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ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Am 9. März wurde das Gesetz zu Cannabis als Medizin im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat am 10. März in Kraft. Damit beginnt eine neue Ära der Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Cannabisblüten und cannabisbasierten Medikamenten.

Die wichtigsten Änderungen finden sich beispielsweise im einem Artikel von Professorin Kirsten Müller-Vahl und mir im Deutschen Ärzteblatt. Das kann man auch ausdrucken und damit seinen behandelnden Arzt oder seine behandelnde Ärztin kurz gefasste Informationen an die Hand geben. Die wichtigsten Änderungen betreffen die Verschreibungsfähigkeit von Cannabisblüten und die Verpflichtung zur Kostenübernahme bei schwerwiegenden Erkrankungen unter der Voraussetzung, dass diese zudem weitgehend austherapiert sind.

Für Irritationen sorgten einige Beiträge in der Pharmazeutischen Zeitung.

(Die hier zuvor stehenden Passagen, die sich auf Preise von Cannabisblüten in den Apotheken bezogen, habe ich am 20.3.2017 gelöscht, da sie unrichtige Angaben enthielten. F. Grotenhermen)

Wir denken, dass die meisten Apotheker nicht nur an ihrem eigenen Gewinn, sondern primär am Wohl ihrer Klienten interessiert sind.

Noch eine Meldung am Schluss: Der Workshop zum Eigenanbau von Cannabisblüten für Erlaubnisinhaber war ein voller Erfolg. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Allen Referenten und Organisatoren der Veranstaltung daher ein herzliches Dankeschön!

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Der Weg zu Cannabis als Medizin

Hier sind die Schritte beschrieben, die zur Verschreibung und zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse führen. Zu einigen Aspekten gibt es im Internet fehlerhafte Informationen, auch von Institutionen, die eigentlich als zuverlässig und seriös gelten.

1. Gute Vorbereitung des Arztbesuches

Informieren Sie sich gut, zunächst über die Webseite der ACM und mit dem Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt, damit Sie wissen, was sie wollen. Sie können nicht erwarten, dass Ihr Arzt gut informiert ist. Es reicht nicht aus, wenn Sie Ihrem Arzt sagen, dass Sie gern Cannabisblüten auf Rezept hätten. Sie sollten in der Lage sein, ihm zu sagen, welche Sorte Sie haben möchten. Hinweise zu Cannabissorten finden sich auf der ACM-Webseite. Wenn Sie bereits Erfahrungen mit der Verwendung von Cannabisblüten haben, teilen Sie ihm mit, wie sie es dosieren, beispielsweise Inhalation von 0,5 g in 4-5 Dosen über den Tag verteilt. Wenn Sie keine Erfahrungen haben, teilen Sie ihm bitte mit, ob Sie die Inhalation oder die orale Aufnahme bevorzugen. Dann kann er entsprechend die Dosierungsanleitung von der ACM-Webseite herauskopieren und unter seinen Briefkopf setzen. Informieren Sie sich auch genau darüber, unter welchen Voraussetzungen die Krankenkassen die Kosten einer Behandlung übernehmen, damit Sie Ihren Arzt entsprechend informieren können.

2. Arztbesuch

Fragen Sie Ihren Arzt, ob er grundsätzlich bereit ist, Ihnen cannabisbasierte Medikamente oder Cannabisblüten zu verschreiben. Bieten Sie ihm an, ihm alle Informationen zu liefern, die es ihm erleichtern, eine Verschreibung vorzunehmen und eine Kostenübernahme bei der Krankenkasse zu beantragen.

3. Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse

Hier findet sich ein Fragebogen der AOK zur Entscheidung über die Kostenübernahme. Bei Frage 9 sollten Sie schreiben, dass der Gesetzgeber an die Kostenübernahme nicht die Voraussetzung gestellt hat, dass es zur Erkrankung bzw. Symptomatik, um die es im konkreten Fall geht, Studien gibt. Die Kostenübernahme wurde ausdrücklich nicht an das Vorliegen bestimmter Indikationen knüpft. Der Arzt braucht daher keine Literatur zu nennen, geschweige denn Literatur im Original beizufügen. Hilfreich können jedoch Verweise sein, nach denen die Bundesopiumstelle bei den folgenden und weiteren Erkrankungen Ausnahmeerlaubnisse erteilt hat:

Allergische Diathese

Angststörung

Appetitlosigkeit und Abmagerung (Kachexie)

Armplexusparese

Arthrose

Asthma

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Autismus

Barrett-Ösophagus

Blasenkrämpfe nach mehrfachen Operationen im Urogenitalbereich

Blepharospasmus

Borderline-Störung

Borreliose

Chronische Polyarthritis

Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS)

Chronisches Schmerzsyndrom nach Polytrauma

Chronisches Wirbelsäulensyndrom

Cluster-Kopfschmerzen

Colitis ulcerosa

Depressionen

Epilepsie

Failed-back-surgery-Syndrom

Fibromyalgie

Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie mit Schmerzzuständen und Spasmen

HIV-Infektion

HWS- und LWS-Syndrom

Hyperhidrosis

Kopfschmerzen

Lumbalgie

Lupus erythematodes

Migraine accompagnée

Migräne

Mitochondropathie

Morbus Bechterew

Morbus Crohn

Morbus Scheuermann

Morbus Still

Morbus Sudeck

Multiple Sklerose

Neurodermitis

Paroxysmale nonkinesiogene Dyskinese (PNKD)

Polyneuropathie

Posner-Schlossmann-Syndrom

Posttraumatische Belastungsstörung

Psoriasis (Schuppenflechte)

Reizdarm

Restless-Legs-Syndrom

Rheuma (rheumatoide Arthritis)

Sarkoidose

Schlafstörungen

Schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie

Systemische Sklerodermie

Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese

Thalamussyndrom bei Zustand nach Apoplex

Thrombangitis obliterans

Tics

Tinnitus

Tourette-Syndrom

Trichotillomanie

Urtikaria unklarer Genese

Zervikobrachialgie

Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma

Zwangsstörung

Letztes Update der Liste: 12.03.2017

Für die meisten Erkrankungen, die oben genannt wurden, inklusive Migräne, Hyperhidrosis, Arthroseschmerzen, ADHS oder Reizdarm gibt es keine oder nur wenig aussagekräftige Studien.

Für die Kostenübernahme ist es nicht erforderlich, dass Sie sich vorher Cannabisblüten auf einem Privatrezept verschrieben haben lassen, wie es gelegentlich behauptet wurde. Sowohl Sie als auch Ihr behandelnder Arzt können eine Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragen.

4. Weitere Gültigkeit der Ausnahmeerlaubnis

Wenn Sie eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten von der Bundesopiumstelle haben, so haben einige Krankenkassen offenbar bereits erklärt, dass sie keine erneute Prüfung vornehmen wollen, sondern die Kosten erstatten. Von anderen Krankenkassen war zu hören, dass sie bei bestimmten Indikationen die Kosten nicht erstatten würden. Das wird möglicherweise dann vor den Sozialgerichten zu klären sein.

Die Erlaubnis ist noch 3 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes gültig, also bis zum 10. Juni 2017. Bis dahin können Erlaubnisinhaber weiterhin ohne Rezept Cannabis in der Apotheke abholen.

5. Erwerb von Cannabisblüten in der Apotheke

Mit einem Betäubungsmittelrezept können Sie in jeder Apotheke Cannabisblüten bestellen. Sie sind nicht, wie zuvor Erlaubnisinhaber, an eine bestimmte Apotheke gebunden. Es gibt einige Fehlinformationen zu den Preisen. Die kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat in einem Schreiben an Ärzte vom 3. März 2017 darauf hingewiesen, dass es bei der Verschreibung von Cannabisblüten 3 Verordnungsmöglichkeiten gibt.

1. Verordnung als unverändertes „Produkt“, also so wie es importiert wird, wird es auch abgegeben. In diesem Fall gelten Cannabisblüten als Fertigarzneimittel und sollten nicht mehr als 70 € kosten.

2. Verordnung in einer Menge, die nicht den importierten Packungsgrößen entspricht. Beispiel: Bedrocan 7,5 g (geliefert wird Bedrocan in 5 g Packungen). Man sollte möglichst nur in den Packungsgrößen bestellen, die verfügbar sind, also die Sorten von Bedrocan und von MedCann in 5-Gramm-Schritten sowie die Sorten von Pedanios in 10-Gramm-Schritten. Auf diese Weise erspart man sich Preisaufschläge durch die Apotheke durch die Notwendigkeit, die Blüten umzufüllen.

3. Verordnung von Cannabisblüten in abgeteilten Einzeldosen. Dann werden die höheren Kosten von 110-120 € für 5 g fällig, da in diesem Fall die Cannabisblüten wie ein Rezepturarzneimittel behandelt werden.

6. Teilnahme am Straßenverkehr

In der Vergangenheit hatten Erlaubnisinhaber wiederholt Probleme mit den Führerscheinstellen, weil die Cannabisblüten nicht verschrieben wurden. Daher haben Erlaubnisinhaber formal gegen den § 24 des Straßenverkehrsgesetzes verstoßen, der eine Ordnungswidrigkeit vorsieht, wenn Drogen, die im Blut nachgewiesen wurden, nicht durch einen Arzt verschrieben wurden.

