- Veröffentlicht
- Zuletzt aktualisiert
- Lesezeit
ACM-Mitteilungen vom 1. November 2025
Liebe Leserin, lieber Leser,
ein vom Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen (BPC) organisiertes Webinar unterstrich erneut die erheblichen gesundheitlichen Gefahren, die die geplante Änderung des Medizinalcannabisgesetzes durch das Bundesministerium für Gesundheit mit sich bringen könnte.
Nach meinem Eindruck wird es dem BMG kaum gelingen, das Gesetz in der geplanten Form, wie etwa das Versandverbot für Cannabisblüten, durchzusetzen. Es gibt erhebliche Bedenken gegen dieses Vorhaben und keine relevanten Argumente dafür. Vertreter der SPD haben deutlich gemacht, dass das Gesetz in dieser Form von der SPD-Fraktion nicht mitgetragen werden könne.
Heiter weiter!
Franjo Grotenhermen
Rückblick auf das BPC-Webinar zum Regierungsentwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG) (Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen)
Ein Webinar zu den geplanten Änderungen des Medizinalcannabisgesetzes brachte Experten, Verbände und Politiker zusammen.
Am 20. Oktober 2025 fand das Informations-Webinar „Medizinalcannabis im Wandel – rechtliche und medizinische Einordnung des aktuellen Gesetzesentwurfs“ des Bundesverbandes pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC) statt. Anlass bot der vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes, der zentrale Aspekte wie telemedizinische Verschreibungspraxis, Versandhandel und Versorgungssicherheit berührt. Ziel der Veranstaltung war es, eine fundierte juristische und medizinische Einordnung bereitzustellen und Raum für faktenbasierte, sachliche Diskussion zu schaffen. Insgesamt nahmen 27 Personen am Webinar teil, darunter Mitarbeitende des Deutschen Bundestags, Mitgliedsunternehmen des Verbandes sowie Expertinnen und Experten aus Medizin und Recht.
Die Veranstaltung wurde von Antonia Menzel, Vorstandsvorsitzende des BPC und Director Public Affairs der Sanity Group GmbH, eröffnet. Sie betonte die Verantwortung der Branche, die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu sichern und gleichzeitig Missbrauchsmöglichkeiten zu verhindern.
Juristische Einordnung des Gesetzentwurfs
Jakob Sons, Jurist, Geschäftsführer der Cansativa GmbH und Mitglied im BPC-Vorstand, stellte die wesentlichen Inhalte des Regierungsentwurfs vor – insbesondere die geplante Pflicht zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt vor jeder Erstverordnung von Cannabisblüten sowie das vorgesehene Verbot des Versandhandels über Apotheken. Diese Maßnahmen begründet der Gesetzgeber mit einem angeblichen Missbrauchspotenzial, gestiegenen Importzahlen und einem anwachsenden Markt privat verschriebener Cannabisblüten. Sons erläuterte, dass die herangezogenen Zahlen kein eindeutiger Beleg für Missbrauch seien, sondern u.a. auf eine gestiegene medizinische Nachfrage und bessere Versorgungslage durch den Abbau bürokratischer Hürden seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes 2024 zurückzuführen seien. Zudem betonte er, dass lediglich 60% der importierten Ware tatsächlich über Apotheken an Patienten in Deutschland abgegeben werden. Die verbleibenden 40% entfallen auf Reexporte, Lagerbestände, Weiterverarbeitung, Vernichtung und wissenschaftliche Zwecke.
