald Terpe) beinhalteten klare Forderungen nach einer Verbesserung der Möglichkeiten der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten und einer Beendigung der Strafverfolgung von Schwerkranken. Die beiden Vertreterinnnen der SPD (Dr. Marlies Volkmer, Sabine Bätzing) zeigten immerhin Verständnis für das Leid von Patienten, die von Cannabisprodukten profitieren, jedoch keinen legalen Zugang dazu haben. Die Vertreterin der CDU/CSU (Maria Eichhorn) redete im Wesentlichen am Thema vorbei.
Die Texte der Reden finden sich auf der Internetseite der IACM unter:
Die in den Reden erwähnte Umfrage des Allensbach-Instituts für Demoskopie findet sich unter:
www.cannabis-med.org/german/allensbach.pdf
Hier im Folgenden einige Zitate aus den Reden mit Kommentaren von Dr. Franjo Grotenhermen
(Die Kommentare stehen auch als PDF-Datei zur Verfügung unter:
www.cannabis-med.org/german/bundestag_kommentare.pdf
1.
*** Zitat: "Die Situation von schwerkranken Patienten, bei denen eine Behandlung mit Cannabis eine Linderung ihrer Leiden bewirken könnte, ist nicht befriedigend. Diese Menschen setzen ihre Hoffnung auf sachgerechte Lösungen in die Politik." (Dr. Marlies Volkmer, SPD)
* Kommentar: Es ist richtig, dass die Situation dieser Patienten unbefriedigend ist. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Betroffenen weiterhin Hoffnnung in die Politik setzen. Bisher hat die Politik nur das umgesetzt, zu dem sie durch Gerichtsurteile verpflichtet war, und dies überwiegend nur widerwillig und zögerlich. Wiederholt wurden und werden Auffassungen der obersten deutschen Gerichte von der Politik ignoriert. Zuletzt hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil darauf hingewiesen, dass bei Ausnahmegenehmigungen "insbesondere bei Cannabis" eine Erlaubnis zum Eigenanbau in Frage komme (BVerwG 3 C 17.04 vom 19.05.2005).
Die Hoffnung in die Politik ist nach meinem Eindruck weit überwiegend Enttäuschung und Wut gewichen. Es bleibt abzuwarten, ob es wieder Gründe geben wird, in dieser Frage Hoffnung in die Politik zu setzen.
2.
*** Zitat: "Damit ist erwiesen: Cannabis dient als Einstiegsdroge für den späteren Konsum harter Drogen." (Maria Eichhorn, CDU/CSU)
* Kommentar: Befürchtet Frau Eichhorn ernsthaft, dass Patienten, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, demnächst auch Heroin und Kokain konsumieren? Oder werden hier nur reflexartig bekannte Argumentationsmuster abgespult, auch wenn diese nicht zum Thema passen?
Es ist diese Ignoranz, die die Cannabispolitik so unglaubwürdig macht. Die Bevölkerung darf von der Politik ein Mindestmaß an Unterscheidungsfähigkeit erwarten. Es gibt einen Unterschied zwischen dem 15-jährigen Problemkonsumenten von Cannabis, der seine Ausbildung, seine Gesundheit und seine Zukunft gefährdet, und dem 50-jährigen Multiple-Sklerose-Patienten, der seine Spastik und seine Schmerzen mit Cannabis lindert und so seine Lebensqualität verbessert. So lange hier nicht - auch rechtlich - unterschieden wird, so lange ist jede Cannabispolitik unglaubwürdig.
Das Bundesverwaltungsgericht schreibt zudem in seinem Urteil vom 19. Mai 2005: "In das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht nur dadurch eingegriffen werden, dass staatliche Organe selbst eine Körperverletzung vornehmen oder durch ihr Handeln Schmerzen zufügen. Der Schutzbereich des Grundrechts ist vielmehr auch berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten werden." Wenn der Gesetzgeber Maßnahmen ergreift, die Patienten eine Therapie vorenthalten, und ihnen damit gesundheitlichen Schaden zufügt, so wird er schwerwiegende Gründe dafür anführen müssen. Solche Gründe kann ich im Zusammenhang mit der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten bei schweren Erkrankungen nicht erkennen.
