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ACM-Mitteilungen vom 13. Juli 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir sind gespannt, wie der Gemeinsame Bundesausschuss auf seiner Sitzung am 18. Juli 2024 über mögliche Arztgruppen, die ohne Beantragung einer Kostenübernahme cannabisbasierte Medikamente verschreiben dürfen, entscheiden wird. Der G-BA berät das Thema seit dem letzten Jahr. Auch Vertreter der ACM haben an den Anhörungen des G-BA zum Thema teilgenommen.

Ebenso gibt es beim Thema Nutzhanf Fortschritte. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hat bekannt gegeben, dass er den Anbau und Umgang mit Nutzhanf liberalisieren möchte.

Eine abschließende Information für Mitglieder der ACM: Die nächste Mitgliederversammlung der ACM findet am 31. August 2024 statt. Ursprünglich hatten wir diese für den Juli geplant, die Versammlung musste aber verschoben werden. Mitglieder erhalten eine persönliche Einladung via E-Mail. Sie sind herzlich dazu eingeladen, Mitglied der ACM zu werden.

Heiter weiter!

Franjo Grotenhermen

Stellungnahme der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft e.V. (DPhG)

Die Expertenfachgruppe "Medizinisches Cannabis" der DPhG-Fachgruppe Pharmazeutische Biologie, zu deren Mitgliedern auch Dr. Dennis Stracke, Mitglied des ACM-Vorstandes zählt, hat eine Stellungnahme zu aktuellen Entwicklungen bei der Verschreibung von Cannabisblüten nach der Teillegalisierung am 1. April vorgelegt. Seither gibt es Ärzte einiger Telemedizin-Unternehmen, die Cannabis bei Bagatellerkrankungen oder möglicherweise auch ohne Vorliegen von Erkrankungen Cannabis auf Rezept verschreiben. Die Expertenfachgruppe hat unter der Leitung von Dr. Markus Veit wesentliche Aspekte der aktuellen Entwicklungen herausgearbeitet.

Vorbemerkungen aus ärztlicher Sicht von Dr. Franjo Grotenhermen, Geschäftsführer der ACM, zu der Stellungnahme der DPhG:

1. Die aktuelle Entwicklung der möglichen laxen Verschreibung durch einige Ärztinnen und Ärzte ist unter anderem deswegen populär geworden, weil die 2. Säule der Cannabislegalisierung noch nicht in Kraft getreten ist und Freizeitkonsumenten anderweitig nach Möglichkeiten suchen, um aus der Illegalität herauszukommen. Dadurch entsteht eine Vermischung von Cannabispatienten und Freizeitkonsumenten, die beide zunächst einmal nach einem berechtigten legalen Zugang zu Cannabis suchen.

2. Diese Entwicklung ist möglich geworden, weil für Cannabis, das nunmehr kein Betäubungsmittel mehr ist, nicht mehr der § 13 Betäubungsmittelgesetz Anwendung findet. Nach § 13 Betäubungsmittelgesetz dürfen Betäubungsmittel verschrieben werden „wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper begründet ist. Die Anwendung ist insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann.“

3. Selbst in Fachzeitschriften und Vorträgen auf Fachveranstaltungen haben die Autoren bzw. Referenten häufig nicht zwischen der Verschreibungsfähigkeit nach § 13 Betäubungsmittelgesetz und der Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 31 Abs. 6 SGB V unterschieden. Es war bisher bereits möglich, cannabisbasierte Medikamente zu verschreiben, wenn die Voraussetzungen nach dem Sozialgesetzbuch V nicht erfüllt waren. So konnten beispielsweise cannabisbasierte Medikamente zu Recht verschrieben werden, auch wenn Opiate verträglich und wirksam waren, mit dem Hinweis, dass eine Nutzen-Risiko-Bewertung zu dem Ergebnis gelangt, dass aufgrund möglicher Langzeitnebenwirkungen (insbesondere schwere von Abhängigkeit und Entzug) Cannabinoide vorzuziehen sind. Das gleiche galt für andere Medikamente, beispielsweise Biologika, mit Hinweis auf die Infektanfälligkeit durch Medikamente dieser Substanzgruppe.