Ein von Hengeler Mueller erstelltes Rechtsgutachten bewertet die Kontaktpflicht und das Versandverbot als unverhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit von Ärzt:innen und Apotheker:innen nach Artikel 12 Grundgesetz. Es fehle sowohl an einer belastbaren Datenbasis als auch an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Begründung. Zudem stünden die verpflichtende Präsenzbehandlung sowie der Ausschluss digitaler Behandlungsformen im Widerspruch zu europäischen Regelungen zur Dienstleistungsfreiheit und der E-Commerce-Richtlinie. Die geplanten Regelungen „bremsen die telemedizinische Behandlung aus, obwohl diese ausdrücklich politisch gewollt ist und der Versorgungssicherheit dient“, so Sons. Gleichzeitig seien Patientinnen und Patienten in ihrer Gesundheitsversorgung eingeschränkt, da der physische Arztkontakt zur Voraussetzung gemacht werde – unabhängig davon, ob medizinisch eine körperliche Untersuchung erforderlich sei. Die geplanten Maßnahmen seien weder verfassungs- noch europarechtlich gerechtfertigt und führten „nicht zu mehr Patientensicherheit, sondern zu weniger Versorgungssicherheit.“
Dr. Susanne Koch, Rechtsanwältin bei Hengeler Mueller, ergänzte, dass der Regierungsentwurf bestehendes Berufs- und Apothekenrecht in weiten Teilen doppelt regle – speziell und ausschließlich für Cannabis. Dabei gebe es bereits heute klare rechtliche Vorgaben, wann Ärztinnen und Ärzte körperlich untersuchen müssen und wann Apotheken Beratung leisten oder sogar eine Abgabe per Versand verweigern müssen. Koch stellte klar: „Ärzte müssen schon heute körperlich untersuchen, wenn es medizinisch erforderlich ist – das ist geltendes Berufsrecht. Dafür braucht es kein eigenes Sonderrecht nur für Cannabis.“
Medizinische Perspektive auf den Gesetzentwurf
Im zweiten Impuls ordnete Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover, den Gesetzentwurf medizinisch ein. Sie betonte, dass Medizinalcannabis für viele Patientinnen und Patienten eine etablierte Therapieoption sei, insbesondere bei chronischen Erkrankungen wie Tourette-Syndrom, Schmerzen oder Spastiken.
Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl betonte, dass die Versorgung mit Medizinalcannabis aus medizinischer Sicht seit 2024 nur in einem Punkt leichter geworden ist: „Cannabis-Arzneimittel unterliegen nicht mehr der Betäubungsmittel- Verschreibungsverordnung.“ Dies sei ein wichtiger Schritt zum Bürokratieabbau in Praxen und Apotheken gewesen, habe aber auch dazu geführt, dass Telemedizinplattformen „wie Pilze aus dem Boden geschossen sind“. Gleichzeitig bleibe die Kostenerstattung durch die GKV aufgrund der strikten SGB V Regelung und des jüngsten Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sehr schwierig, da Kostenübernahmen seither tendenziell sogar noch häufiger abgelehnt würden und die Sorge vor Regressen nach Wegfall des Genehmigungsvorbehalts weiter zugenommen habe. Daher seien viele Patientinnen und Patienten gezwungen, ihre Therapie auf Selbstzahlerbasis zu finanzieren. Müller-Vahl stellte klar, dass Ärztinnen und Ärzte bereits heute berufsrechtlich verpflichtet seien, Indikation, Anamnese und Verlauf sorgfältig zu dokumentieren.
Ein zentrales Anliegen von Müller-Vahl war zudem, die medizinische Bedeutung von Cannabisblüten klarzustellen. Sie wandte sich ausdrücklich gegen die zunehmende Tendenz, Blütenpatient:innen pauschal als Freizeitkonsument:innen zu stigmatisieren: „Es ist eine fatale Fehleinschätzung, Cannabisblüten pauschal als ‘schlechtes’ Cannabis abzuwerten. Es gibt viele gute medizinische Gründe, Cannabisblüten zu verordnen.“ Aus ihrer Sicht müsse die Politik klar zwischen medizinischer Versorgung und Freizeitkonsum unterscheiden und dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten nicht erneut in die Selbsttherapie und den Schwarzmarkt gedrängt würden.
Diskussion und Ausblick
In der Diskussion wurde deutlich, dass es eine Reihe von Möglichkeiten gebe, den Gesetzentwurf verhältnismäßiger auszugestalten – und dass die zentrale Frage bleibt, ob es überhaupt einer zusätzlichen Regelung bedarf, da der bestehende rechtliche Rahmen bereits greife. Alternativen zu einem pauschalen Verbot wären beispielsweise verpflichtende Videosprechstunden, sofern die Ärztin oder der Arzt eine physische Untersuchung nicht für medizinisch erforderlich hält, verpflichtende Dokumentations- und Aufklärungspflichten sowie spezifische Qualifikationsanforderungen oder Schulungen für Ärztinnen und Ärzte, die Cannabis verordnen. Damit könnten Missbrauchsrisiken adressiert werden, ohne in die Therapiefreiheit einzugreifen.