3.
*** Zitat: "Natürlich steht es dem Gemeinsamen Bundesausschuss frei, über dronabinolhaltige Rezepturen zu beraten. Seine Entscheidung darüber, ob die Rezepturen von den Gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, ist aber wiederum vom Vorliegen solider wissenschaftlicher Studien abhängig. Ohne Beleg der Wirksamkeit kann die Solidargemeinschaft die Kosten für keine Therapie übernehmen." (Dr. Marlies Volkmer, SPD)
* Kommentar: Die Krankenkassen erstatten häufig Behandlungskosten, bei denen die genannten formalen Voraussetzungen nicht vorliegen, weder eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die betreffende Indikation noch ein Votum des Gemeinsamen Bundesausschuss.
Ein Beispiel: Eine der Indikationen, bei der Dronabinol erfolgreich eingesetzt wird, ist das Tourette-Syndrom, eine neuropsychiatrische Erkrankung, die mit charakteristischen Bewegungsstörungen und Tics einhergeht. Für diese Erkrankung ist in Deutschland allein das Neuroleptikum Haloperidol arzneimittelrechtlich zugelassen. Dieses Medikament wird jedoch wegen seiner bekannten schweren Nebenwirkungen nur selten zur Behandlung dieser Erkrankung eingesetzt. Mit Ausnahme von Dronabinol werden die Behandlungskosten für andere, für diese Indikation ebenfalls nicht zugelassene Medikamente (Risperidon, Aripiprazol, etc.) von den Krankenkassen ohne Beanstandungen erstattet. Im Gegensatz zu Dronabinol, dessen Wirksamkeit beim Tourette-Syndrom in einigen kleinen Studien an der Medizinischen Hochschule Hannover nachgewiesen wurde, gibt es beispielsweise keine Studien mit Aripiprazol, ein Medikament mit monatlichen Behandlungskosten bis zu 500 €, bei dieser Erkrankung. Es gibt jedoch, wie beim Dronabinol, Erfahrungen aus der klinischen Praxis, nach denen diese Medikamente beim Tourette-Syndrom von therapeutischem Nutzen sein können.
Das Verhalten der Krankenkassen erscheint als willkürlich. Im Falle von Dronabinol wird die Kostenübernahme selbst bei Indikationen abgelehnt, bei denen große Studien Wirksamkeitsnachweise erbracht haben, wie bei der Abmagerung (Kachexie) von Krebs- und Aidspatienten.
4.
*** Zitat: "Dronabinol ist ein Derivat, das aus THC-armem Nutzhanf teilsynthetisch hergestellt wird." (Dr. Marlies Volkmer, SPD)
* Kommentar: Dronabinol ist der Internationale Freiname für das in der Cannabispflanze natürlich vorliegende (-)-trans-Isomer des Delta-9-THC. Es ist ein natürliches Cannabinoid, das aus Cannabis extrahiert, aber auch synthetisch oder teilsynthetisch hergestellt werden kann.
5.
