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ACM-Mitteilungen vom 19. Dezember 2015

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Studie mit Sativex bei Tics und Tourette-Syndrom kann beginnen

Eine Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit des Cannabisextraktes Sativex unter der Leitung von Professorin Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover kann vermutlich im zweiten Halbjahr 2016 beginnen. Der Antrag auf eine finanzielle Unterstützung der Studie in Höhe von 1,4 Millionen € wurde kürzlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) genehmigt. Siehe auch die Pressemitteilung der DFG: Zehn weitere Klinische Studien im Jahr 2015 bewilligt .

In der Placebo kontrollierten Studie erhalten die anvisierten insgesamt 96 Studienteilnehmer entweder den Cannabisspray in einer maximalen Dosierung von zwölf Sprühstößen oder ein Placebo. Ein Sprühstoß enthält 2,7 mg THC (Dronabinol) und 2,5 mg CBD (Cannabidiol). Auf eine individuelle Dosisfindungsphase von 2-4 Wochen, in der die Teilnehmer ihre individuelle optimale Dosis ermitteln, folgt eine neunwöchige Phase mit einer stabilen Dosierung. Es können Patienten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, die an einer chronischen Tic-Störung oder an einem Tourette-Syndrom leiden, teilnehmen. Personen, die an bestimmten weiteren Erkrankungen, darunter Zwangsstörungen, Depressionen und Angststörungen, leiden, sind von der Studienteilnahme ausgeschlossen. An der Studie beteiligen sich sieben Zentren in Deutschland (Hannover, Lübeck, Aachen, München, Ulm, Freiburg und Köln).

Der primäre Zielparameter ist ein Ansprechen auf die Behandlung, die als Reduzierung der Tic-Intensität um 30 % nach einer wissenschaftlichen allgemein akzeptierten Skala (YGTSS) definiert ist. Die Wirkungen des Cannabisextraktes auf Tics, Begleiterkrankungen sowie die Nebenwirkungen werden während und nach der Behandlung beurteilt.

Es ist eine gesamte Studiendauer von 36 Monaten geplant. Professorin Müller-Vahl, Mitglied im Vorstand der ACM, hofft, in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 mit der Studie beginnen und erste Patienten aufnehmen zu können.

Presseschau: Think.Health Ventures Investiert In Den Markt Für Medizinalcannabis (Investor News)

Durch eine Pressemitteilung stellen sich ein Unternehmen und ein Investor vor, die sich im Bereich der medizinischen Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Cannabisprodukten engagieren wollen.

Think.Health Ventures Investiert In Den Markt Für Medizinalcannabis

Der Einsatz der Naturpflanze Cannabis in der Medizin ist seit vielen Jahrhunderten erprobt und bekannt. Wissenschaftliche Studien der letzten Jahrzehnte haben für Indikationsgebiete wie beispielsweise Multiple Sklerose die Wirksamkeit der Substanz nachgewiesen und in diversen weiteren Einsatzgebieten - u.a. der Schmerztherapie, Epilepsie, dem Glaukom und Begleiterkrankungen der onkologischen Therapie - wird ein großes Wirkpotenzial für schwerkranke Patienten vermutet.

Auf Basis dieser medizinischen Grundvoraussetzungen hat die Bundesregierung bereits im Frühjahr 2015 mitgeteilt, den Zugang für schwerstkranke Patienten zu medizinischem Cannabis zu erleichtern und die Erstattung durch Krankenkassen sicherstellen zu wollen. Deutschland folgt damit einer Entwicklung, die in vielen anderen westlichen Märkten bereits weiter fortgeschritten ist: Neben den USA und Kanada haben auch Israel, die Niederlande und zuletzt Kroatien mit der schrittweisen Einführung von Medizinalcannabis in die Gesundheitsversorgung begonnen.

Think.Health Ventures investiert in dieses neue Therapiefeld und beteiligt sich an dem Anfang 2015 gegründeten Unternehmen Pedanios. In mehreren Stufen wird ein hoher sechsstelliger Betrag investiert, um ein auf medizinisches Cannabis fokussiertes Unternehmen zu etablieren. Pedanios hat sich zum Ziel gesetzt, eine flächendeckende Versorgung mit Medizinalcannabis in Deutschland anzubieten und dabei ein breit gefächertes Produktsortiment für unterschiedliche Bedarfe zu entwickeln. In Abstimmung mit den zuständigen Aufsichtsbehörden wurden in den vergangenen Monaten die notwendigen Grundlagen für den Handel und Vertrieb mit Betäubungsmitteln geschaffen und Kooperationen mit internationalen Partnern geschlossen.

Bereits heute - vor Schaffung einer neuen gesetzlichen Grundlage - ist die Versorgung von Patienten über ein Ausnahmeverfahren der Bundesopiumstelle möglich. Ca. 500 Patienten in Deutschland nutzen diese Möglichkeit, sind jedoch durch stark eingeschränkte Liefermöglichkeiten der Apotheken in ihrem Zugang zu dem Arzneimittel eingeschränkt. Pedanios hat mehrere Anträge zur Genehmigung eigener Produktlinien bei den Aufsichtsbehörden eingereicht, um kurzfristig die bestehenden Lieferengpässe bei der Versorgung deutscher Apotheken zu beheben.