Auf die Frage nach dem Missbrauchspotential, stellte Prof. Müller-Vahl hierzu klar, dass in der klinischen Realität Suchterkrankungen oder eine Abhängigkeit im Rahmen ärztlich begleiteter Cannabistherapien „praktisch keine Rolle“ spielten. Zwar könne Cannabis grundsätzlich eine Abhängigkeit erzeugen, jedoch sei das Risiko „im Vergleich zu vielen anderen Drogen, auch legalen Drogen, gering“. Entscheidend sei, dass unter kontrollierter ärztlicher Begleitung und bestimmungsgemäßem Gebrauch das Risiko extrem niedrig bleibe. Gleichzeitig stellte sie klar,wenn Menschen Cannabis konsumieren möchten, würden sie Wege finden – legal oder illegal. Eine Verschärfung der gesetzlichen Versorgung führe nicht automatisch zu weniger Konsum, sondern erhöhe eher die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene auf den Schwarzmarkt ausweichen.
In Bezug auf mögliche Versorgungsrisiken führte Prof. Müller-Vahl aus, dass Cannabisarzneimittel nach wie vor überwiegend für schwerkranke und chronisch erkrankte Menschen eingesetzt würden, die häufig eingeschränkt mobil seien. Sie warnte eindringlich, dass diese Patientinnen und Patienten bei einem Versandverbot faktisch von der Versorgung ausgeschlossen sein könnten: „Wenn Apotheken im Umkreis nicht an der Cannabisblütenversorgung teilnehmen und der Versand verboten wird, haben wir ein echtes Problem – gerade für Menschen, die keine 100 oder 200 Kilometer zur nächsten Apotheke fahren können.“
Der BPC kündigte an, die Ergebnisse des Webinars in die politische Beratung einzubringen und weiterhin als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen – unter anderem beim Parlamentarischen Abend des Verbandes am 3. Dezember 2025 in Berlin. Abschließend wurde deutlich: Der Wunsch nach einer rechtssicheren, verhältnismäßigen und patientenorientierten Regulierung eint sowohl Politik als auch Praxis, erfordert jedoch eine klare Trennung zwischen tatsächlichem Missbrauch und notwendiger Versorgung.
Drogenbeauftragter Streeck fordert Rückkehr zu strengeren Cannabis-Regeln (gesundheit.de)
Kommentar Grotenhermen: Der Drogenbeauftragte möchte einerseits strengere Cannabisregeln. Diese werden voraussichtlich zu einer Vergrößerung des Schwarzmarktes führen. Andererseits möchte er den Cannabis-Schwarzmarkt austrocknen. Es zeigt sich, dass eine evidenzbasierte Drogenpolitik nicht so einfach und konsistent umsetzbar ist.
Drogenbeauftragter Streeck fordert Rückkehr zu strengeren Cannabis-Regeln
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hendrik Streeck (CDU), hat eine Rückkehr zu schärferen Cannabis-Gesetzen gefordert. Um den Missbrauch einzudämmen, müsse zum Beispiel überlegt werden, Medizinalcannabis nur noch in Form von Tropfen oder Kapseln und nicht mehr zum Rauchen zuzulassen, sagte Streeck der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Dienstagsausgabe). Die von der Ampel-Regierung beschlossene Cannabis-Legalisierung werde die Union in Teilen zurücknehmen.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass die CDU das Cannabis-Gesetz noch einmal aufschnüren wird", sagte der Mediziner. So übersehe die von der Vorgängerregierung durchgesetzte Teillegalisierung, dass Jugendliche unter 25 Jahren nach dem Cannabiskonsum langfristige psychische Probleme entwickeln könnten. Auch sei die Menge von 25 Gramm, die jeder Erwachsene mit sich führen dürfe, viel zu hoch. Das sei mehr als in jeden anderen EU-Land.
Zudem müssten die Inhalte und Füllmengen von E-Zigaretten strenger überwacht werden, forderte Streeck. Diese sogenannten Vapes richteten sich in Geschmack und Aufmachung an Jugendliche, obgleich sie nur an Erwachsene abgegeben werden dürften. "Auch Minderjährige kommen schon dran", warnte der CDU-Abgeordnete.