*** Zitat 1: "Danach müssen insbesondere Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels wissenschaftlich nachgewiesen werden." (Maria Eichhorn, CDU/CSU)
*** Zitat 2: "Grundsätzlich habe ich natürlich Vertrauen, dass ein Arzt eine konkrete Indikation zu stellen fähig und willens ist. Aber gerade bei einem Betäubungsmittel mit einem erheblichen Suchtpotenzial ist Skepsis angebracht." (Dr. Marlies Volkmer, SPD)
* Kommentar: Zugelassene Arzneimittel weisen häufig bedenkliche, zum Teil tödliche Nebenwirkungen auf, auch wenn ihre "Unbedenklichkeit" nachgewiesen wurde. Die Frage der Unbedenklichkeit sollte sich auch im Fall von Cannabis bzw. Dronabinol grundsätzlich an der Schwere der Erkrankung und den möglichen Behandlungsalternativen orientieren. So kann einem Medikament gegen Krebs die "Unbedenklichkeit" bescheinigt werden, obwohl es schwerste Nebenwirkungen verursachen kann, da es eben auch Leben rettet oder verlängert. Andererseits wird das oben erwähnte Haloperidol, dem vor vielen Jahren die Unbedenklichkeit bescheinigt wurde, wegen seiner schweren möglichen Nebenwirkungen heute nur noch selten beim Tourette-Syndrom eingesetzt, weil es nebenwirkungsärmere Alternativen, darunter auch Dronabinol, gibt. Das Suchtpotenzial von Cannabis ist vergleichbar mit dem einiger Medikamente. Im Jahr 1999 hat das Medizininstitut der USA in einem ausführlichen Gutachten zum medizinischen Potenzial von Cannabis festgestellt: "Marihuana ist keine vollständig gutartige Substanz. Es ist eine starke Droge mit einer Vielzahl von Wirkungen. Allerdings bewegen sich die unerwünschten Wirkungen einer Marihuanaverwendung mit Ausnahme der Schäden, die mit dem Rauchen verbunden sind, innerhalb der Wirkungen, die bei anderen Medikamenten toleriert werden." Am 13. Dezember 2007 hat die britische Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte (MHRA, Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency) einen öffentlichen Informationsbericht zu dem Cannabisextrakt Sativex veröffentlicht, in dem unter anderem gefolgert wird, dass das Sicherheitsprofil des Extraktes für die vorgeschlagene Patientenpopulation (multiple Sklerose) und Indikation (Spastik) im Prinzip als akzeptabel betrachtet wird.
6.
*** Zitat 1: "Im vorliegenden Antrag fordert die Fraktion Die Linke nun, die medizinische Anwendung von Cannabis zuzulassen. Für die Zulassung eines Arzneimittels gibt es in Deutschland klare Regelungen." (Maria Eichhorn, CDU/CSU)
*** Zitat 2: "Schlussfolgernd daraus sagen wir Linke, das Arzneimittelgesetz muss geändert werden, damit eine arzneimittelrechtliche Zulassung möglich wird." (Monika Knoche, Die Linke)
* Kommentar: Um die betroffenen Patienten vom Strafverfolgungsdruck zu befreien, ist weder eine Änderung des Arzneimittelgesetzes erforderlich noch eine Zulassung von Cannabis als Arzneimittel nach dem Arzneimittelgesetz. Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) hat im Jahr 2002 den Vorschlag gemacht, im Betäubungsmittelgesetz einen Passus einzufügen, nach dem nicht nur der Besitz einer geringen Menge auf Grund des Vorliegens einer geringen Schuld zur Einstellung eines Strafverfahrens wegen des Verstoßes gegen das BtMG führen soll, sondern auch die medizinische Verwendung von Cannabis nach ärztlicher Empfehlung. Die ACM ist der Auffassung, dass Schwerkranken, die von Cannabis medizinisch profitieren und die Pflanze anwenden, keine Schuld trifft. Wir hoffen, dass die Einstufung als "geringe Schuld" eine Kompromissformel darstellt, die von der Politik breit getragen werden kann. Der Schutz vor Strafverfolgung hat nichts mit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung zu tun, sondern betrifft die Verhältnismäßigkeit bei der Ahndung von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Heute wird ein Freizeitkonsument von Cannabis nach dem BtMG genauso behandelt wie ein Schwerkranker, der Cannabis mit Zustimmung seines Arztes verwendet, um sein Leiden zu lindern. Schlimmer noch: Schwerkranke sind Wiederholungstäter und nach dem Gesetz nicht selten Verbrecher, denen Gefängnisstrafen drohen.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 3 C 17.04 vom 19.05.2005) führte zum Thema der medizinischen Verwendung von Cannabis ohne arzneimittelrechtliche Zulassung aus: "Dabei ist sich der Betroffene bewusst, dass es keinerlei Gewähr für die therapeutische Wirksamkeit des eingesetzten Betäubungsmittels gibt. Bei schweren Erkrankungen ohne Aussicht auf Heilung gebietet es in diesem Rahmen die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderte Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit, die Möglichkeit einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG nur dann auszuschließen, wenn ein therapeutischer Nutzen keinesfalls eintreten kann."
Auch im Falle einer medizinischen Verwendung von Cannabis ohne arzneimittelrechtliche Zulassung, jedoch auf der Grundlage einer im Betäubungsmittelgesetz geregelten ärztlichen Empfehlung, ist sich der Betroffene über den Status von Cannabis bewusst.