Autofahren und die Verwendung illegaler Betäubungsmittel schließen sich aus – wie das Fahren unter Alkoholeinfluss. Das ist Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) zu entnehmen. Anders sieht die Rechtslage aus, wenn man ein BtM als Patient im Zusammenhang mit einer entsprechenden Erkrankung einnehmen muss, also aus medizinisch-therapeutischen Gründen. Hier ist das Fahren grundsätzlich zulässig. So heißt es im § 24a, Satz 2, des Straßenverkehrsgesetzes: „Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.“ Analog unterscheidet auch die Fahrerlaubnisverordnung zwischen der illegalen Verwendung von Drogen und der Einnahme von Arzneimitteln. So heißt es in einem Merkblatt des Bundesverkehrsministeriums: „Während der illegale Konsum von Betäubungsmitteln (außer Cannabis) die Fahreignung nach Anlage 4 Nr. 9.1 FeV ausschließt, führt die Einnahme von Medikamenten nur dann zum Ausschluss der Fahreignung, wenn es zu einer Beeinträchtigung des Leistungsvermögens unter das erforderliche Maß kommt (Anlage 4 Nr. 9.6.2 FeV)“. Voraussetzung ist dafür allerdings, dass der Patient sich in einem stabilen, gut eingestellten Zustand befindet und die Einnahme des betreffenden BtM seinen Allgemeinzustand nicht wesentlich negativ beeinflusst – und dass sich der Patient vor Fahrtantritt kritisch hinterfragt.

Leider sind viele Führerscheinstellen und MPU-Stellen noch nicht ausreichend informiert.

Zukünftige Preise für Cannabisblüten

(Dieser Artikel enthielt fehlerhafte Angaben und wird am 25. März korrigiert und aktualisiert)

Pressemitteilung der ACM:Fortbildung zu Cannabis als Medizin

Die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) e.V. veranstaltet am 13. Mai 2017 eine Tagung zum Thema „Cannabis und Cannabinoide in der Medizin“. Ärztinnen und Ärzte, die eine Behandlung mit Medikamenten auf Cannabisbasis sowie Cannabisblüten anbieten möchten, können sich hier entsprechend fortbilden. Dies ermöglicht ihnen, Patienten mit verschiedensten Krankheiten eine weitere Therapieoption zu eröffnen. Die Tagung erfolgt in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Hessen dem Dezernat für Personal und Gesundheit / Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main.

Experten aus verschiedenen Fachbereichen berichten auf der Tagung über die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen einer Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten. Sie stellen Daten zu wichtigen Indikationen und theoretischen Grundlagen vor und vermitteln Kenntnisse zur Auswahl geeigneter Medikamente sowie der Verschreibung, Dosierung und zu möglichen Nebenwirkungen. Weitere praxisrelevante Themen, wie etwa die Teilnahme von Patienten am Straßenverkehr, stehen ebenfalls auf dem Programm.

Durch eine Gesetzesänderung im März 2017 sind Cannabisblüten in Deutschland zu einem Medika¬ment geworden, das von jeder Ärztin und jedem Arzt auf einem Betäubungsmittelrezept verschrie¬ben werden darf. Bisher war dazu eine Ausnahmeerlaubnis bei der Bundesopiumstelle in Bonn erfor¬derlich. Gleichzeitig wurden die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, unter bestimmten Voraus¬setzungen eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten, wie Dronabinol, Nabilon und dem Cannabisextrakt Sativex® sowie mit Medizinalcannabisblüten und daraus hergestellten Extrakten, zu erstatten.

Cannabis und Cannabinoide in der Medizin

Eine Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Hessen und dem Dezernat für Personal und Gesundheit / Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main

Termin: Samstag, den 13. Mai 2017 von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr

Ort: Haus Ronneburg, im Saalbau Ronneburg, Gelnhäuser Str. 2, 60435 Frankfurt am Main

Programm und Anmeldung: http://www.cannabis-als-medizin-2017.de

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

Dr. med. Franjo Grotenhermen, ACM e.V., Am Mildenweg 6, 59602 Rüthen

Tel. 02952-9708572

E-Mail: info@cannabis-med.org

Presseschau: Amtliches Marihuana (Zeit Online)

Die Zeit und viele andere Medien berichteten über das Inkrafttreten des Gesetzes.

Amtliches Marihuana

In diesem Monat können Patienten erstmals Cannabis auf Rezept bekommen. Das stellt Ärzte, Apotheker und die Zulassungsbehörde vor ganz neue Herausforderungen.

Ein Naturstoff kommt ins Sortiment unserer Apotheken, der ganz besonderer Aufmerksamkeit bedarf: Cannabisblüten. Wie soll man sie lagern? Wie soll man die Kunden beraten? Sollten sie den Stoff am besten rauchen oder sich daraus therapeutische Kekse backen – eine Art Glückskeks? Rika Rausch von der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ) gibt den Kollegen im Editorial der neuen Ausgabe Hilfestellung: Joints und Kekse seien "nach Einschalten unseres pharmazeutischen Sachverstandes" keine Option. Tee sei auch keine Lösung, weil Cannabinoide nicht wasserlöslich seien. "Mit einem Schuss Sahne sollte es jedoch klappen."

Solche Ratschläge sind neuerdings notwendig, weil ein neues Zeitalter im Markt für Arzneimittel anbricht. Im März nimmt die neue Cannabisagentur des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Arbeit auf. Damit kümmert sich zum ersten Mal in Deutschland eine staatliche Institution um den Import, Anbau und die Bereitstellung eines potenziell berauschenden Naturprodukts. Nach vielen Querelen um Eigenanbau von Hanf und zu teure synthetische Cannabisprodukte hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr beschlossen, dass schwer kranken Patienten der Zugang zu dem heilsamen Gewächs erleichtert werden sollte. "Der persönliche Kontakt der Entscheidungsträger zu realen Patienten hat wohl das Umdenken bewirkt", sagt Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin.

Nun kann jeder Arzt Marihuana auf Kassenrezept verschreiben. Das stellt nicht nur die Apotheker vor ungewohnte Aufgaben, sondern auch das BfArM. Normalerweise überwacht diese Institution genau definierte Arzneimittel mit Risikoprofil, exakten Wirkstoff-Mengen und vielen Studiendaten. Beim Cannabis aber haben es die Kontrolleure mit einem launigen Arzneimittel zu tun. Der Wirkstoffgehalt schwankt. Plötzlich ist der Streit um die Klassifizierung der Cannabisarten, der früher vor allem wirkungsorientiert war, bedeutsam. Je nach Art oder Unterart steckt mehr oder weniger von dem berauschenden Stoff in Cannabis. Cannabis sativa gilt als psychedelisch und anregend, Cannabis indica als eher beruhigend und einschläfernd. Es kommt jeweils darauf an, wie viel Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) in den Pflanzen steckt. THC regt den Appetit an, was bei Krebserkrankungen günstig ist, CBD bremst den Hunger und hilft gegen Ängste. Franjo Grotenhermen hält diese Unwägbarkeit für nebensächlich: "In den Niederlanden werden zum Beispiel nur Stecklinge derselben Mutterpflanze benutzt." Unter kontrollierten Bedingungen sollten also in jeder Ernte vergleichbare Mengen der Wirkstoffe enthalten sein.

Aber wofür oder wogegen hilft Cannabis überhaupt? Mittlerweile hat sich eine bunte Materialsammlung angehäuft: Anekdoten, wissenschaftliche Studien und Erfahrungsberichte Betroffener bieten Anhaltspunkte, bei welchen Leiden Cannabis wirken könnte. Das Spektrum reicht von der Behandlung von Epilepsie, Schmerzen, einer Multiplen Sklerose bis hin zur Therapie von Appetitlosigkeit. Möglicherweise hilft es auch Alzheimer- und Parkinson-Erkrankten. Forschung mit einer ausreichenden Zahl von Patienten blieb in Deutschland lange schwierig, weil Marihuana auch für Kranke illegal war. Weil vieles noch genauer untersucht werden muss, hat der Gesetzgeber extra darauf verzichtet festzulegen, bei welchen Erkrankungen Cannabis verschrieben werden darf. Ganz pragmatisch soll Begleitforschung nun durch die Bundesopiumstelle im Laufe der Jahre die entsprechenden Erkenntnisse nachliefern.

Manche Bürger könnten diese therapeutische Offenheit als Einladung missverstehen. Man gibt einfach irgendwelche Beschwerden an, behauptet, außer Cannabis helfe nichts, und berauscht sich danach auf Rezept. In den USA, wo 29 Bundesstaaten medizinischen Cannabis schon vor Jahren zugelassen haben, hat sich vor allem in Kalifornien eine rege Szene von Lifestyle-Nutzern entwickelt. "Das sehe ich in Deutschland überhaupt nicht", sagt Grotenhermen, "da ist die Mentalität der deutschen Ärzte ganz anders." Der Gesetzgeber sieht außerdem Grenzen vor. Für 30 Tage werden Patienten maximal 100 Gramm Cannabisblüten erhalten können. Wie viel und welche Inhaltsstoffe in den getrockneten Pflanzenteilen stecken dürfen, ist dabei nicht festgelegt. Zunehmend stellt sich die Frage, ob eine künstliche Unterscheidung zwischen Konsument und Patient überhaupt sinnvoll ist und nicht jeder selbst darüber entscheiden können sollte, was ihm guttut. In den USA schwören immer mehr Rentner auf diese sanfte Alternative zu ihren üblichen Medikamenten, zum Beispiel gegen Arthritis.