Es gebe "unter dem Ladentisch E-Zigaretten mit viel mehr Zügen drin als zugelassen, dagegen müssen wir vorgehen", sagte Streeck. Er verlangte, "endlich die Inhaltsstoffe daraufhin zu untersuchen, ob man sie überhaupt inhalieren sollte".
Die Ampel-Regierung hatte Cannabis zum 1. April vergangenen Jahres teillegalisiert: Besitz und kontrollierter Anbau zum privaten Gebrauch sind seitdem erlaubt, allerdings mit zahlreichen Einschränkungen.
Drogenbeauftragter will Cannabis-Schwarzmarkt austrocknen (Deutsches Ärzteblatt)
Kommentar Grotenhermen: Der Drogenbeauftragte möchte einerseits strengere Cannabisregeln. Diese werden voraussichtlich zu einer Vergrößerung des Schwarzmarktes führen. Andererseits möchte er den Cannabis-Schwarzmarkt austrocknen. Es zeigt sich, dass eine evidenzbasierte Drogenpolitik nicht so einfach und konsistent umsetzbar ist.
Drogenbeauftragter will Cannabis-Schwarzmarkt austrocknen
Berlin – Cannabis soll nach dem Willen des Bundesdrogenbeauftragten Hendrik Streeck (CDU) in Deutschland weiter legal bleiben, aber strenger kontrolliert werden. „Wir sehen derzeit deutliche Fehlentwicklungen“, sagte Streeck dem Tagesspiegel.
Freizeitkiffer sollen demnach nicht zurück in die Illegalität gedrängt werden. „Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland konsumieren regelmäßig Cannabis, diese Menschen müssen wir vom Schwarzmarkt wegführen – nicht dorthin zurückdrängen“, sagte Streeck.
Für bedenklich hält der Mediziner und Politiker aber die Weitergabe von selbst angebautem Cannabis unter Freunden oder Bekannten. Das sei nicht erlaubt und falle unter den Schwarzmarkt. „Wenn dieser Bereich wächst, dann wächst eben auch der Schwarzmarkt – nur unter einem anderen Namen.“
Die Verschreibungen von Medizinalcannabis sei seit der Teillegalisierung explodiert, bekräftigte Streeck zudem. Die Importmenge sei um rund 430 Prozent gestiegen. „Ich möchte nicht, dass sich Dealer im weißen Kittel über Schlupflöcher der Telemedizin legitimieren“, sagte Streeck.
Die Bundesregierung hatte deshalb schon vor zwei Wochen eine Regelverschärfung auf den Weg gebracht. Nach einem Beschluss des Bundeskabinetts soll der Versandweg von Medizinalcannabis ausgeschlossen werden.
Vor einer Verschreibung soll persönlicher Kontakt zwischen Patient und Arzt stattfinden, vor einer Abgabe Beratung durch Apothekerinnen oder Apotheker. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte zudem Gespräche im Bundestag über mögliche „Nachsteuerungen“ bei der generellen Cannabislegalisierung angekündigt.
Streeck sagte: „Wir müssen Konsumcannabis und Medizinalcannabis klar trennen – und für medizinische Anwendungen die gleichen hohen Standards ansetzen wie bei jedem anderen Medikament. Alles andere wäre wilder Westen.“ Auch die erlaubte Menge von 25 Gramm sei überzogen. „Niemand braucht 150 Joints in der Tasche. Das erleichtert nur den Kleindealern ihr Geschäft.“
Streeck weiter: „Gleichzeitig müssen wir Kinder und Jugendliche besser schützen.“ Früher seien Minderjährige, die beim Kiffen erwischt worden seien, automatisch in Kontakt mit dem Suchthilfesystem gekommen. „Dieser Zugang ist durch die Teillegalisierung weggefallen. Das ist ein echtes Problem.“ Jugendliche müssten frühzeitig Hilfe und Beratung bekommen können, bevor sich Abhängigkeit oder psychische Schäden verfestigen.
Weitere Meldungen der vergangenen Wochen
CBD: Die Psychose einlullen? (DocCheck)
Fast 90 000 Mal hat die Stadt Zürich legal Cannabis verkauft – damit wurden dem Schwarzmarkt Millionen entzogen (Neue Züricher Zeitung)
Evaluation des Konsumcannabisgesetzes (EKOCAN): 1. Zwischenbericht (Universität Hamburg)