4. Wie andere Initiativen im Bereich Cannabis als Medizin wenden wir uns als ACM grundsätzlich dagegen, dass cannabisbasierte Medikamente nur bei schweren Erkrankungen eingesetzt werden dürfen. Denn dies ist nicht sinnvoll. Wieso sollen erst Medikamente mit ausgeprägten Nebenwirkungen, wie etwa die von Opiaten oder Biologika, ausprobiert werden müssen, bevor weniger riskante cannabisbasierte Medikamente eingesetzt werden dürfen?

5. Es ist auch nicht korrekt, dass es die Absicht des Gesetzgebers war, dass nur Patienten mit schweren Erkrankungen cannabisbasierte Medikamente erhalten dürfen. Auch hier wurden die Verschreibungsfähigkeit und die Kostenübernahme durch die GKV vermischt bzw. verwechselt. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass nur Patienten mit schweren Erkrankungen eine Kostenübernahme nach § 31 Abs. 6 SGB V erhalten dürfen. Die Frage der Verschreibungsfähigkeit nach § 13 Betäubungsmittelgesetz wurde jedoch durch den Gesetzgeber im Jahr 2017 nicht tangiert.

DPhG-Statement: Pharmakotherapie mit Cannabisblüten und anderen magistralen Zubereitungen - Therapieoption mit zu befürchtendem Wildwuchs infolge der Legalisierung

Nach der Teil-Legalisierung von Cannabis in Form von Blüten durch das Cannabisgesetz ergeben sich eine Reihe von Konsequenzen für medizinisch verwendeten Cannabis. Cannabisblüten und-extrakte für medizinische Zwecke bleiben Arzneimittel, d.h. sie sind weiterhin verschreibungs- und apothekenpflichtig, es entfallen jedoch bestimmte betäubungsmittelrechtliche Vorgaben und die damit verbundenen Dokumentationspflichten. Wir erleben nun, wie in wenigen Wochen Firmen oder Firmengruppen mit telemedizinischen „Angeboten“ um (neue) „Patientinnen und Patienten“ werben. Anlass genug, um sich nach dem Wegfall der betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben mit den verbleibenden Vorgaben und Obliegenheiten der verschreibenden Ärzte und den möglichen Konsequenzen für „echte“ Patientinnen und Patienten zu befassen.

Bei der Verordnung von Cannabisblüten handelt es sich immer um einen sogenannten No-label-use. Mit dieser Bezeichnung wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um die Verordnung eines Arzneimittels handelt, für das es keine Zulassung gibt. Davon abzugrenzen ist der sogenannte Off-label-use, bei dem ein zugelassenes Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet wird, d.h. wenn beispielsweise das Fertigarzneimittel Sativex® bei chronischen Schmerzen anstatt in der zugelassenen Indikation (Patienten mit Spastik aufgrund Multipler Sklerose) verordnet wird. Beide Möglichkeiten ergeben sich aus der ärztlichen Therapiefreiheit, es handelt sich um sogenannte ärztliche/individuelle Heilversuche. Zur Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit zu Lasten der GKV gibt es eine Reihe sozialrechtlicher Vorgaben nach § 31 Abs. 6 SGB V. Diese Aspekte sollen hier nicht weiterbeleuchtet werden, sondern standesrechtliche und haftungsrelevante Aspekte, die sich bei der Verordnung von Cannabisblüten auf Privatrezept sui generis ergeben. Diese betreffen auch Verordnungen für die sogenannten Selbstzahler, bei denen eine Erstattung von der GKV abgelehnt wird oder Arzt und Patient eine solche aus unterschiedlichen Gründen nicht anstreben.

Bei Verordnung eines nicht zugelassenen Arzneimittels gibt es eine Reihe von Obliegenheiten um die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels, d.h. die Kriterien, die normalerweise im Rahmen der Zulassung überprüft werden, zu garantieren:

– Es muss sichergestellt sein, dass das verordnete Arzneimittel eine angemessene Qualität hat. Hier muss sich der Arzt auf die Inverkehrbringer der Blüten und die abgebende Apotheke und verlassen, wenngleich die legale Verantwortung bei ihm liegt. Dabei ist festzustellen, dass einzelne dieser Akteure ihren Obliegenheiten nicht immer nachkommen und beispielsweise nicht sicherstellen, dass Cannabisblüten zur Inhalation eine geeignete mikrobiologische Qualität haben (siehe dazu Deutsche Apotheker Zeitung 163 Heft 17 Seite 42-45 2023).

