Anlässlich des 90. Geburtstages von Raphael Mechoulam hat Professor Roger Pertwee, emeritierter Professor an der Universität Aberdeen und langjähriges IACM-Vorstandsmitglied, den folgenden Text verfasst.
Der 90. Geburtstag von Professor Raphael Mechoulam, einem führenden Cannabinoid-Wissenschaftler und Pionier.
Schule für medizinische Wissenschaften, Institut für medizinische Wissenschaften, Universität Aberdeen, Aberdeen, Schottland, Vereinigtes Königreich.
Am 5. November 2020 feiert Professor Raphael Mechoulam, der weithin als einer der größten Wissenschaftler auf dem Gebiet der Cannabinoid-Forschung gilt und noch immer aktiv forscht, seinen 90. Raphael Mechoulam wurde in Bulgarien geboren, emigrierte aber 1949 mit seinen jüdischen Eltern nach Israel. Er erwarb 1952 einen MSc in Biochemie an der Hebräischen Universität Jerusalem und promovierte anschließend in Chemie am Weizmann-Institut in Rehovot bei Tel Aviv. Anschließend forschte er als Postdoktorand am Rockefeller Institute in New York, bevor er 1965 an die Hebräische Universität Jerusalem zurückkehrte, wo er 1972 zum außerordentlichen Professor und 1975 zum Professor für Medizinische Chemie ernannt wurde. An der Hebräischen Universität begann er seine prestigeträchtige Cannabinoid-Forschungskarriere, und dort befindet er sich auch heute noch. Im Folgenden werden nur einige seiner vielen großen Leistungen im Zusammenhang mit Cannabinoiden hervorgehoben.
Als Raphael Mechoulam in den 1960er Jahren mit seinen Cannabinoid-Experimenten begann, waren bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Forschungsarbeiten zur Chemie der Cannabispflanze durchgeführt worden, darunter auch die Aufklärung der Struktur von Cannabinol, das nur einer der zahlreichen Cannabinoid-Bestandteile (Phytocannabinoid) von Cannabis ist [1]. Es waren jedoch Mechoulam und einige seiner Mitarbeiter an der Hebräischen Universität, die in einer Reihe von Veröffentlichungen ab 1963 [2-5] erstmals über die Isolierung, Strukturaufklärung, Stereochemie und Aktivität von 9-Tetrahydrocannabinol ("9-THC) berichteten, das der wichtigste psychoaktive Bestandteil von Cannabis ist und ursprünglich "1-THC [2-3] genannt wurde. Sie berichteten auch über die Isolierung und Strukturaufklärung sowie die chemische Synthese zahlreicher weiterer Cannabinoide wie Cannabidiol [4], Cannabigerol, Cannabichromen und einiger Cannabinoidcarbonsäuren, Errungenschaften, die z. B. die Bestimmung der pharmakologischen Wirkungen von Cannabis und seinen Phytocannabinoiden erheblich erleichterten [1]. Wichtig ist, dass Mechoulam ein Buch mit dem Titel œMarijuana [6] herausgegeben und auch Kapitel dazu beigetragen hat, das eine ausgezeichnete und sehr nützliche historische Quelle für Informationen über den damaligen Stand der Technik in Bezug auf die Chemie, Pharmakologie, den Stoffwechsel und die klinischen Wirkungen von Cannabis/Cannabinoiden bis 1973 ist, und somit auch für Informationen, die den Weg zu wichtigen neuen Entdeckungen über Cannabinoide ebneten, die von Mechoulam und anderen nach 1973 gemacht wurden (siehe z. B. unten).