Der gewöhnliche Kranke ist nicht experimentierfreudig. Er möchte ein sicheres Produkt und angemessene Beratung durch den Arzt oder Apotheker. In der Praxis oder Apotheke könnten sich demnächst ungewöhnliche Gespräche entspinnen, die an ein Verkaufsgespräch in einem niederländischen Coffeeshop erinnern: "Nein, rauchen würde ich die Blüten nicht, ich empfehle ihnen diesen Verdampfer." Wofür sich der Anwender auch entscheidet, der wichtigste Tipp ist, dass die Cannabisblüten in irgendeiner Weise erhitzt werden müssen, denn erst dadurch werden die Inhaltsstoffe aktiviert. Der Vaporisator – ein Gerät, das aus einem kompakten Erhitzer und einem großen aufblasbaren Ballon besteht – bringt eine Cannabislösung auf rund 200 Grad Celsius; wer es weniger klinisch angehen möchte, kann die Pflanzenteile auch bei 110 Grad im Backofen garen. Je geringer die Temperatur, desto länger. Ein Tee müsste schon bis zu zwei Stunden ziehen, sagt Grotenhermen, der mit Co-Autoren Arbeits- und Verordnungshilfen für Apotheker und Ärzte verfasst hat.

Zu einer Beratung gehört natürlich auch die Warnung vor Nebenwirkungen und vor medizinischen Umständen, die eine Verschreibung verbieten. Der Mund könnte sich sehr trocken anfühlen, der Blutdruck in den Keller stürzen, oder dem Patienten könnte schwindlig werden. Das alles muss den Gebrauch dieses Heilmittels nicht unmöglich machen. Wer indes eine Psychose hat, eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung oder schwanger ist, sollte das Medikament nicht einnehmen.

Wer wird das alte, neue Wundermittel überhaupt liefern? Cannabis aus hiesigen Gewächshäusern wird es vorerst nicht geben. Erst Mitte des Jahres wird feststehen, wer in Deutschland Cannabis unter staatlicher Aufsicht anbauen darf. Das BfArM wird dann die Ernte vollständig aufkaufen und an die Apotheken weitergeben. Wann das erste Staatsgras über den Tresen gehen wird, ist ebenfalls noch unklar. Bis dahin hilft bewährtes Material aus dem Ausland. Die Niederlande lassen zum Beispiel schon länger unter staatlicher Aufsicht bei der Firma Bedrocan BV produzieren. Einer der kanadischen Produzenten heißt bezeichnenderweise Peace Naturals.

Cannabis ist jetzt eine sehr ernste, staatliche Angelegenheit. Für Patienten, die bisher für sehr viel Geld synthetische Cannabisprodukte kaufen mussten, scheinen bessere Zeiten anzubrechen. Doch Franjo Grotenhermen ist skeptisch. "Wir haben nun sicher eines der besten Gesetze der Welt", sagt er, "besonders weil man den Anwendungsbereich offen gelassen hat." Selbst die Niederlande nähmen sich schon ein Beispiel daran. Das Problem sei nur, dass bei mehreren Hundert Euro Therapiekosten im Monat viele Ärzte Cannabis nicht verschreiben würden, weil sie befürchteten, damit ihr Budget zu sprengen. Könnten die Kranken ihr Medikament selbst anbauen? Nein, das ist mit der gesetzlichen Neuregelung strikt verboten. Trotzdem hat die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin gerade in Frankfurt einen Workshop zum Eigenanbau von Cannabis abgehalten. "Wir halten das als Druckmittel aufrecht, für den Fall, dass Patienten keinen Arzt finden, der ihnen das verschreibt", sagt Franjo Grotenhermen. Im Notfall müsse man vor Gericht die Genehmigung für den Eigenanbau eben einklagen.

Presseschau: Cannabis auf Rezept - wo, wie, warum? (Tagesschau)

Auch die Tagesschau berichtete.

Cannabis auf Rezept - wo, wie, warum?

Kiffen gegen Krebs? So einfach ist es wohl nicht, aber unbestritten ist die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis. Bei welchen Krankheiten wird Cannabis eingesetzt? Und wann zahlt die Kasse?

Wie ist die rechtliche Situation in Deutschland?

Bundestag und Bundesrat billigten zu Beginn des Jahres ein Gesetz, das Ärzten erlaubt, chronisch Kranken getrocknete Cannabis-Extrakte auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zu verschreiben. Die Mediziner dürfen damit eigenverantwortlich entscheiden, ob eine Cannabis-Therapie sinnvoll ist, auch wenn im Einzelfall noch andere Behandlungsoptionen bestehen. Der aufwändige Antrag beim Bundesinistitut für Arzneimittel und Medizinprodukte entfällt damit. Krankenkassen dürfen die Genehmigung einer Therapie nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern. "Das ist ein großer Schritt in eine richtige Richtung", sagt Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband im Gespräch mit tagesschau.de.

Vertrieben werden sollen die Cannabis-Produkte von Apotheken. Eine noch aufzubauende staatliche Cannabis-Agentur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll sicherstellen, dass in standardisierter Qualität angebaut wird. Die Agentur soll den Cannabis dann kaufen und an Hersteller und Apotheken abgeben. Bis dahin soll auf Importe zurückgegriffen werden. Um die genaue medizinische Wirkung der Cannabis-Arzneimittel zu erforschen, ist eine wissenschaftliche Begleiterhebung vorgesehen.

Experten erwarten, dass die Zahl der Cannabis-Patienten erheblich steigen wird. "Ich erwarte in den kommenden Jahre eine Million", prognostiziert Franjo Grotenhermen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, im Gespräch mit tagesschau.de.

Seit 2011 durften zwar auch zugelassene Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis in Deutschland hergestellt und von Ärzten auf Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Patienten brauchten dazu aber eine Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, die sie zum Erwerb von Cannabis als Medikament in Apotheken berechtigte. Die Kosten mussten die Patienten in der Regel selbst tragen.

Presseschau: Ab 2019 soll es für Patienten in Deutschland angebautes Cannabis geben (Welt)

Die Welt konzentrierte sich in einem Beitrag auf die neu gegründete Cannabisagentur und den Anbau in Deutschland.

Ab 2019 soll es für Patienten in Deutschland angebautes Cannabis geben

Neue Cannabisagentur überwacht Anbau und Verkauf von Medizinalhanf

In Deutschland wird künftig offiziell Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geht davon aus, dass 2019 erstmals hierzulande angebauter Medizinalhanf für schwerkranke Patienten zur Verfügung steht, wie das Bundesinstitut und das Bundesgesundheitsministerium am Freitag mitteilten. Eine neue Cannabisagentur soll den Anbau überwachen. Hintergrund ist eine Gesetzesnovelle, die Schwerkranken den Zugang zu Cannabis erleichtern soll.

Die Gesetzesänderung, um die lange gerungen wurde, tritt noch im März in Kraft. Wenn Patienten nicht mehr durch andere Therapien oder Arzneimittel geholfen werden kann, sollen die Krankenkassen künftig die Kosten für Cannabisarzneimittel übernehmen. Bisher zahlen sie nur in Einzelfällen, die Patienten müssen für die teils immensen Kosten in der Regel selbst aufkommen.

Cannabis wird in der Medizin bei verschiedenen Krankheiten eingesetzt, etwa bei Rheuma und bei spastischen Schmerzen bei Multipler Sklerose, zur Behandlung von chronischen Schmerzen, bei grünem Star (Glaukom) zur Reduzierung des Augeninnendrucks und auch gegen Übelkeit und zur Appetitsteigerung bei Krebs- und Aidspatienten. Einigen Substanzen wird etwa eine krampflösende und schmerzlindernde Wirkung zugeschrieben. Für die Behandlung stehen mehrere Arzneimittel sowie Cannabisblüten und -extrakt zur Verfügung.

BfArM-Präsident Karl Broich erklärte, das neue Gesetz sei "ein wichtiger Schritt für schwerkranke Patienten, die auf die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln angewiesen sind". Auch Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, sprach von einem guten Schritt, "um Schmerzen und Leid zu lindern".

Bevor mit dem Anbau in Deutschland begonnen werden kann, gibt es zunächst eine EU-weite Ausschreibung. Die beim BfArM in Bonn angesiedelte Cannabisagentur vergibt die Aufträge an die Cannabisanbauer und kauft auch die Ernte auf, die aber in den Unternehmen gelagert wird. Die Agentur verkauft das Cannabis dann weiter an Arzneihersteller, Großhändler oder Apotheken und sorgt dafür, dass nur Hanf "in pharmazeutischer Qualität" zu den Patienten gelangt.

Bis das erste Cannabis aus Deutschland zur Verfügung steht, wird die Versorgung wir bisher über Importe abgedeckt. Welche Mengen Cannabis künftig nötig sein werden, kann dem BfArM zufolge nur geschätzt werden.

Derzeit besitzen mehr als tausend Patienten eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabisblüten oder -extrakten "im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie". Bei einem durchschnittlichen Tagesbedarf von einem Gramm pro Patient wären mindestens 365 Kilogramm Cannabis jährlich nötig, um allein diesen Bedarf zu decken.

Zum Vergleich: 2016 wurden 170 Kilogramm Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken aus den Niederlanden und Kanada nach Deutschland importiert. 2015 waren es rund 94 Kilogramm.

Eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis brauchen Patienten künftig nicht mehr. Die Betroffenen bekommen nach der Verordnung durch den Arzt ihren Medizinalhanf auf Rezept in der Apotheke. Der Eigenanbau von Cannabis bleibt in Deutschland weiterhin verboten. Derzeit besitzen nur zwei Patienten dafür eine offizielle Erlaubnis.

Presseschau: Yes, we Can(nabis) (Spiegel Online)

Ein Kommentar im Spiegel erinnert daran, dass das Gesetz lange überfällig war.