– Der Patient muss indikationsbezogen und individuell über Chancen der Wirksamkeit (Heilchancen) des Arzneimittels und den Stand der dazu vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und ärztlichen Erfahrungen informiert werden.

– Der Patient muss individuell über mögliche Risiken aufgeklärt werden. Das muss ebenfalls dem Stand der zum Behandlungszeitpunkt vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und ärztlichen Erfahrungen entsprechen. Dabei müssen der Gesundheitszustand, individuelle Erkrankungen und die Komedikation berücksichtigt werden, was in der Regel eine sorgfältige Anamnese erfordert.

– Der Patient muss im Lichte der bestehenden Chancen und Risiken ausdrücklich einwilligen.

Die Erfüllung dieser Obliegenheiten müssen individuell für jeden Patienten und für jede neue Verordnung eines bestimmten Arzneimittels dokumentiert werden (kontinuierlicher Überprüfungsprozess). Dabei sind auch die im Verlauf der Behandlung erzielten Behandlungserfolge mit einzubeziehen. In jedem Fall erfolgt die Verordnung auf eigene Verantwortung des verordneten Arztes. Eine Verletzung der Pflichten und Obliegenheiten seitens des Arztes impliziert erhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken. Das gilt auch im Falle des Auftretens (schwerer) unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Im Schadensfall haftet wegen der fehlenden Zulassung nicht der Arzneimittelhersteller, sondern der behandelnde Arzt. Die Behandlung mit solchen bzw. die Verordnung solcher Produkte kann sogar strafrechtliche Konsequenzen haben.

Vom Wesen her ist ein ärztlicher Heilversuch eine individuelle Therapieoption, die in der Regel dann genutzt wird, wenn mit zugelassenen Arzneimitteln keine Heilung oder Linderung der Symptome möglich war. Eine systematische Anwendung ist eher ungewöhnlich, wurde aber mit dem Gesetz zur medizinischen Anwendung von Cannabis („Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ vom 6. März 2017) in Deutschland erlaubt, um Patienten den Zugang zu medizinischem Cannabis zu ermöglichen. Dazu hat der Gesetzgeber in Deutschland im Sozialgesetzbuch (§ 31Abs. 6 SGB V) auch gewisse Rahmenbedingungen definiert, die für die kassenärztliche Versorgung gelten und Voraussetzungen für die Erstattung sind. Diese gelten für private Verordnung zwar strenggenommen nicht, es war aber sicher nicht die Intention des Gesetzgebers, Patienten sui generis den Zugang zu (nicht zugelassenen) Cannabisarzneimitteln zu ermöglichen, weshalb aus Sicht der DPhG-Expertenfachgruppe Medizinischer Cannabis die Rahmenbedingungen auch für die Versorgung von Privatpatienten gelten müssen – zumindest als grobe Richtschnur. Es ist auch kaum vorstellbar, dass der Gesetzgeber mit den derzeitigen Regelungen eine Regelversorgung jenseits der Arzneimittelzulassung etablieren wollte oder eine Versorgung für Patienten, für die es andere Therapieoptionen mit zugelassenen Arzneimitteln gibt. Damit gibt es eine ursprünglich intendierte Beschränkung der Versorgung auf schwerwiegende Erkrankungen, wenn andere Therapieoptionen nicht zur Verfügung stehen oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung kommen können, und wenn mit medizinischem Cannabis eine Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. In der einstimmig angenommenen Drucksache 18/8965 und Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit für das Gesetz zur medizinischen Anwendung von Cannabis wird konstatiert: „Dieses Gesetz dient dazu, die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln herzustellen, wie z. B. von getrockneten Cannabisblüten und Cannabisextrakten in standardisierter Qualität. Damit soll Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen nach entsprechender Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen ermöglicht werden, diese Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken in standardisierter Qualität durch Abgabe in Apotheken zu erhalten.“

