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ACM-Mitteilungen vom 28. Juli 2018

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juni 2018, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, ist ein Schock.

Danach würde die Kostenübernahme für eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten bzw. Cannabis von nun an vom Vorliegen klinischer Studien bei der jeweiligen Indikation abhängig gemacht werden. Konkret erging der Beschluss im Falle eines Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen, der seit langem arbeitsunfähig ist, von Sozialleistungen lebt und sich die Cannabisblüten, die seine Symptome lindern, nicht leisten kann.

Eigentlich war es das Ziel des Gesetzgebers, diesen Patienten zu helfen. Leider ist es nicht die erste unangenehme Überraschung bei der praktischen Umsetzung des Cannabis als Medizin-Gesetzes. Die Vorfreude auf das Gesetz ist nach Inkrafttreten des Gesetzes mittlerweile Ernüchterung gewichen, obwohl so viele engagierte Menschen mit den besten Absichten daran gearbeitet haben.

Dass sich der Anbau von Cannabisblüten in Deutschland verzögert und nun eine neue Ausschreibung für mögliche Cannabishersteller erfolgt, gerät da in den Hintergrund. Immerhin haben sich die Probleme mit der Versorgung mit Cannabisblüten aus den Niederlanden und Kanada, die im zweiten Halbjahr 2017 am größten waren, deutlich gebessert.

Bisher wurden etwa 10.000 Unterschriften für die neue Petition gesammelt. Ein herzliches Dankeschön an alle, die unaufhörlich sammeln! Der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts macht deutlich, dass wir politisch nicht locker lassen dürfen. Die Anstrengung lohnt sich.

Wenn der betroffene Patient mit Cluster-Kopfschmerzen seine Medizin nicht von der Krankenkasse bezahlt bekommt, so soll er wenigstens nicht strafrechtlich verfolgt werden und sich legal anderweitig helfen können, am ehesten durch den Eigenanbau von Cannabis. Er wird sich heute strafbar machen müssen, um sein Leiden zu lindern. Was könnte er sonst tun? Die Strafverfolgung von Patienten, die Cannabis nach der Auffassung eines Arztes benötigen, ist heute ein Anachronismus. Sie gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Wir können die 50.000 Unterschriften schaffen.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Verlorene Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht: Scheitert das Gesetz?

Die Beschwerde eines Patienten mit starken Cluster-Kopfschmerzen, der seit langer Zeit aufgrund seiner Erkrankung arbeitsunfähig ist und von Cannabis medizinisch profitiert, ist mit seiner Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gegen ein Urteil des Landessozialgerichts Hessen gescheitert. Danach muss seine Krankenkasse die Kosten einer Behandlung mit Medizinalcannabisblüten nicht übernehmen. Die erste enttäuschte Reaktion seiner behandelnden Ärztin lautete: „Das Gesetz ist gescheitert“. Sie kennt die schwere Erkrankung des Betroffenen und den guten Behandlungserfolg durch die Behandlung mit Cannabis.

Am 26. Juni 2018 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Krankenkassen nach dem Gesetz zu Cannabis als Medizin, das am 10. März 2017 in Kraft trat, die Kosten nur übernehmen müssen, wenn „eine gewisse Mindestevidenz im Sinne des Vorliegens erster wissenschaftlicher Erkenntnisse“ für die Wirksamkeit bei einer bestimmten Erkrankung vorliegt.

Es bleibt die Frage, ob der Gesetzgeber mit dem am 19. Januar 2017 verabschiedeten Gesetz wirklich nur Patienten helfen wollte, bei denen nicht nur Patient und Arzt festgestellt haben, dass Cannabis ein schweres Leiden lindert, sondern darüber hinaus auch klinische Studien vorliegen, die diese Wirksamkeit beweisen.