Fast zwei Jahrzehnte lang nach der Entdeckung von THC ging man davon aus, dass die Wirkungsmechanismen von THC völlig "unspezifisch" sind. In den 1980er Jahren deuteten jedoch die von mehreren Forschergruppen gewonnenen Erkenntnisse darauf hin, dass dies nicht der Fall sein könnte. Dazu gehörten die Ergebnisse von Mechoulam und seinen Mitarbeitern, die zeigten, dass bestimmte Cannabinoide eine Stereoselektivität aufweisen [7]. Diese Erkenntnisse ermutigten zur Suche nach einem Cannabinoidrezeptor in Säugetieren, und diese Suche führte zur Entdeckung von zwei G-Protein-gekoppelten Cannabinoidrezeptoren [7-8], von denen der erste (CB1) zwischen 1988 und 1990 entdeckt wurde [9-10] und der zweite (CB2) 1993 [11]. Der Ende der 1980er Jahre erbrachte Nachweis, dass Säugetiergewebe den CB1-Rezeptor exprimiert, führte sofort zur Suche nach einem von diesen Geweben produzierten chemischen Stoff, der diesen Rezeptor aktivieren kann. Das Rennen um die Entdeckung eines solchen ˜Endocannabinoids™ wurde von Mechoulam gewonnen. Er leitete Forschungsarbeiten, die überzeugende Beweise dafür erbrachten, dass (i) N-Arachidonoylethanolamin, das er und seine Mitarbeiter Anandamid nannten, eine endogen produzierte Verbindung ist, die den CB1-Rezeptor aktivieren kann [12], und (ii) dass 2-Arachidonoylglycerin ebenfalls ein den Cannabinoidrezeptor aktivierendes Endocannabinoid ist [13]. In Anbetracht der Lipophilie von Phytocannabinoiden wie THC hatte Mechoulam klugerweise beschlossen, unter den endogenen lipophilen Verbindungen nach Endocannabinoiden und nicht nach endogenen Peptiden zu suchen, obwohl hier in Aberdeen bereits festgestellt worden war, dass bestimmte Peptidῥs, die so genannten End`rphine, als endogene Aktivatoren von Opioidrezeptoren dienen (14). Später wurden auch andere lipophile Endocannabinoide entdeckt [15].
Die Entdeckung des Endocannabinoid-Systems gab der Cannabinoid-Forschung großen Auftrieb, vor allem als sich in der Folge herausstellte, dass dieses System bei mehreren schweren Erkrankungen innerhalb und außerhalb des zentralen Nervensystems eine wichtige Schutzfunktion hat [16], Dadurch ergab sich die Möglichkeit, dass einige Erkrankungen mit Arzneimitteln behandelt werden könnten, die den Gehalt an schützend freigesetzten Endocannabinoiden innerhalb und/oder außerhalb des zentralen Nervensystems erhöhen, indem (i) ihr Gehalt durch Hemmung ihres Stoffwechsels oder ihrer zellulären Wiederaufnahme erhöht wird und/oder (ii) ihre Fähigkeit, Cannabinoidrezeptoren zu aktivieren, durch Verabreichung eines positiven allosterischen Modulators dieser Rezeptoren verstärkt wird [16-19].