Nota bene: Es geht hier nicht um die Stigmatisierung von Patienten, die sich möglicherweise auch bei weniger schwerwiegenden Erkrankungen eine Behandlung wünschen oder die in einem solchen Kontext agierenden Ärzte, sondern um die gesetzlichen Grundlagen der Möglichkeiten einer solchen Behandlung, den sich daraus ergebenden ärztlichen Obliegenheiten und um mögliche Haftungsrisiken. Wir möchten an dieser Stelle noch anmerken, dass der derzeitige Zugang von Patienten zu einer medizinischen Versorgung mit Cannabis nur ein transienter sein kann, bis es entsprechend zugelassene Arzneimittel gibt. Das gilt mit dem Wegfall der betäubungsmittelrechtlichen Vorgaben und den damit verbundenen Erleichterungen für die klinischen Forschung in Deutschland umso mehr. Andersfalls würden auf Dauer Arzneimittelhersteller schlechter gestellt, die ihre „Hausaufgaben“ machen und für Ihre Arzneimittel vor der Anwendung am Patienten eine Zulassung anstreben.

Mit zunehmender Verfügbarkeit von Extrakten und in nächster Zeit ggf. auch von anderen zugelassenen Arzneimitteln neben Sativex® gibt es auch keine Grundlage mehr für die Verordnung von magistralen Arzneimitteln. Ein Off-label-use ist einem No-label-use immer vorzuziehen, da die Risiken und die Qualität von zugelassenen Arzneimitteln behördlicherseits im Rahmen der Zulassung umfänglich bewertet wurden. Das spiegelt sich auch in den jüngsten Stellungnahmen des G-BA zu Cannabisblüten wider und auch in dem Umstand, dass sich beispielsweise Frankreich dazu entschlossen hat, Blüten nicht in das nationale Cannabisprogramm aufzunehmen.

Nicht im Sinne des Gesetzgebers ist es, wenn die Verordnung auf Privatrezepten von Konsumenten dazu genutzt wird, sich mit Cannabis zu Genusszwecken zu versorgen und so die Beschränkungen zur Fahrtauglichkeit der erlaubten Mengen und sonstiger Art, die nach der Legalisierung für Cannabisblüten gelten, vermeintlich zu umgehen.

Im Lichte der vorstehend geschilderten Rahmenbedingungen erscheint es fragwürdig, ob die aus dem Boden sprießenden telemedizinischen Konzepte in der zurzeit häufig praktizierten Form geeignet sind, die Versorgung von Patienten zu verbessern. Außerdem ist es mit vielen der praktizierten telemedizinischen Konzepte für die verordneten Ärzte kaum möglich, ihren Sorgfaltspflichten und Obliegenheiten für einen No-label-use nachzukommen. Daraus können sich erhebliche zivilrechtliche Haftungsrisiken für die verordnenden Ärzte ergeben. Einige der telemedizinischen Konzepte stehen im Widerspruch zu standesrechtlichen Anforderungen an die Pharmakotherapie und die dabei zu beachtenden Rahmenbedingungen. Es ist für den verordnenden Arzt kaum möglich, ohne eine vorliegende Fachinformation umfassend zu dem wissenschaftlichen Sachstand der vorliegenden Evidenz zur Wirksamkeit in einer bestimmten Indikation informiert zu sein. Diese Evidenz ist sehr viel schlechter als gemeinhin angenommen. Es gibt kaum konklusive klinische Daten, aber eine Fülle von explorativen Daten auf niedrigem Evidenzniveau. Das ist ein Problem, steht aber nicht unbedingt mit telemedizinischen Angeboten in Konflikt. Dieser besteht vielmehr in der Notwendigkeit einer sorgfältigen Anamnese und ärztlichen Begleitung der Therapie. Cannabisblüten sind je nach ihrem Spektrum und Gehalt an Cannabinoiden keinesfalls frei von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Diese können durchaus auch schwererer Natur sein oder zu Spätfolgen führen. Vor allem Blüten mit hohen THC-Gehaltenstellen ein Risiko dar und dürften die Fallzahlen von psychotischen Ereignissen erhöhen – übrigens auch bei Cannabis-gewohnten Konsumenten. Zudem gibt es ein nicht zu unterschätzendes allergenes Potential und Risiken zu Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln. Deshalb fordert die DPhG-Expertenfachgruppe für die telemedizinische Verordnung von Cannabisblüten und -extrakten in Verbindung mit dem Versandhandel klare und kontrollierbare Regeln zu schaffen, die bei Missachtung zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Um einen Jugend- und Gesundheitsschutz sicherzustellen, müssen Verordnungen die nur „auf Anfrage und auf Basis von einem Anamnese-Fragebogen“, basieren, unterbunden werden. Eine seriöse Therapiebegleitung kann es nur durch eine persönliche Anamnese im Gespräch zwischen Arzt und Patient und therapiebegleitenden Folgegesprächen geben, sowie diese nur von seriös und verantwortlich handelnden Ärzten praktiziert werden. 