7.
*** Zitat 1: "Zum anderen sind bei Haschisch, Marihuana und anderen illegalen Hanfzubereitungen derzeit weder der Wirkstoffgehalt nach Art und Umfang schädlicher Beimengungen bekannt." (Maria Eichhorn, CDU/CSU)
*** Zitat 2: "Meiner Ansicht nach birgt zudem die Freistellung von der Strafverfolgung einen gefährlichen Anreiz, preiswert illegale Produkte zu erwerben. Diese aber können unter Umständen erhebliche gesundheitliche Gefahren bergen." (Dr. Marlies Volkmer, SPD)
* Kommentar: Der Grund für mögliche schädliche Beimengungen oder die Unkenntnis des Wirkstoffgehalts ist die gegenwärtige Rechtslage, die den Patienten über den Starfverfolgungsdruck hinaus genau diesen zusätzlichen Gefahren aussetzt. Sobald ein Patient eine Genehmigung zum Import von Cannabis aus den Niederlanden oder zum Eigenanbau besitzt, wird er die Möglichkeit haben, ein qualitativ hochwertiges Produkt aus einer niederländischen Apotheke erwerben zu können oder ein biologisch hochwertiges Produkt selbst anzubauen, dessen Dronabinol-Wirkstoffgehalt er in einem rechtsmedizinischen Institut einer Universität gegen eine geringe Gebühr bestimmen lassen kann.
8.
*** Zitat: "Ich frage auch: Wie wollen Sie kontrollieren, ob der Patient den Hanf nur für den Eigenbedarf anbaut oder seine Nachbarschaft mitversorgt." (Dr. Marlies Volkmer, SPD)
* Kommentar: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Patienten wegen des Verbots Cannabis nicht anwenden. Wenn sie aus finanziellen Gründen kein Dronabinol einnehmen können, sind sie zum Eigenanbau oder zur Versorgung über den Schwarzmarkt gezwungen. Frau Eichhorn hat in ihrer Rede dargestellt, dass die Cannabisprohibition nicht verhindert hat, dass der Cannabiskonsum in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Ich gehe nach meiner Erfahrung davon aus, dass der Abschreckungseffekt insbesondere bei Patienten, die dringend auf Cannabis angewiesen sind, gering ist.
Falls ein Patient Cannabis illegal anbaut, ist im Gegensatz zu einem erlaubten Anbau keinerlei Kontrolle hinsichtlich einer möglichen Weitergabe an andere ("Nachbarschaft", andere Patienten, etc.) möglich. In den zwölf Staaten der USA, in denen die medizinische Verwendung von Cannabis erlaubt ist, ist diese Erlaubnis überwiegend an bestimmte Bedingungen geknüpft, beispielsweise eine Registrierung beim staatlichen Gesundheitsministerium und eine Beschränkung hinsichtlich der maximal anzubauenden Pflanzen und der maximal zu besitzenden Menge an Cannabis. Bei Zuwiderhandlungen kann die Erlaubnis entzogen werden und wird nach entsprechenden Medienberichten offenbar auch entzogen. Ich gehe daher davon aus, dass Patienten mit einer Erlaubnis dieses Privileg und damit die Möglichkeit einer legalen Linderung ihrer Leiden nicht leichtfertig durch eine illegale Weitergabe der Droge aufs Spiel setzen werden. Erst die Illegalität der medizinischen Verwendung von Cannabis verhindert jede Form von Kontrolle.
9.