Yes, we Can(nabis)

Die Hürden, medizinisches Cannabis auf Rezept zu erhalten, sinken. Dank eines neuen Gesetzes dürfen Ärzte es sogar verschreiben, bevor sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Das wurde auch Zeit.

Schwerkranke können in Deutschland künftig medizinisches Cannabis auf Rezept erhalten, die Krankenkassen übernehmen die Kosten. Das regelt ein neues Gesetz, das im März in Kraft tritt.

Es ist belegt, dass Cannabis bei bestimmten Erkrankungen Schmerzen lindern kann. Außerdem lassen sich damit Übelkeit und Appetitlosigkeit während einer Chemotherapie bekämpfen. Daher war es überfällig, die hohen Hürden zu senken, die bisher für Cannabis galten.

Wichtig ist, einen Unterschied im Kopf zu behalten: Gesunde kiffen, um sich zu berauschen. Schwerkranke konsumieren medizinisches Cannabis (was nicht zwingend bedeutet, dass sie es rauchen), um ein Stück Lebensqualität zurückzugewinnen. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, Debatten über den medizinischen Einsatz und die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel klar zu trennen.

Gefährliche Alternativen

Ärzte können künftig im Einzelfall Cannabis auch dann verschreiben, wenn sie noch nicht alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgereizt haben. Die Arznei steht damit viel mehr Patienten zur Verfügung als bisher.

Dass ist besonders erfreulich, wenn man bedenkt, welche Mittel die Patienten bisher bekommen. Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden, erhalten häufig sogenannte Opioide. Die Verschreibungszahlen dieser Medikamente sind seit Jahren deutlich gestiegen. Dabei ist umstritten, ob man sie chronischen Schmerzpatienten wirklich über einen längeren Zeitraum geben sollte, wenn ihre Pein nicht durch eine Krebserkrankung ausgelöst wird. Der Grund dafür: Stärkere Opioide machen abhängig und haben schwere Nebenwirkungen. Bei einer Überdosierung können sie sogar die Atmung stilllegen.

In den USA, wo die Verschreibungszahlen ebenfalls deutlich gestiegen sind, spricht man von einer Opioid-Epidemie. Die Zahl Todesfälle durch per Rezept erhaltene Opioide habe sich seit 1999 vervierfacht, berichtete die Seuchenschutzbehörde CDC 2015. Vergangenes Jahr etwa starb der Popstar Prince an einer Überdosis des Schmerzmittels Fentanyl.

Daten aus Kanada und den USA zeigen jetzt, dass der Opioid-Verbrauch deutlich sinkt, wenn Patienten medizinisches Cannabis erhalten. Ebenso brauchen die Betroffenen weniger Antidepressiva. Natürlich hat auch Cannabis unerwünschte Nebenwirkungen; aber kein Medikament, das eine Wirkung hat, ist völlig frei von solchen. Beim medizinischen Einsatz von Cannabis geschieht es zudem sehr selten, dass Patienten abhängig werden. Im Vergleich zu starken Opioiden ist Cannabis tatsächlich die harmlosere Alternative.

Noch wissen wir zu wenig über den Nutzen und die Risiken des medizinischen Einsatzes von Cannabis. Das soll sich ändern: Ärzte, die Cannabis verschreiben, übermitteln ihre Informationen zu Diagnose, verordneter Dosis und Nebenwirkungen in anonymisierter Form ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Mithilfe dieser Daten werden sich einige Fragen zum Cannabis-Einsatz hoffentlich bald genauer beantworten lassen. Das neue Gesetz hilft also nicht nur den Patienten, sondern auch der Forschung.

Presseschau: Regressrisiko steht und fällt mit regionalen Regeln (Ärzte Zeitung)

Die Ärzte Zeitung setzt sich mit möglichen Regressen, also Strafzahlungen von Ärzten, auseinander, wenn diese nicht wirtschaftlich arbeiten.

Regressrisiko steht und fällt mit regionalen Regeln

Ärzte, die Cannabispräparate verordnen wollen, bedürfen dazu künftig der Erlaubnis durch die Krankenkasse. Per se wirtschaftlich ist die Verordnung deswegen aber noch lange nicht.

Bundestag und Bundesrat haben das "Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften" bereits abgesegnet. In wenigen Tagen dürfte die Veröffentlichung im Bundesanzeiger zu erwarten sein.

Ab dann können Vertragsärzte schwerkranken Patienten Cannabisblüten oder -extrakte oder die Wirkstoffe Dronabinol (THC) sowie die synthetische THC-Variante Nabilon verschreiben.

Da der Gesetzgeber die Cannabisverordnung an Bedingungen knüpft, insbesondere an die Erlaubnis jeder Erstverordnung durch die Krankenkasse, sollte sich die Frage nach dem Regressrisiko für Ärzte eigentlich nicht mehr stellen. Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, hat sie doch gestellt. Und von Annette Widmann-Mauz (CDU), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, auch eine Antwort erhalten.

Danach gelten für die Cannabisverordnung "die Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §§ 106 ff. SGB V", so Widmann-Mauz, die darauf verweist, dass mit dem Versorgungsstärkungsgesetz die Prüfregularien der Selbstverwaltung auf Länderebene überantwortet wurden. Heißt: Die alte Richtgrößenprüfung soll durch regionale Wirtschaftlichkeitsvereinbarungen abgelöst werden.

Sache der Selbstverwaltung

Es sei "Angelegenheit der Vertragspartner", ergänzt Widmann-Mauz, "zu berücksichtigen, dass die Erstverordnung von Arzneimitteln auf Cannabisbasis durch die Krankenkasse zu genehmigen ist". – Gewissheit über das Regress-Risiko bei Cannabisverordnungen wird also erst ein Blick in die Systematik der Wirtschaftlichkeitsprüfung eines jeden KV-Bezirks geben. Diagnosen, die die Kostenträger genehmigen wollen, werden dort nicht ausgeschlossen sein.

Mit Sicherheit dürften die Prüfgremien jedoch Verordnungsmengen misstrauisch beäugen, die den durchschnittlichen Bedarf pro Patient deutlich übersteigen.

Die Erfahrung zeigt, dass das Verordnungsgeschehen nicht allein von tatsächlichen Wirtschaftlichkeitskriterien und lokal üblicher Prüfintensität beeinflusst wird, sondern auch von subjektiven Regress-Ängsten der Leistungserbringer.

Nach Einschätzung des Linken-Abgeordneten Tempel sind denn auch "mangelndes Wissen über die medizinische Wirkung von Cannabis" gepaart mit der "Sorge vor Regressforderungen" der "enge Flaschenhals beim Einsatz von Cannabismedizin".

Verordnungsspielraum für Ärzte

Dabei seien Hanfpräparate nicht von vornherein mit dem negativen Vorzeichen tendenzieller Unwirtschaftlichkeit zu versehen. Drogenexperte Tempel: "Bei Erkrankungen wie Rheuma führt die Behandlung mit Cannabis sogar zu Einsparungen kostspieliger Biologika".

Darüber hinaus gelte die bundesweite Diagnoseliste für Praxisbesonderheiten, die auf Landesebene ergänzt werden kann. Auch dadurch, so Tempel, eröffne sich für die Ärzte Verordnungsspielraum.

Tempel rechnet damit, dass das Gesetz zur Freigabe der Cannabisverordnung unmittelbar bevorsteht. "Bis 19 März, zwei Monate nach Abstimmung im Bundestag, sollte es im Bundesgesetzblatt verkündet werden."

Presseschau: Cannabis auf Rezept – Das müssen Apotheker zum Start wissen (DAZ.online)

Die Deutsche Apotheker Zeitung stellt die Dinge aus der Sicht der Apotheker dar.

Cannabis auf Rezept – Das müssen Apotheker zum Start wissen

Das „Cannabis-Gesetz” ist am 10. März in Kraft getreten. Jetzt kann es sein, dass ein Patient mit einem Rezept über Cannabis-Blüten zu Ihnen in die Apotheke kommt. Sie haben noch immer keine Zeit gefunden, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen? Keine Panik! Hier gibt es die Erste Hilfe im Schnelldurchlauf.

Was ist neu?

Bisher mussten die Patienten für eine Cannabis-basierte Therapie eine Erlaubnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einholen, ebenso die versorgenden Apotheken. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 10. März 2017 ist die medizinische Anwendung von Cannabis in Deutschland keine Ausnahmeregelung mehr. Cannabis-Blüten und -Zubereitungen sind in Deutschland ab sofort verkehrsfähig und können von jedem Arzt unabhängig seiner Fachrichtung verordnet werden, dagegen nicht von Zahn- und Tierärzten. Die Substanzen Dronabinol und Nabilon sowie die in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimittel waren auch schon bisher in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) gelistet.

Eine weitere wichtige Neuerung betrifft die Erstattung: Die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Kosten für die Therapie mit Medizinalhanf im Regelfall übernehmen. Voraussetzung ist, dass bei einer schwerwiegenden Erkrankung keine andere allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht oder diese mit nicht tolerierbaren Nachteilen einhergeht. Bei Erstverordnung bedarf es einer Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Darum muss sich der Patient (mit Unterstützung des Arztes) selbst kümmern.

Für die versorgende Apotheke besteht arzneimittelrechtlich keine Prüfpflicht, aber es wird empfohlen, sich bei der Krankenkasse zu versichern, dass die Kosten übernommen werden. Eine Entscheidung zur Kostenübernahme muss innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung gefällt werden, im Rahmen einer ambulanten Palliativversorgung sogar innerhalb von drei Tagen. Wird der medizinische Dienst hinzugezogen, gilt eine Frist von fünf Wochen. Ein sofortiger Therapiebeginn ist nur mit Ausstellung eines Privatrezepts möglich.