Zu den vielen anderen Errungenschaften von Raphael Mechoulam gehören das Design und die Synthese zahlreicher wichtiger neuartiger Cannabinoide, die als wertvolle experimentelle Werkzeuge dienen oder ein großes therapeutisches Potenzial haben. Zu diesen synthetischen Verbindungen gehören unter vielen anderen HU-210, HU-211, HU-308 und HU-580. So,
(i) HU-210 ist ein synthetisches THC-Analogon und ein trans-Isomer, das sich als hochwirksamer CB1- und CB2-Cannabinoidrezeptor-Agonist verhält [8];
(ii) HU-211 ist das synthetische cis-Enantiomer von HU-210 und weist eine wesentlich geringere Aktivität als HU-210 als Cannabinoidrezeptor-Agonist auf [8];
(iii) HU-308 zeigt eine viel größere Affinität für CB2 als für CB1 Cannabinoidrezeptoren und ist ein CB2-selektiver Agonist [8];
(iv) HU-580 ist ein synthetischer Methylester des Phyocannabinoids Cannabidiol-Säure (CBDA), der eine größere Wirksamkeit und eine breitere glockenförmige Dosis-Wirkungs-Kurve als CBDA (oder Cannabidiol) als Verstärker der Aktivierung von serotonergen 5-HT1A-Rezeptoren und als Inhibitor von Angstzuständen und durch Chemotherapie ausgelöster Übelkeit bei Ratten aufweist und der viel stabiler und somit viel leichter zu verabreichen ist als CBDA (20).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Raphael Mechoulam während seiner gesamten Forschungskarriere auf dem Gebiet der Cannabinoide immer wieder seine erstaunliche Fähigkeit unter Beweis gestellt hat, aufregende, originelle und wichtige Ideen zu entwickeln, die wesentlich dazu beigetragen haben, das Wissen über die präklinische und klinische Pharmakologie, Biochemie und medizinische Chemie der Cannabinoide voranzubringen, und diese Ideen mit großem Erfolg zu verwirklichen. Dies ist nicht zuletzt seiner Fähigkeit zu verdanken, (i) hochtalentierte Forschungsteams in seinem Labor zusammenzustellen, sowohl als Chemiker als auch als Biologe zu denken - eine leistungsstarke Kombination -, (ii) zu erkennen, wie seine Ideen/Entdeckungen in der Klinik genutzt werden könnten, und dann (iii) eine produktive Zusammenarbeit mit Klinikern, mit präklinischen Pharmakologen/Biologen und mit Pharmaunternehmen aufzubauen. Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass sein Nachname häufig für die Benennung von Hauptvorträgen auf Konferenzen (z. B. œMechoulam-Vorlesung) und für prestigeträchtige Auszeichnungen wie den œMechoulam Award der International Cannabinoid Research Society™ verwendet wird. Er selbst hat natürlich viele herausragende Auszeichnungen erhalten (siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Raphael_Mechoulam) und ist Autor oder Mitautor zahlreicher hervorragender, von Fachleuten begutachteter Arbeiten, so dass er mit œHighly Cited Researcher Awards (z. B. von Clarivate Analytics) ausgezeichnet wurde, die ihm bescheinigen, dass er in einem bestimmten Bereich und einem bestimmten Jahr zu den Top 1 % der Forscher in der Welt gehört, die am häufigsten zitiert werden. Ich wünsche Raphi Mechoulam alles Gute zum 90. Geburtstag!
Referenzen
1. Mechoulam, R.; Hanuš, L.O.; Pertwee, R.; Howlett, A.C. Early phytocannabinoid chemistry to endocannabinoids and beyond. Nat. Rev. Neurosci. 2014, 15, 757-764.
2. Gaoni, Y.; Mechoulam, R. Isolation, structure and partial synthesis of an active constituent of hashish. J. Amer. Chem. Soc. 1964, 86, 1646-1647.
3. Mechoulam, R.; Gaoni, Y. The absolute configuration of Δ1-tetrahydrocannabinol, the major active constituent of hashish. Tetrahedron Letters 1967, 8, 1109-1111.
4. Mechoulam, R.; Shvo, Y. Hashish. 1. The structure of cannabidiol. Tetrahedron 1963, 19, 2073-2078.
5. Mechoulam, R.; Shani A.; Edery H.; Grunfeld, Y. Chemical basis of hashish activity. Science 1970, 169, 611-612.
6. Mechoulam, R. Marijuana. Chemistry, pharmacology, metabolism, and clinical effects; Academic Press, New York, USA, 1973.
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8. Pertwee, R.G.; Howlett, A.C.; Abood, M.E.; Alexander, S.P.H.; Di Marzo, V.; Elphick, M.R.; Greasley, P.J.; Hansen, H.S.; Kunos, G.; Mackie, K.; Mechoulam, R.; Ross, R.A. International Union of Basic and Clinical Pharmacology. LXXIX. Cannabinoid receptors and their ligands: beyond CB1 and CB2. Pharmacol. Rev. 2010, 62, 588-631.
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