*** Zitat: "So fand im Jahr 2005 ein Forscherteam des Institut Universitaire de Medicine Legale in der Schweiz heraus, dass Cannabis schädlicher ist als bisher vermutet. Den Probanden wurde eine geringe Dosis des aktiven Bestandteils von Cannabis delta-9-THC verabreicht, bei einem Teil der Testpersonen löste bereits diese geringe Dosis schwerwiegende Angststörungen und in weiterer Folge Realitätsverlust, Entpersonalisierung, Schwindel und paranoide Angststörungen aus." (Maria Eichhorn, CDU/CSU)
* Kommentar: Seit mehr als 30 Jahren werden in unregelmäßigen Abständen Studien veröffentlicht, nach denen Cannabis schädlicher ist als bisher vermutet, ohne dass sich bisher substanzielle Veränderungen der Einschätzung seiner Gefährlichkeit ergeben haben. Die erwähnte Studie aus dem Jahr 2005 vom rechtsmedizinischen Institut der Universität Lausanne wurde von einem Mitglied der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM) geleitet. Seriöse Wissenschaftler, die sich für eine medizinische Verwendung von Cannabis stark machen, wie der Leiter dieser Studie, setzen sich auch mit möglichen Nebenwirkungen auseinander. Dies ist eine Frage der ärztlichen und wissenschaftlichen Sorgfalt.
Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete fälschlicherweise davon, die Wissenschaftler hätten bei der zitierten Studie "niedrige" THC-Dosen verwendet (Reuters vom 1. April 2005). Die Teilnehmer erhielten allerdings keine niedrigen THC-Dosen, sondern entweder 20 mg orales Dronabinol oder eine orale Cannabiszubereitung, die im Durchschnitt entweder 15,8 oder 45,7 mg Dronabinol enthielt. In der Studie sollte die psychomotorische Beeinträchtigung und die Fahrtüchtigkeit nach Cannabiskonsum untersucht werden. Zwei der acht Teilnehmer entwickelten bekannte Symptome einer Dronabinol-Überdosierung mit Angstzuständen, die innerhalb einiger Stunden nach der Einnahme wieder verschwanden. Im Allgemeinen beginnen klinische Studien mit Einzeldosen von 2,5 oder 5 mg THC, selten mit 10 mg THC, um die passende und tolerierte Dosis zu ermitteln und starke Nebenwirkungen zu vermeiden. Die Verwendung von Einzeldosen über 15 mg, ohne vorherige Testung mit niedrigen Dosen, muss als fahrlässig bezeichnet werden, und mir ist unverständlich, warum dies geschehen ist. Ich habe dieses methodische Vorgehen in den IACM-Informationen vom 2. April 2005 kritisiert.
10.
*** Zitat: "Ideal wäre die arzneimittelrechtliche Zulassung dronabinolhaltiger und/oder auf Basis standardisierter Cannabisextrakte hergestellter Fertigarzneimittel." (Sabine Bätzing, SPD)
* Kommentar: Der demokratische Präsidentschaftskandidat in den USA, Barack Obama, hat in den vergangenen zehn Monaten mehrfach betont, dass er im Falle seiner Wahl die strafrechtliche Verfolgung von Patienten durch die Bundesbehörden in den zwölf Staaten, in denen die Möglichkeit zur legalen medizinischen Verwendung von Cannabis besteht, beenden werde. Idealerweise ist er ebenfalls dafür, dass in den USA ein Cannabisextrakt ein arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren durchläuft. Er ist sich allerdings darüber im Klaren, dass es auch ohne dieses Ideal praktische Lösungen für bestehende Probleme geben muss.
Der Sprecher der Kampagne Ben LaBolt erklärte im Mai 2008 auf entsprechende Fragen des San Francisco Chronicle (siehe IACM-Informationen vom 24. Mai 2008): "Obama unterstützt die Rechte von Staaten und lokalen Regierungen, diese Wahl zu treffen - obwohl er denkt, dass medizinisches Marihuana wie andere Medikamente den Regelungen der US Food and Drug Administration [US-amerikanische Arzneimittelbehörde] unterliegen sollte." Er erklärte, dass die FDA überprüfen sollte, wie Cannabis nach dem Bundesgesetz geregelt ist, während es den Staaten freigestellt sein sollte, den eigenen Kurs festzulegen. LaBolt sagte zudem, dass Obama im Falle seiner Wahl zum Präsidenten die Razzien der Bundesdrogenbehörde DEA gegen Versorgungsstellen für medizinischen Cannabis in Staaten mit ihren eigenen Gesetzen beenden würde.
11.