Wo erhalte ich verbindliche Informationen?

Zugegeben: Nicht alle Fragen zur medizinischen Anwendung von Cannabis sind zum jetzigen Zeitpunkt geklärt. Auf einige Quellen ist jedoch definitiv Verlass.

Beim BfArM wird im Zuge des neuen Gesetzes eine „Cannabisagentur“ eingerichtet, die dafür sorgt, dass ausreichend Medizinalhanf aus staatlich kontrolliertem Anbau in der erforderlichen Qualität zur Verfügung steht. Bis für eine Produktion in Deutschland alle Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Versorgung mit Cannabis-Blüten über Importe gedeckt, vorrangig aus den Niederlanden und aus Kanada. Das BfArM gibt Auskunft darüber, welche Cannabis-Sorten aktuell für eine bedarfsgerechte Therapie zur Verfügung stehen, beantwortet aber keine Fragen zu ihrer Anwendung.

Der Deutsche Arzneimittel-Codex (DAC) enthält die Monographien „Cannabisblüten, Cannabis flos (C-053)“, „Eingestelltes, raffiniertes Cannabisölharz (C-054)“, „Cannabidiol (C-052)“ und „Dronabinol (D-100)“, in denen Angaben zu Prüfung, Lagerung, Beschriftung, Anwendungsgebieten, Gegenanzeigen, Neben- und Wechselwirkungen gemacht werden.

Das Neue Rezepturformularium (NRF) enthält bereits die Rezepturvorschriften „Dronabinol-Kapseln 2,5 mg / 5 mg / 10 mg (NRF 22.7.)“ und „Ölige Dronabinol-Tropfen 25 mg/ml (NRF 22.8.)“, zudem die „Ölige Cannabidiol-Lösung 50 mg/ml (NRF 22.10.)“, die allerdings nicht unter das BtMG fällt. Die neuen Rezepturvorschriften „Ölige Cannabisölharz-Lösung 25 mg/ml Dronabinol (NRF 22.11.)“, „Cannabisblüten zur Inhalation nach Verdampfung (NRF 22.12.)“, „Cannabisblüten in Einzeldosen zur Inhalation nach Verdampfung (NRF 22.13.)“, „Cannabisblüten zur Teezubereitung (NRF 22.14.)“, „Cannabisblüten in Einzeldosen zur Teezubereitung (NRF 22.15.)“ und „Ethanolische Dronabinol-Lösung 10 mg/ml zur Inhalation (NRF 22.16.)“ sind vor der im Juli geplanten Lieferung der DAC/NRF-Ergänzung 2017/1 als Vorabpublikation in ihren Kerninhalten auf der DAC/NRF-Internetseite einsehbar.

Verlässliche Informationen finden sich auch in den Fachinformationen der in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes®.

Was kann verordnet werden?

Alle THC-haltigen Ausgangsstoffe, Zubereitungen und Fertigarzneimittel fallen unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG); die geltenden Regeln zur Belieferung eines BtM-Rezepts sowie die daraus entstehenden Dokumentationspflichten sind zu beachten.

Cannabis-Blüten

Die Höchstmenge für Cannabis-Blüten, die für einen Patienten innerhalb von 30 Tagen verschrieben werden darf, ist auf 100 g begrenzt. Momentan wird der Bedarf an Ausgangsstoff über die Niederlanden (Firma Bedrocan BV) und Kanada (MedCann GmbH und Peace Naturals) gedeckt (siehe Tab.).

Die niederländischen Sorten können über Fagron GmbH & Co. KG und Pedanios GmbH bezogen werden, die kanadischen Blüten der Firma Peace Naturals über Pedanios.

Durch den Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) in den Cannabis-Blüten kann die Therapie gesteuert werden. So kann es vorkommen, dass dem Patienten verschiedene Cannabis-Sorten parallel verordnet werden. Auf dem BtM-Rezept müssen deshalb neben der Angabe „Cannabis-Blüten“ vom Arzt auch explizit die betreffenden Sorten vermerkt sein. Verschrieben werden könnten beispielsweise sowohl 100 g der Sorte Bedrocan, als auch jeweils 50 g der Sorten Bedrocan und Bedica. Übersteigt die Verordnung die zulässige Höchstmenge, muss das Rezept mit dem Ausnahmekennzeichen „A“ gekennzeichnet sein.

Zur Identitätsprüfung sei auf die DAC-Monographie „Cannabisblüten, Cannabis flos“ (C-053) und die Alternativverfahren des DAC verwiesen.

Die Rezepturvorschriften NRF 22.12. bis 22.15. enthalten Hinweise zur Abgabe von Cannabis-Blüten an den Patienten. Zur Vorbereitung werden Cannabis-Blüten in einer möglichst geschlossenen Kräutermühle grob gemahlen und anschließend gesiebt (2000 μm). Üblicherweise werden wohl 5-g-Dosen verschrieben. Die Dosierung durch den Patienten erfolgt dann mithilfe eines Dosierlöffels. Es kann aber auch vorkommen, dass vom Arzt Einzeldosen gewünscht sind, zum Beispiel 10-mal 1 g. In diesem Fall muss die Apotheke die Mengen abwiegen, portionieren und in geeignete Behältnisse abfüllen (siehe NRF 22.13.).

Wohlbemerkt ist ein Arzt nicht dazu verpflichtet, NRF-Rezepturen zu verordnen, sodass auch Rezepte über unzerkleinerte Cannabis-Blüten möglich sind.

Auf der Erstverordnung von Cannabis-Blüten wird vermutlich „Anwendung gemäß schriftlicher Anweisung“ stehen. Der beliefernden Apotheke muss die Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesdosis aber schriftlich vorliegen, da sie diese auf der Primärverpackung vermerken muss. Bei Folgerezepten wird die Dosierung auf dem Rezept in der Regel angegeben sein.

Cannabis-Blüten können inhaliert oder oral aufgenommen werden. Zur Inhalation wird die Verwendung eines elektrischen Verdampfers empfohlen, bei dem eine bestimmte Menge Cannabis-Blüten kontrolliert auf 180 bis 210 °C erhitzt wird. Derzeit sind in Deutschland zwei zertifizierte Medizinprodukte zugelassen (Volcano Medic, Vaporisator Mighty Medic). Zur oralen Anwendung von Cannabis-Blüten in Form eines Tees wurden die NRF-Rezepturvorschriften 22.14. und 22.15. erarbeitet.

Die Frage der Abrechnung von Cannabis-Blüten beantwortet die Bundesapothekerkammer auf ihrer Website (im geschützten Bereich) wie folgt: „Werden die Cannabisblüten in unverändertem Zustand umgefüllt, abgefüllt, abgepackt oder gekennzeichnet an den Patienten abgegeben, ist der Preis nach § 4 AMPreisV zu bilden. Werden Cannabisblüten gemäß NRF-Vorschriften, das heißt unter Zerkleinern und Sieben der Droge und ggf. Abpackung in Einzeldosen, zu einem Rezepturarzneimittel verarbeitet, gilt § 5 AMPreisV. Zuzüglich können die Apotheken die Betäubungsmittelgebühr nach § 7 AMPreisV in Höhe von 0,26 Euro einschließlich Umsetzsteuer berechnen.“ (Anmerkung der Redaktion: Die zuletzt genannte Betäubungsmittelgebühr wird mit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes auf 2,91 Euro steigen). Für die Abrechnung von Verordnungen über Cannabis-Blüten und Cannabis-haltige Zubereitungen (Rezepturarzneimittel) wurde die Sonder-Pharmazentralnummer 06460665 eingerichtet.

Rezepturen mit Dronabinol

Wird Dronabinol (= THC) als Reinsubstanz verschrieben, so beziehen sich die Ärzte im Regelfall auf die beiden NRF-Rezepturen, die in der Apotheke angefertigt werden können: „Ölige Dronabinol-Kapseln 2,5 mg, 5 mg und 10 mg (NRF 22.7)“ und „Öligen Dronabinol-Tropfen 25 mg/ml (NRF 22.8)“. Die Rezeptursubstanz kann bei den Firmen THC Pharm GmbH, Bionorica Ethics GmbH sowie Fagron GmbH bestellt werden. Die DAC-Monographie „Dronabinol“ (D-100) enthält Vorschriften zur Identitätsprüfung.

Zum Taxieren von Dronabinol-Tropfen wird zu den Kosten der eingesetzten Rezeptursubstanzmengen bzw. des Rezeptursets ein 90%iger Aufschlag addiert. Fünf Euro werden für das Anfertigen von Lösungen unter Anwendung von Wärme bis 300 Gramm berechnet. Auf den Gesamtbetrag werden 19 Prozent Umsatzsteuer erhoben plus die BtM-Rezeptgebühr von 0,26 Euro. Bei Dronabinol-Kapseln beträgt der Rezepturzuschlag statt fünf Euro für das Füllen von Kapseln bis zur Grundmenge von zwölf Stück sieben Euro.

Fertigarzneimittel

Derzeit sind in Deutschland die Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes® zugelassen. Auf dem BtM-Rezept muss das Präparat namentlich genannt werden und eindeutig bestimmt sein, welche Menge pro abgeteilter Form enthalten ist.

Das Mundspray Sativex® enthält den standardisierten Extrakt Nabiximols und ist zugelassen zur Symptomverbesserung bei Erwachsenen mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von multipler Sklerose (MS). Pro Sprühstoß nimmt der Patient 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD als Einzeldosis zu sich.