Die aufgezeigten Spannungsfelder erfordern einen seriösen und sachgerechten Umgang mit der Thematik, immer mit der Prämisse, Patienten – falls erforderlich – den Zugang zu medizinischen Cannabisblüten oder anderen magistralen Cannabis-Arzneimitteln zu ermöglichen, um eine adäquate Versorgung sicherzustellen, bis mehr zugelassene Arzneimittel verfügbar sind. Der sich in den ersten Wochen nach Verabschiedung des Cannabisgesetzes abzeichnende „Wildwuchs“ wird sicher nicht dazu beitragen, die immer noch sehr skeptische Mehrheit der Mediziner davon zu überzeugen, dass Patientinnen und Patienten von einer Therapie mit Cannabis-Arzneimitteln profitieren können.

Sollten die neuen telemedizinischen Konzepte (illegal) von Verbrauchern genutzt werden, um sich unter Mitwirkung der verschreibenden Ärzte mit Cannabis zu Genusszwecken zu versorgen und diese Praxis durch entsprechende Anbieter toleriert oder gar gefördert werden, wäre das Wasser auf die Mühlen der Gegner der Legalisierung und könnte dazu beitragen, dass zumindest Teile des Cannabis-Gesetzes von einer neuen Regierung wieder rückgängig gemacht werden. Die telemedizinischen Angebote, die derzeit verstärkt an die Öffentlichkeit drängen, stellen in vielen Fällen gesetzlich bedenkliche Abläufe dar. Es handelt sich bei diesen Konzepten um eine institutionalisierte Unterschreitung fachlicher und medizinischer Standards für den Gesundheitsservice Telemedizin. Wettbewerbsrechtliche und heilmittelwerberechtliche Vorschriften gelten auch für diese Anbieter und können von diesen nicht ignoriert werden. Es entsteht der Eindruck einer Industrie, die anscheinend – zumindest in Teilen – vor allem nur an den zu erzielenden Gewinnen und nicht an einer sicheren und zweckorientierten Versorgung von Patienten interessiert ist.

Mit dem Missbrauch der bestehenden Regelungen wird Patienten und Verbrauchern und letztlich langfristig auch der gesamten Cannabis-Industrie ein Bärendienst erwiesen. Es ist deshalb aus Sicht der DPhG-Expertenfachgruppe notwendig, dass die seriös in diesem Markt agierenden Stakeholder solche Missstände klar benennen und dazu beitragen, sie zu verhindern oder zumindest einzudämmen versuchen. Damit ist ein Aufruf aus dem Jahr 2019 wieder hoch aktuell, der sich an Journalisten, Ärzte und Politiker gleichermaßen richtete. Unterzeichner waren eine Reihe von Medizinern unter Federführung von Prof. Winfried Häuser. Die Gruppe forderte damals, verantwortungsvoll über den Einsatz von Medizinalcannabis zu berichten, Cannabis-Präparate umsichtig zu verschreiben und Daten nach den Standards der evidenzbasierten Medizin zu berücksichtigen (siehe weiterführende Quellen).

Dr. Markus Veit, Vorsitzender der Expertenfachgruppe „Medizinisches Cannabis“ der DPhG-Fachgruppe Pharmazeutische Biologie

Im Namen der DPhG, Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Präsident

Presseschau: Cannabis-Anbauvereinigungen: Ministerin Staudte übergibt ersten Bescheid (Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Niedersachsen)

Seit dem 1. Juli dürfen in Deutschland Anbauvereinigungen gegründet werden. Die Zuständigkeiten für Anbauvereinigungen sind in verschiedenen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Eine Übersicht bietet die CAD (Cannabis Anbauvereinigungen Deutschland), die auch weitere Informationen bereitstellen. Wie verschiedene Medien berichten, ist der Andrang noch sehr gering.