*** Zitat: "Gebetsmühlenartig wird immer wieder von "wissenschaftliche Studien" gesprochen, die die Wirksamkeit von Cannabis als Medizin für eine Vielzahl von Krankheiten beweisen würden. Fakt ist aber, dass der therapeutische Nutzen von Cannabis - abgesehen von Dronabinol bei bestimmten Indikationsbereichen - bis heute nicht eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen ist, auch wenn es zahlreiche Einzelfallbeispiele gibt, in denen Verbesserungen bei bestimmten Krankheitsbildern berichtet werden." (Sabine Bätzing, SPD)
* Kommentar: Auch wenn die aktuelle wissenschaftliche Datenlage zum medizinischen Nutzen von Cannabis für eine arzneimittelrechtliche Zulassung nicht ausreicht, so reicht sie doch aus, um festzustellen, dass Cannabis vielen Menschen helfen kann, und verpflichtet zu einem politischen Gnadenakt, zur Beendigung der Strafverfolgung von Patienten, die nach Auffassung ihrer behandelnden Ärzte deswegen nicht kriminalisiert werden sollten. Wer dies anders sieht, dem möchte ich die Frage stellen, welche methodischen Mängel beispielsweise die folgenden Studien aufweisen, um eine anhaltende Strafverfolgung von Patienten, die Cannabis zur Appetitsteigerung, Schmerzlinderung oder zur Linderung der Spastik bei multipler Sklerose verwenden, zu legitimieren.
- Haney M, Rabkin J, Gunderson E, Foltin RW. Dronabinol and marijuana in HIV(+) marijuana smokers: acute effects on caloric intake and mood. Psychopharmacology (Berl) 2005;181(1):170-8.
- Zajicek JP, Sanders HP, Wright DE, Vickery PJ, Ingram WM, Reilly SM, Nunn AJ, Teare LJ, Fox PJ, Thompson AJ. Cannabinoids in multiple sclerosis (CAMS) study: safety and efficacy data for 12 months follow up. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2005;76(12):1664-9.
- Abrams DI, Jay CA, Shade SB, Vizoso H, Reda H, Press S, Kelly ME, Rowbotham MC, Petersen KL. Cannabis in painful HIV-associated sensory neuropathy: A randomized placebo-controlled trial. Neurology 2007;68(7):515-21.
- Ware MA, Ducruet T, Robinson AR. Evaluation of herbal cannabis characteristics by medical users: a randomized trial. Harm Reduct J 2006;3(1):32.
Unsere Kenntnis über das therapeutische Potenzial von Cannabis geht heute weit über "Einzelfallbeispiele" hinaus. Eine vollständige Liste von klinischen Studien zur Untersuchung der Wirksamkeit von Dronabinol, anderen Cannabinoiden, Cannabisextrakten und gerauchtem Cannabis findet sich auf der IACM-Webseite unter:
www.cannabis-med.org/german/studies.htm
12.
*** Zitat 1: "Niemand von uns hat Zweifel daran, dass für viele Menschen Cannabis als Medizin hilfreich sein kann." (Sabine Bätzing, SPD)
*** Zitat 2: "Den in der Regel unter schwerwiegenden Krankheiten leidenden Patienten ist es [das Erlaubnisverfahren über das BfArM] kaum zuzumuten." (Sabine Bätzing, SPD)
*** Zitat 3: "Wir müssen den Betroffenen helfen, indem wir rechtliche Klarheit schaffen und die ohnehin durch ihre Krankheit schwer belasteten Menschen nicht noch der Strafverfolgung wegen illegalen Drogenbesitzes aussetzen." (Detlef Parr, FDP)
*** Zitat 4: "Wer Cannabis aus medizinischen Gründen benötigt, soll es ohne Angst vor Strafverfolgung besitzen und anbauen dürfen." (Harald Terpe, Bündnis 90/Die Grünen)
*** Zitat 5: "Sogar der Eigenanbau für Eigennutzung bei vorliegender ärztlicher Indikation muss erlaubt werden, will man nicht eine bestimmte Therapie ausschließen bzw. bestimmte Erkrankte wegen ihrer Eigenmedikation diskriminieren." (Monika Knoche, Die Linke)
* Kommentar: Gut gesprochen. Lasst den Worten nun Taten folgen!
(Quelle: Protokoll der 172. Sitzung der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages vom 26. Juni 2008)