Canemes® enthält den Wirkstoff Nabilon als ein vollsynthetisch hergestelltes Derivat von Delta-9-Tetrahydrocannabinol und ist indiziert zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Zusammenhang mit einer Chemotherapie bei Erwachsenen, die auf andere antiemetische Behandlungen nicht adäquat ansprechen.

Möglich ist auch, dass Rezepte über im Ausland zugelassene Präparate ausgestellt werden, die als Einzelimporte nach Deutschland eingeführt werden können, beispielweise das in den USA zugelassene Marinol®. Für die Abrechnung von Verordnungen von Cannabis-haltigen Fertigarzneimitteln ohne Pharmazentralnummer (Importe nach § 73 Absatz 3 Arzneimittelgesetz) wurde das Sonderkennzeichen 06460671 eingerichtet.

Extrakt von Cannabis-Blüten

Ein Cannabis-Vollextrakt soll ab Juni 2017 offizieller Bestandteil des Sortiments der Firma Bionorica Ethics werden. Es handelt sich dabei um einen Blütenextrakt zur oralen Anwendung, der auf einen Gehalt von 5% THC eingestellt und unter anderem in Abfüllungen von 10 g ausgeliefert wird. Der DAC enthält dazu die Monographie „Eingestelltes, raffiniertes Cannabisölharz (C-054)“. Es gilt eine Verschreibungshöchstmenge von 1000 mg Extrakt innerhalb von 30 Tagen. Um die ärztlich verordnete Konzentration einzustellen, wird der Ausgangsextrakt mit Miglyol, einem Gemisch mittelkettiger Triglyceride, verdünnt. Weitere Informationen enthält die Rezepturvorschrift NRF 22.11.

Taxiert wird die anteilig verwendete Menge Blütenextrakt und der Preis des Rezeptursets plus 90%iger Aufschlag sowie ein Rezepturzuschlag von 2,50 Euro für das Herstellen einer Lösung ohne Anwendung von Wärme. Auf die Gesamtsumme wird die Mehrwertsteuer und die BtM-Gebühr von 0,26 Euro berechnet.

Was sollte in der Beratung angesprochen werden?

Im neuen Gesetz wurde ausdrücklich darauf verzichtet, einzelne Indikationen zur medizinischen Anwendung von Cannabis aufzuführen. Theoretisch könnten Cannabis-Blüten und -Extrakte sowie Rezepturarzneimittel mit Dronabinol daher für jede Indikation verordnet werden. Unabhängig vom Anwendungsgebiet sollten dem Patienten bei der Abgabe einige Worte mit auf den Weg gegeben werden.

Dosierung

Zur Dosierung von Cannabis als Medizin gibt es keine allgemein gültigen Regeln, aber Empfehlungen. Unabhängig davon, ob es sich um Blüten, Extrakte, Rezepturen oder Fertigarzneimittel handelt, gilt es grundsätzlich, die richtige Dosis für eine Dauertherapie langsam zu titrieren. Das kann unter Umständen mehrere Wochen dauern. Während dieser Zeit sollte der Patient kein Fahrzeug führen. Die Anwendung sollte immer unter gleichen Bedingungen, also entweder vor, zum oder nach dem Essen und zur gleichen Tageszeit erfolgen.

Bei Cannabis-Blüten wird je nach THC-Gehalt eine Anfangsdosis von 25 bis 50 mg Cannabis-Blüten empfohlen und maximal 100 mg Cannabis-Blüten mit geringem THC-Gehalt pro Tag. Die Dosis kann alle ein bis drei Tage um etwa 25 bis 100 mg Cannabis-Blüten gesteigert werden. Zur inhalativen Anwendung empfiehlt sich ein Vaporisator (siehe dazu NRF 22.12. und 22.13.). Möglich ist auch die Anwendung als Tee, allerdings mit geringerer Ausbeute (siehe dazu NRF 22.14. und 22.15.).

In Bezug auf Rezepturen mit Dronabinol wird mit ein- bis zweimal täglich 2,5 mg Dronabinol begonnen und die Dosis vorsichtig innerhalb von vier Wochen alle ein bis zwei Tage um eine Einheit (2,5 mg Dronabinol) bis zum Erreichen der gewünschten Wirkung oder dem Eintritt von Nebenwirkungen gesteigert. Ölige Dronabinol-Tropfen sollten zur oralen Einnahme nicht mit Wasser verdünnt werden, sondern entweder direkt auf einem Löffel oder auf ein Stück Brot, einen Keks oder Würfelzucker getropft eingenommen werden.

Bei der Therapie mit Sativex® wird mit einem Sprühstoß am Abend begonnen. Der Patient kann die Dosis schrittweise um einen Sprühstoß pro Tag erhöhen auf höchstens zwölf Sprühstöße täglich. Zwischen den Sprühstößen sollten Abstände von mindestens 15 Minuten liegen.

Beim Fertigarzneimittel Canemes® ist eine Dosierung von ein bis zwei Kapseln (1,0 bzw. 2,0 mg Nabilon) pro Tag üblich.

Beim Extrakt aus Cannabis-Blüten wird in der Regel mit einer Einzeldosis von 2,5 mg Dronabinol täglich begonnen. Sinnvoll ist es, die Tropfen zur Einnahme direkt auf einen Löffel zu geben. Alternativ können sie auf einem Stück Brot, einem Butterkeks oder auf einem Stück Zucker eingenommen werden. Auf keinen Fall dürfen die Tropfen inhaliert werden.

Nebenwirkungen

Vor allem zu Beginn der Therapie treten häufig Schwindelgefühle und Müdigkeit auf. Auch Nebenwirkungen wie Tachykardie, Blutdruckabfall, Mundtrockenheit, Muskelentspannung, verstärkter Appetit und psychotrope Wirkungen sind möglich. Bei regelmäßiger Einnahme tritt aber meist eine Gewöhnung ein.

Kontraindikationen

Persönlichkeitsstörungen, psychotische Erkrankungen, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schwangerschaft und Stillzeit sind wichtige Kontraindikationen.

Interaktionen

Es sind Wechselwirkungen mit Substraten des Cytochrom-P450-Systems (CYP450) möglich, darunter CYP-Inhibitoren wie Itraconazol, Ritonavir oder Clarithromycin und CYP-Induktoren wie Rifampicin, Carbamazepin und Phenytoin. Pharmakodynamisch können die sedierenden Wirkungen von Benzodiazepinen und Hypnotika und die muskelrelaxierende Wirkung von Spasmolytika verstärkt werden.

Überdosierung

Bei Überdosierung des Fertigarzneimittels Sativex® wurden akute intoxikationsartige Reaktionen einschließlich Schwindelgefühl, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Paranoia, Tachykardie oder Bradykardie mit Hypotonie beobachtet.

Presseschau: Cannabis als Tee: Was ist mit der Wasserlöslichkeit von THC? (Pharmazeutische Zeitung online)

Die Pharmazeutische Zeitung plädiert für die Behandlung von Cannabisblüten als Rezepturarzneimittel.

Cannabis als Tee: Was ist mit der Wasserlöslichkeit von THC?

Ab heute kann der Arzt Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken auf Rezept verordnen. Eine Möglichkeit ist, mit den Blüten einen Tee zuzubereiten – obwohl das hauptsächlich wirksame Cannabinoid Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC; Dronabinol) schlecht wasserlöslich ist. Das ist bei der Dosierung bereits berücksichtigt. Die Blüten werden in der Apotheke zerkleinert und im Falle der Mehrdosenzubereitung in einer Weithalsflasche abgegeben, um die Abmessung per Pulverlöffel möglichst genau zu gewährleisten. Sie können auch einzeldosiert als in Pulverkapseln aus Papier abgefüllt werden.

«Die Apotheke unterliegt bei der Zubereitung der Rezepturarzneimittel den anerkannten pharmazeutischen Regeln und Qualitätsforderungen», betont Dr. Holger Reimann, Leiter des Neuen Rezeptur-Formulariums (DAC/NRF) gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. «Da Cannabisblüten nicht nur aus den Blüten im engeren Sinne bestehen, sondern auch aus Triebspitzen mit Blütenständen und Kelchblättern, erscheint es ohne ein gewisses Maß an Zerkleinerung unmöglich, reproduzierbar kleine Mengen mit ausreichend gleichförmigen Einzeldosen an Wirkstoff abzuteilen und anzuwenden.»

Eine Zubereitung als einfacher Aufguss wie bei anderen Tees funktioniert mit Cannabisblüten nicht. Die Cannabisblüten müssen mindestens 15 Minuten gekocht werden. Denn in den Pflanzen liegen nur die Vorstufen der wirksamen Formen der Cannabinoide vor, die noch decarboxyliert werden müssen.

«Die bisher meist verwendete Cannabissorte enthält hauptsächlich die Carbonsäure-Vorstufe (THC-A) des wertbestimmenden Cannabinoids THC zu etwa 20 Prozent neben kleinen Anteilen THC und Spuren der Carbonsäure-Vorstufe (CBD-A) des Cannabidiol (CBD)», erläutert Reimann. Im kochenden Wasser löst sich THC-A rasch zu etwa 45 mg/l und THC zu mehr als 10 mg/l, soweit es sich bereits gebildet hat. «Da Wasser bei Normaldruck nicht heißer wird als sein Kochpunkt, ist die Decarboxylierungs-Reaktion langsam, und es muss lange gekocht werden, bis nach etwa einer halben Stunde eine THC-Sättigung vorliegt», so Reimann. «Doch bereits nach 15-minütigem Kochen liegt die THC-Konzentration um 10 mg/l und erlaubt es, je nach getrunkener Menge mit einer Tasse Dekokt etwa 2 mg THC zu trinken oder nach ärztlicher Anweisung mehr.» Mehr dazu finden Apotheker und PTA seit dem 06. März in den neuen NRF-Vorschriften 22.14. und 22.15.