Während sich viele Bundesländer mit Anträgen von Cannabis-Anbauvereinigungen schwertun, hat Ministerin Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen) aus Niedersachsen die erste Genehmigung unter Begleitung der Presse genehmigt.

Cannabis-Anbauvereinigungen: Ministerin Staudte übergibt ersten Bescheid

Anträge können seit dem 1. Juli gestellt werden – Landwirtschaftskammer ist zuständig für Zulassung und Überwachung

Den ersten Erlaubnisbescheid Niedersachsens hat Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte heute persönlich an den „Cannabis Social Club Ganderkesee“ überreicht.

Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte: „Die Zulassung der Anbauvereinigungen ist ein weiterer, wichtiger Schritt zur überfälligen Entkriminalisierung. Daher freue ich mich sehr, dass ich den ersten Erlaubnisbescheid dem ,Cannabis Social Club Ganderkesee‘ heute persönlich überreichen konnte. Mit Blick auf den Verbraucherschutz ist für mich klar: Mit dem Anbau durch Vereinigungen können Risiken vermieden werden, die von illegal verkauftem Cannabis ausgehen, wie beispielsweise ein überhöhter THC-Gehalt. Die Genehmigung und Kontrolle von Anbauvereinigungen ist bei der Landwirtschaftskammer in den besten Händen. Beim Präsidenten sowie dem Direktor und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kammer bedanke ich mich für die sehr zügige Bearbeitung und die engagierte Umsetzung der neuen Aufgaben!“

Kammerdirektor Dr. Bernd von Garmissen: „Dass bereits eine Woche nach Beginn der Antragsphase die erste Erlaubnis nach Paragraf 11 des Konsumcannabisgesetzes vorliegt, zeigt, wie effizient sich die Prüfdienste der Landwirtschaftskammer auf diese neue Aufgabe vorbereitet haben. Die kurzfristige Zulassung ist zugleich ein Beleg für die gute Vorbereitung der Anbauvereinigungen auf die Antragstellung.“

Kammerpräsident Gerhard Schwetje: „Diese erfolgreiche Startphase unterstreicht einmal mehr die große Bedeutung, welche die Prüfdienste heute und in Zukunft als integraler Bestandteil der Landwirtschaftskammer Niedersachsen haben. Die neue Aufgabe zeigt zugleich die hohe Motivation der Landwirtschaftskammer, die Landesregierung als kompetente Partnerin zu unterstützen.“

Anträge zum Betreiben von Cannabis-Anbauvereinigungen können seit dem 1. Juli bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen (LWK) gestellt werden. Um einen Erlaubnisbescheid zu erhalten, müssen die Anbauvereinigung eine Reihe Anforderungen und Auflagen erfüllen. So müssen sie unter anderem ein aktuelles Führungszeugnis vorlegen, sicherstellen, dass ihre Mitglieder mindestens 18 Jahre alt sind, ein Gesundheits- und Jugendschutzkonzept entwickeln und angebautes Cannabis ausreichend vor dem Zugriff Dritter schützen. Auch eine Kontrolle und die Dokumentation der THC-Gehalte gehören dazu. Für die Anbau- und Abgabemengen gibt es festgelegte Obergrenzen.

Unter www.lwk-niedersachsen.de/cannabis können bereits amtlich registrierte Vereine und Genossenschaften online einen Antrag stellen und sich über die Einzelheiten informieren. Zudem gibt es dort über die Mailadresse cannabis@lwk-niedersachsen.de oder über die Hotline 0441 801 600 die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der LWK.

Hintergrund:

Das Niedersächsischen Kabinett hatte Mitte Juni beschlossen, die Genehmigungsverfahren und die Überwachung von Anbauvereinigungen nach dem Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) auf die LWK übertragen. Das neue Cannabis-Gesetz ist seit dem 1. April 2024 in Kraft und gibt Regeln für den privaten Umgang mit Cannabis vor. In einer zweiten Stufe haben ab dem 1. Juli 2024 sogenannte Anbauvereinigungen die Möglichkeit, Cannabis gemeinschaftlich anzubauen und unter bestimmten Voraussetzungen an ihre Mitglieder abzugeben. Ausführliche Informationen zur Umsetzung des KCanG in Niedersachsen finden Sie hier: https://www.niedersachsen.de/cannabis/informationen-zum-cannabisgesetz-231845.html

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