Das Markt- und Versorgungspotenzial für Medizinalcannabis in Deutschland wird auf bis zu 2,7 Mrd. EUR und 780.000 Patienten geschätzt. Pedanios beabsichtigt im Rahmen der Unternehmensentwicklung den Ausbau der Forschung an Wirksamkeit und Einsatzgebieten von Medizinalcannabis zu fördern und zu unterstützen.

www.think-health.de

www.pedanios.com

Presseschau: Lizenz zum Kiffen | Krebs-Patient will Cannabis-Plantage einklagen (bild.de)

Bild berichtet über das Strafverfahren gegen einen Erlaubnisinhaber aus Nordrhein-Westfalen, der sich das Cannabis aus der Apotheke nicht leisten kann und daher seine Medizin selbst angebaut hat.

Lizenz zum Kiffen-Krebs-Patient will Cannabis-Plantage einklagen

Er darf die Droge als Medizin nehmen – in der Apotheke ist sie aber zu teuer

Er hat die Lizenz zum Kiffen: Weil er unter chronischen Schmerzen leidet, darf Andreas W. (46) Cannabis kaufen, mitführen und konsumieren.

Er gehört damit zu den knapp 300 Deutschen, die eine Ausnahmegenehmigung von der „Bundes-Opium-Stelle” des Bundesinstituts für Arzneimittel haben. Trotzdem sitzt der Frührentner in dieser Woche vor Gericht...

Am 16. Oktober 2013 hatten Polizisten nach einem Hinweis von Nachbarn Cannabis-Pflanzen in seiner Wohnung gefunden. Selbstangebaut für den Eigenbedarf, trotzdem verboten. Anzeige, Anklage.

Das Problem: „Ich darf zwar Cannabis-Blüten in der Apotheke kaufen, aber das kann ich mir nicht mehr erlauben. Nach zwei Jahren hatte die Krankenkasse die Kostenübernahme eingestellt. Seitdem muss ich das selber zahlen, ca. 1918 Euro im Monat. Aber ich habe nur eine Rente von 650 Euro”, sagt Andreas W.

Der ehemalige Zweiradmechaniker ist seit 2002 chronisch krank, hatte drei Bandscheiben-Vorfälle, Bauchspeicheldrüsen-Krebs, Poly-Arthrose. „Ohne das Cannabis sind die Schmerzen unerträglich. Doch wenn ich es rauche, geht alles, ich habe dann wieder 99 Prozent meiner Lebensqualität. Ich kann mit den Hunden spielen, angeln gehen.”

So erkannte das Amtsgericht in Unna auf einen „strafbefreienden Notstand” – und sprach den Angeklagten vom Vorwurf des illegalen Drogenanbaus frei.

Doch die Staatsanwaltschaft ging in Berufung. „Es ist strittig, ob es in diesem Fall einen rechtfertigenden Notstand gibt. Deshalb wollen wir durch die zweite Instanz Rechtssicherheit erhalten”, sagt Staatsanwalt Henner Kruse (43).

Presseschau: Der Kurs zu Cannabis als Medizin – Teil 2 (Hanfjournal)

Dr. Grotenhermen, Vorsitzender der ACM, gibt in den kommenden Monaten eine systematische Übersicht über das Thema Cannabis als Medizin. Sie begann mit einem Beitrag zu den medizinisch wirksamen Bestandteilen von Cannabis. Nun folgt eine Übersicht über das Endocannabinoidsystem, später ein Blick in die Geschichte.

Der Kurs zu Cannabis als Medizin – Teil 2

Das Endocannabinoidsystem: Körpereigene Cannabinoide und Cannabinoidrezeptoren

Wir besitzen alle unser eigenes Cannabinoidsystem und produzieren ständig unsere eigenen Cannabinoide, so genannte Endocannabinoide. Zum Endocannabinoidsystem gehören zudem Bindungsstellen für diese Endocannabinoide, so genannte Cannabinoid-Rezeptoren und Substanzen, die für die Produktion und den Abbau der Endocannabinoide verantwortlich sind.

Entwicklungsgeschichtlich betrachtet ist dieses System viele Millionen Jahre alt. Es wurde bei Säugetieren, Vögeln, Fischen und anderen Tieren nachgewiesen. Dieses für das normale Funktionieren vieler Körperfunktionen so wichtige System findet sich in nahezu allen Geweben und Organen des Körpers: Gehirn, Rückenmark, Immunsystem, Lunge, Herz, Blutgefäße, Leber, Nieren, Darm, Geschlechtsorgane, Fettgewebe, Haut, et cetera. Seine Hauptfunktion besteht darin, eine verstärkte Aktivität anderer Botenstoffe im Körper zu reduzieren und wieder auf ein normales Niveau zu senken.