Das Dekokt sollte getrunken werden, solange es noch heiß ist. Solange nicht zu viele Tassen getrunken werden, ist eine Überdosierung nicht zu befürchten, da eine gesättigte Lösung entsteht. Für die zwei- oder mehrmalige Anwendung am Herstellungstag kann das Dekokt in der Thermoskanne warm gehalten werden. Um davon noch am Folgetag zu trinken, kann angeblich Kaffeeweißer zugesetzt werden, der das THC bei Abkühlung bindet. Dies und die Zugabe von Sahne oder anderen fettigen Lebensmittel als Lösungsmittel, wie in manchen Foren empfohlen, hat die DAC/NRF-Kommission nicht berücksichtigt. Beim Zusatz fettiger Lebensmittel ohne Erhitzung entsteht kein THC und der Zusatz vor dem Kochen wäre aus Gründen fehlender Reproduzierbarkeit abzulehnen.

Die Blüten sind oxidationsempfindlich und sollten daher verschlossen aufbewahrt werden. Eine Aufbewahrung im Kühlschrank ist beim Patienten möglich, differenzierte Experimentaldaten für unterschiedliche Lagerungsbedingungen fehlen aber noch. Verordnen darf der Arzt immer nur den Bedarf für 30 Tage (maximal 100 g Cannabisblüten, unabhängig von der Sorte). Vorläufig hat DAC/NRF den Richtwert für die Haltbarkeit mit zwei Monaten etwas länger festgesetzt.

Presseschau: Schwere Anfälle Wie Cannabis einem schwerbehinderten Mädchen hilft (Mitteldeutsche Zeitung)

Über die erfolgreiche Behandlung eines schwer kranken Kindes mit Cannabispräparaten berichtet die Mitteldeutsche Zeitung.

Schwere Anfälle Wie Cannabis einem schwerbehinderten Mädchen hilft

Wenn der Anfall kommt, verkrampft sich Lillys ganzer Körper. Unkontrolliert wirft das kleine Mädchen die Arme und Beine von sich, ihr Kopf biegt sich nach hinten - manchmal fast bis zum Po. Kein Laut kommt dabei von ihren Lippen, schreien kann sie nicht. „Sie ist dann steif wie ein Surfbrett“, sagt ihr Vater Christian Damm.

Die fünfjährige Lilly ist schwerstbehindert. Epilepsie und spastische Anfälle bestimmen ihr Leben. Vor wenigen Wochen hat der Bundestag Cannabis auf Rezept freigegeben. Ärzte können damit Schwerkranken künftig Cannabis verschreiben. Tumorpatienten zum Beispiel, die durch Chemotherapie unter Übelkeit und Erbrechen leiden. Oder Patienten wie Lilly, die unter den Anfällen, die mit ihrer schweren Behinderung einhergehen, stark leidet. „Cannabis ist kein Wundermittel“, betont Steffi Patzer vom Elisabeth-Krankenhaus in Halle. „Aber es bringt Lilly ein Stück Lebensqualität zurück.“

Schwerkranke Lilly aus Halle leidet unter Hirnschwund

Die Kinderneurologin behandelt Lilly seit knapp drei Jahren mit Cannabis. Dabei begann Lillys Leidensgeschichte schon viel früher. Als gesundes Kind auf die Welt gekommen, ändert sich alles mit einem epileptischen Anfall in ihrer zweiten Lebenswoche. Danach kommen die Anfälle regelmäßig, bis zu zehn Mal am Tag. Als Lilly ein halbes Jahr alt ist, hört einer der Anfälle plötzlich nicht mehr auf. Mediziner sprechen vom Status epilepticus, Lilly schwebt in Lebensgefahr. Drei Wochen liegt sie im künstlichen Koma. „Keiner wusste, was sie wirklich hat“, sagt Stefan Damm.

Was folgt, sind unzählige Untersuchungen bei verschiedenen Ärzten. Die Diagnose: Lilly leidet unter einer äußerst seltenen Form der Leukodystrophie, dem fortschreitenden Verlust von Hirngewebe. Die Anfälle und Krämpfe, die ihren kleinen Körper quälen, sind eine Auswirkung ihrer Krankheit. „Lilly hat keine Chance auf Entwicklung“, sagt Steffi Patzer. „Sie wird nie sprechen, laufen oder ohne Hilfe essen können.“ Daran wird auch Cannabis nichts ändern können. „Aber ohne die Behandlung wäre Lilly in keinem lebenswerten Zustand“, so Patzer.

Cannabis als Medikament lang umstritten

In der Politik war die rezeptfreie Cannabis-Freigabe war lange umstritten. Zwar belegen Einzelfall- Studien schon lange, dass Wirkstoffe der Droge die Symptome verschiedener schwerer Krankheiten lindern können. Aber es mangelt an hochwertigen Untersuchungen zu Cannabis mit größeren Patientenzahlen und guter Methodik. Der Bund tat sich schwer damit, die Droge offiziell als Medikament anzuerkennen.

Durch das neue Gesetz müssen künftig die Krankenkassen die Kosten für die Therapie mit dem Medizin-Hanf übernehmen, wenn einem Kranken nichts anderes mehr hilft. Auch vor der Gesetzesänderung gab es für Schwerkranke Cannabis - nur bedurfte es einer Sondergenehmigung und der bürokratische Aufwand war groß. Zudem war nicht sicher, ob Patienten die Kosten von den Kassen zurückerstattet bekamen.

Schwerkranke Lilly bekommt sechs Mal täglich Cannabis.

Lilly bekommt Cannabis in Form von Tropfen – zusätzlich zu den anderen acht Medikamenten, die sie nehmen muss. Sechsmal am Tag werden ihr diese aufgelöst in Tee verabreicht. Die Wirkmenge entspricht dabei dem Zwanzigstel eines Joints. „High wird Lilly dadurch nicht“, betont Neurologin Steffi Patzer. Aber es bewirkt, dass die spastischen Anfälle seltener werden, ihr Körper Ruhe finden kann. Auch Lillys Eltern sind von der Wirkung überzeugt. „Es geht ihr dadurch viel besser. Sie hat ein entspannteres Leben und viele Zustände, in denen es ihr gut geht“, sagt Stefan Damm.

Rückfälle bleiben bei Lilly aus Halle nicht aus

Und trotzdem bleiben Rückschläge nicht aus. Wenn Lilly wieder ein Anfall quält, sieht man den Schmerz in ihrem Gesicht. Dann schwitzt sie, bekommt Herzrasen, wird unruhig. Ein Anfall war so heftig, dass sie sich das Bein brach. „Das tut uns natürlich jedes Mal weh“, sagt Vater Stefan Damm. Er und seine Frau Anita nehmen Lilly während der Anfälle in den Arm, sprechen mit ihr, machen Musik an. Nicht jedes Mal hilft das. „Es gibt Momente, die frustrierend sind“, sagt er.

Ein Heilmittel gegen Lillys Behinderung gibt es leider nicht, ihre Krankheit ist bisher kaum erforscht. „Die eigentliche Ursache für Lillys Krankheit haben wir noch nicht gefunden“, sagt Neurologin Patzer. Trotzdem geben Lillys Eltern geben nicht auf: „Wir wünschen uns, dass Lilly noch viele entspannte und wache Momente erleben kann“, sagt Stefan Damm. „Auf mehr wagen wir gar nicht zu hoffen.“

Presseschau: «Auch CBD-Joints können einen Rausch auslösen» (20 minuten)

Die Schweizer Zeitung 20 minuten befasst sich mit der Popularität von Faserhanf, der in der Schweiz bis zu einem Prozent THC enthalten kann.

«Auch CBD-Joints können einen Rausch auslösen»

Der Konsum von CBD-Hanf boomt. Doch wie harmlos sind solche Joints? Ein Arzt gibt Antworten.

Herr Grotenhermen, CBD-Hanf ist bei jungen Leuten zurzeit von kaum einer Party wegzudenken. Was passiert, wenn man einen Joint mit Cannabidiol CBD raucht?

CBD wirkt angstlösend und zeigt sonst nur wenige psychische Wirkungen. Das CBD ist also sicherlich nicht das Problem. Andere Effekte des Hanfs, wie euphorisierende Wirkungen, könnten von dem darin enthaltenen THC herrühren.

Wie kommen Sie darauf? Da CBD-Hanf weniger als ein Prozent des rauscherzeugenden THC (Tetrahydrocannabinol) enthält, gilt der Hanf nicht als psychoaktiv.

In der Schweiz ist Cannabis mit einem THC-Gehalt von weniger als einem Prozent legal. So könnte der CBD-Hanf durchaus relevante THC-Mengen enthalten. Daher ist der Begriff «CBD-Hanf» möglicherweise auch irreführend. Je höher der THC-Gehalt ist, desto stärker ist der Rausch. Jemand, der regelmässig kifft, spürt wahrscheinlich auch bei der höchsten Dosis keinen Unterschied. Raucht aber jemand das erste Mal oder nach langer Cannabis-Abstinenz einen so genannten CBD-Joint mit relevanten THC-Mengen, könnte er einen leichten Rausch spüren. Anders ist dies in der EU. Dort liegt die Grenze bei 0,2 Prozent. Diese Menge ist zu gering, um Rauschzustände auszulösen.

Ist CBD-Hanf schädlich?

Gerade jungen Leuten würde ich raten, vom häufigen Konsum die Finger zu lassen. Regelmässiger und früher Konsum könnte sich ungünstig auf die geistige Entwicklung auswirken. Dies ist nicht grundsätzlich anders als mit anderen Drogen, wie zum Beispiel vor allem Alkohol. Da ein CBD-Joint nur geringe THC-Mengen enthält, ist das Risiko natürlich nicht so gross wie bei THC-reichen Sorten. Der Konsum kann aber vor allem bei Jugendlichen und starkem Konsum trotzdem eine – wenn auch nur mässig starke – Abhängigkeit verursachen. Dass solche Joints wie andere Tabakwaren dazu Lunge und Gefässe schädigen, versteht sich von selbst.

Abgesehen davon wären reine CBD-Joints also harmlos?

Ja. CBD ist so harmlos wie Bachblütentröpfchen. Ich verabreiche CBD auch schwer kranken Kindern. CBD wirkt angstlösend, antidepressiv und antiepileptisch. Es kann eine entspannende Wirkung haben. Der Stoff hat weder psychische noch physische Folgen.

Presseschau: Krebstherapie Die Hoffnung ruht auf Cannabis (Berliner Zeitung)

Die Berliner Zeitung greift das Thema Cannabis in der Krebstherapie auf.

Krebstherapie Die Hoffnung ruht auf Cannabis

Krebs ist tückisch. Er lässt Menschen bangen, verzweifeln, aber auch hoffen. Sie hoffen auf die Wirkung von Chemotherapien, Bestrahlungen, Medikamenten – manchmal auch auf Cannabis. Das Internet ist voll von Geschichten darüber, dass die berauschend wirkende Pflanze als Krebsmittel dienen kann. Das kühnste Versprechen: Cannabis könne Krebs heilen.

Das behauptet etwa der Kanadier Rick Simpson. In unzähligen Videos, Büchern und in den sozialen Netzwerken predigt der Rentner von der heilenden Wirkung eines durch Cannabis gewonnenen Öls. Ihn selbst habe es von Hautkrebs befreit, berichtet Simpson. Seine Geschichte spricht sich herum – rund um den Globus. Todkranke Menschen behandeln sich in Eigenregie mit dem Hanf-Öl. Gleichzeitig empfiehlt Simpson, auf Schulmedizin zu verzichten. „Rick Simpson ist kein Arzt. Was er macht ist fahrlässig“, sagt Mediziner Franjo Grotenhermen. Als Vorsitzender einer internationalen Arbeitsgemeinschaft für Cannabis als Medizin setzt er sich seit Jahren für die Anwendung der Pflanze in der medizinischen Therapie ein. „Cannabis ist kein Wundermittel, es ist eine Möglichkeit“, sagt er.

Effekte bei Mäusen und Ratten

Zuverlässige wissenschaftliche Belege für die von Rick Simpson angepriesene krebsheilende Wirkung der Pflanze gebe es nicht, auch wenn in dem Bereich seit Jahrzehnten viel geforscht werde, sagt Grotenhermen. „Es gibt Hinweise, dass einige Wirkstoffe von Cannabis wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) krebshemmend sind, sie können das Ergebnis von Standardtherapien verbessern – bei Mäusen und Ratten.“ Dass es beim Menschen auch so sei, könne man nur hoffen. Denn das tatsächliche Wissen über die Wirkung der Cannabinoide bei Tumorerkrankungen beschränkt sich bisher fast nur auf Zellstudien und Tierversuche, die – zumindest in manchen Fällen – Anlass zur Hoffnung geben. Auf Basis vorklinischer Befunde hat der Biochemiker Manuel Guzmán in Spanien die weltweit erste Studie an Menschen vorgenommen und die Resultate 2006 veröffentlicht.

Der Forscher von der Universidad Complutense in Madrid verabreichte neun schwerst kranken Krebspatienten, die an sehr aggressiven Hirntumoren litten, THC über einen Katheter direkt in das Gehirn. Zumindest bei einigen Teilnehmern verringerte sich daraufhin die Wachstumsrate der Tumore. Dabei traten dem Forscher zufolge kaum Nebenwirkungen auf. Guzmáns Veröffentlichung sorgte für Furore.

So wie die von Burkhard Hinz. Vor zwei Jahren brachte der Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsmedizin Rostock mit Hilfe von Cannabinoiden Krebszellen im Laborversuch sozusagen zum Platzen. Damit ging auch die Debatte über die Heilkraft der Pflanze weiter. Der Pharmakologe bleibt aber vorsichtig: „In der Vergangenheit haben viele neue Antikrebsstrategien, die in präklinischen Untersuchungen hoffnungsvoll erschienen, den Sprung in die Klinik nicht geschafft, weil sie beim Menschen nicht die vermutete Wirkstärke zeigten“, sagt Hinz. In der Pflanze sieht der Forscher perspektivisch einen interessanten Kandidaten für die Behandlung von Krebs – aber nur eventuell. Denn wie Cannabinoide genau im menschlichen Organismus wirken, bleibe trotz Guzmáns Studie weiter offen.

Angesichts der mageren Datenlage könne man die Entwicklung schwer prognostizieren. „Fakt ist, dass Cannabinoide im Labor nicht nur einen, sondern mehrere Angriffspunkte innerhalb der Entwicklung und Ausbreitung von Tumoren haben“, sagt Hinz. Für den Pharmakologen bleibt die Erforschung der Substanzen weiter wichtig.

Trotz der Ungewissheit gibt es viele Krebspatienten, die Cannabis als Medizin ausprobieren wollen. „Man kann ihnen aber nicht sagen, kommen Sie in fünf bis 20 Jahren wieder, dann wissen wir mehr“, sagt Grotenhermen. Wenn jemand Cannabinoide ausprobieren will, verschreibt der Mediziner entsprechende Präparate. Allerdings nicht als hochkonzentriertes Cannabis- oder Hanf-Öl. Denn das ist, genauso wie der Anbau, Handel und Besitz von Cannabis, in Deutschland verboten.

Seit 2007 können Patienten mit einer Sondergenehmigung der Bundesopiumstelle getrocknete Blüten erwerben. Die werden geraucht, inhaliert oder oral eingenommen. Derzeit haben nach Angaben der Bundesregierung mehr als tausend Patienten eine Erlaubnis dafür. Weil Krankenkassen die Kosten in der Regel nicht tragen, kann eine solche Therapie auf Dauer teuer werden. Deshalb hat im Oktober erstmals ein Patient in Deutschland eine Zulassung bekommen, Hanf für den eigenen Gebrauch selbst anzubauen. Ende 2016 gab es zwei solche Lizenzen.

Was eher unbekannt ist: Auch ohne eine Sondergenehmigung dürfen Ärzte zumindest die Cannabiswirkstoffe als Fertigarzneimittel an ihre Patienten verschreiben. Und zwar in Form des Cannabisextraktes Sativex oder des Cannabiswirkstoffs Dronabinol. Die Arzneimittel werden vor allem bei spastischen Symptomen und Multipler Sklerose verschrieben, aber auch bei chronischen Schmerzen, Übelkeit und Appetitlosigkeit. Bei solchen Problemen ist Cannabis ein bewährtes Mittel.

Müdigkeit und Suchtgefahr

Doch wieso sind Mediziner trotzdem so zurückhaltend, wenn es um Cannabis als Medikament geht? „Die Ablehnung basiert in erster Linie auf Unsicherheit“, sagt Grotenhermen. „Für Onkologen ist die aktuelle Faktenlage zu den krebshemmenden Eigenschaften außerdem einfach noch zu lückenhaft.“ Zu viele Fragezeichen gebe es schon bei Details wie der Dosierung: „Es ist nicht klar, was das optimale Verhältnis von THC und CBD ist“, sagt der Mediziner. Ärzte wüssten auch nicht, wie lange man Patienten mit den Wirkstoffen behandeln müsste – geschweige denn, wie hilfreich das Ganze am Ende wirklich sei.

Experten sind zudem skeptisch, was den Hype um die Pflanze betrifft. „Cannabis wirkt nicht so toll, wie viele denken“, sagt Palliativmediziner Lukas Radbruch von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Die schmerzlindernde Wirkung von Cannabis sei nicht stärker als bei einem schwachen Opioid und helfe auch nicht jedem schwer kranken Patienten. Es gebe zwar Menschen, bei denen das psychoaktive THC gut wirke – etwa gegen Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit während einer Chemotherapie – doch vielen anderen Patienten würden andere Arzneien besser helfen. „THC macht müde und bewirkt, dass man seine Umwelt nicht mehr zu hundert Prozent wahrnimmt“, sagt Radbruch.

Wichtig sei zu wissen, dass es beispielsweise in den Niederlanden, wo der Anbau von Medizinalhanf erlaubt sei, hin und wieder zu Pilzbefall der Blüten komme. „Wenn man solches Cannabis raucht, kann das zu Lungenerkrankungen führen.“ Hanfblüten zu inhalieren berge eben auch Risiken, THC in Tropfen, Kapseln oder als Spray sei dagegen unbedenklicher. Außerdem gebe es individuelle Wirkungsunterschiede, auch die Suchtgefahr dürfe nicht unterschätzt werden. Der Palliativmediziner sieht in medizinischem Cannabis nicht mehr als ein Nischenprodukt, das nur für eine kleine Gruppe von Patienten wirklich geeignet ist.