Erste Entdeckungen

Im Jahr 1964 gelang die vollständige Aufklärung der chemischen Struktur des Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem berauschenden Inhaltsstoff der Cannabispflanze. Etwa 30 Jahre später wurden die ersten körpereigenen Cannabinoide entdeckt, Arachidonoylethanolamid (Anandamid) im Jahr 1992 und Arachidonoylglycerol (2-AG) im Jahr 1995.

Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass THC unspezifisch auf die äußeren Schichten der Zellen, auf die Zellmembranen, wirkt, indem es beispielsweise wie Alkohol die Beweglichkeit und Durchlässigkeit dieser Zellmembranen verändert. Es gibt keinen Alkohol-Rezeptor, und zunächst ging man davon aus, dass es auch keinen Cannabinoid-Rezeptor gibt. Schließlich konnten Wissenschaftler 1987 nachweisen, dass es spezifische Bindungsstellen im Gehirn für THC geben muss. Im Jahr 1990 gelang es schließlich, die chemische Struktur des ersten Cannabinoidrezeptors zu entschlüsseln. Wenig später wurde ein zweiter Cannabinoid-Rezeptor in der Milz nachgewiesen.

Der Cannabinoid-1-Rezeptor

Der zunächst im Gehirn nachgewiesene Cannabinoid-1-Rezeptor, kurz CB1-Rezeptor, kommt in vielen Organen vor, wenn seine Konzentration in einigen dieser Organe auch relativ niedrig ist. Er zählt zu einigen der häufigsten Rezeptoren im Gehirn. CB1-Rezeptoren finden sich in Regionen des Gehirns, die eine wichtige Rolle bei der Koordination von Bewegungen, bei der räumlichen Orientierung, der Sinneswahrnehmung (Geschmack, Geruch, Tastsinn, Gehör), bei der geistigen Leistungsfähigkeit und der Motivation spielen. Dagegen gibt es keine CB1-Rezeptoren im Hirnstamm, das unter anderem für die Kontrolle der Atmung und des Herzkreislaufsystems verantwortlich ist. Man geht heute davon aus, dass es bei Gesunden keine Todesfälle durch eine Überdosis Cannabis oder THC gibt, weil die Funktionen des Hirnstammes durch eine solche Überdosierung nicht beeinträchtigt werden können.

Die Schutzfunktion des CB1-Rezeptors

Cannabinoid-1-Rezeptoren finden sich am Ende der Nervenzellen, da wo ein Signal durch den Spalt zwischen zwei Nervenzellen von einer Nervenzelle zur anderen weitergegeben wird. Die wichtigste Funktion der CB1-Rezeptoren im Nervensystem ist die Hemmung einer zu starken Signalweitergabe durch Botenstoffe im Gehirn, so genannte Neurotransmitter. Durch die Aktivierung von CB1-Rezeptoren wird eine Überaktivität aller Botenstoffe im Gehirn (Glutamat, Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, usw.) gehemmt. Das Endocannabinoidsystem übt also vielfältige Schutzfunktionen vor Übererregungen im zentralen Nervensystem aus. Das erklärt das breite Wirkungsspektrum von THC bzw. Cannabis. Wenn THC an CB1-Rezeptoren bindet, dann wird zu viel Aktivität in Schmerzregelkreisen des Gehirns gehemmt und dadurch Schmerzen gelindert. Durch ähnliche Mechanismen werden Übelkeit, Muskelspastik, epileptische Anfälle, Angststörungen, Zwangsstörungen, Hyperaktivität und weitere Krankheitssymptome durch eine Aktivierung des Endocannabinoidsystems abgeschwächt.

Der Cannabinoid-2-Rezeptor

Der Körper des Menschen und anderer Säugetiere besitzt ein hoch entwickeltes Immunsystem, das ihn vor Angriffen durch Viren, Bakterien und andere potenziell schädliche äußere Einflüsse schützt und darauf abzielt, den Schaden zu verhindern, abzuschwächen und zu reparieren. Das Endocannabinoidsystem stellt über seine CB2-Rezeptoren einen Teil dieses Schutzmechanismus dar.

Endocannabinoide

Im Jahr 1992 wurde erstmals eine körpereigene Substanz nachgewiesen, die an Cannabinoidrezeptoren andockt. Seine Entdecker nannten es Anandamid vom Sanskrit-Wort „Ananda“ für Glückseligkeit und „Amid“ wegen seiner chemischen Struktur. 1995 wurde ein zweites Endocannabinoid, das 2-AG (2-Arachidonoylglycerol) entdeckt. Diese beiden Endocannabinoide sind bisher am besten erforscht. Heute geht man von etwa 200 Substanzen aus, die den bisher erforschten Endocannabinoiden in ihrer chemischen Struktur ähneln.

Verschiedene Endocannabinoide können nicht nur an Cannabinoidrezeptoren binden, sondern auch an einen vermuteten CB3-Rezeptor, den GPR55-Rezeptor, an Vanilloid-Rezeptoren und an weitere Rezeptoren.