Aus dem Beschluss

In ihrem Beschluss schrieben die Richter des Bundesverfassungsgerichts: „Die in § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) normierte Voraussetzung für eine Versorgung mit Cannabis, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auch schwerwiegende Symptom bestehen muss, hat das Landessozialgericht nicht etwa offengelassen, sondern abschließend festgestellt, dass diese nicht vorliegt. Erforderlich sei eine gewisse Mindestevidenz im Sinne des Vorliegens erster wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass bei dem konkreten Krankheitsbild durch den Einsatz von Cannabinoiden ein therapeutischer Erfolg zu erwarten ist. Für die symptomatische Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen fehle es nach derzeitigem Ermittlungsstand an ausreichenden Indizien, dass durch den Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten ein therapeutischer Erfolg zumindest möglich erscheine. Im Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Hessen vom 7. Juli 2017 werde dargelegt, dass die klinische Evidenz bei Cannabinoiden bereits in der Kopfschmerzbehandlung gering sei. Selbst eine Mindestevidenz im Sinne einer vergleichenden Untersuchung mit kleiner Fallzahl werde noch nicht erreicht. Bei Cluster-Kopfschmerzen sei die Datenlage noch schlechter als bei Migräne. Diese Beurteilung gründet der Gutachter auf 3 Veröffentlichungen aus den Jahren 2016, 2015 und 2013. Die Veröffentlichungen von 2016 und 2015 beträfen die Wirkung von Marihuana auf Migräne. Lediglich im Jahr 2013 sei eine Befragung von 139 Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen durchgeführt worden. Die Veröffentlichung sei zum Ergebnis gekommen, dass Cannabis für diesen Patientenkreis nicht empfohlen werden könne, bevor eine kontrollierte Studie Erfolge gezeigt habe. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern diese Erwägungen und Feststellungen, die eine abschließende Prüfung der Voraussetzungen nach § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 SGB V durch das Landessozialgericht erkennen lassen, die bei drohenden gewichtigen Grundrechtsverletzungen geltenden Anforderungen nach Art. 19 Abs. 4 GG für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verletzen könnten.“

Zwischen den Jahren 2007 und 2017 hat die Bundesopiumstelle mehr als 1000 Ausnahmeerlaubnisse zur Verwendung von Medizinalcannabisblüten nach § 3 Abs. 2 BtMG erteilt. Bei der Frage, ob eine solche Erlaubnis erteilt wird, war es nicht von Bedeutung, ob klinische Studien den beobachteten Behandlungserfolg untermauern oder nicht. Es ging allein um die Frage, ob eine Therapie mit Cannabis notwendig ist. Die Mitarbeiter der Bundesopiumstelle, die über diese Anträge entschieden haben, hatten nicht selten einen direkten Kontakt zu den betroffenen Patienten und den unterstützenden Ärzten. Das Antragsverfahren bei den Krankenkassen verläuft dagegen weitgehend anonym. Die Gutachter des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) beurteilen auf der Grundlage gedruckten Papiers.

Kommentar

„Der Vorstand der ACM ist immer davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber den Erlaubnisinhabern und Menschen in einer ähnlichen Situation einen finanzierbaren Zugang zu einer notwendigen Therapie mit Cannabis eröffnen wollte“, erklärte Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V. „Wir hatten im Vorfeld die Befürchtung geäußert, dass die Krankenkassen das Gesetz so auslegen könnten, dass die im Gesetz formulierte Anforderung an eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome an das Vorliegen klinischer Studien geknüpft wird. Das ist wenig überraschend auch so eingetreten. Wir hatten aber nicht unbedingt damit gerechnet, dass diese Rechtsauffassung vor Gericht Bestand haben würde. Es handelt sich leider nicht um die erste schockierende Erfahrung bei der praktischen Umsetzung des zunächst allgemein gefeierten Gesetzes, die mit den enormen Kostensteigerungen bei den Cannabisblüten begann. Wir können nur hoffen, dass der Gesetzgeber sich nicht das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lässt und wichtige Nachbesserungen vornimmt, damit das Gesetz eben nicht scheitert, sondern doch noch ein Erfolg wird.“

Presseschau: Kein Cannabis auf Kasse bei Cluster-Kopfschmerz (Ärzte Zeitung)

Die Ärzte Zeitung berichtete kurz über den weit reichenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Kostenübernahme einer Therapie mit Cannabis-Medikamenten.

Kein Cannabis auf Kasse bei Cluster-Kopfschmerz

Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen können von ihrer Kasse weiterhin keine Schmerzbehandlung mit Medizinalhanf verlangen. Einen entsprechenden Eilantrag wies das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss zurück.

Es bestätige damit ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts, das sich bei seiner summarischen Prüfung auf ein MDK-Gutachten stützte, wonach ein therapeutischer Erfolg mit der Cannabis-Behandlung in kontrollierten Studien bislang nicht belegt wurde.

Die summarische Prüfung sei im Eilverfahren ausreichend, so die Karlsruher Richter.

Presseschau: Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht heute eine neue Ausschreibung (Focus Online)

Das BfArM hat auf gerichtlichen Druck eine neue Ausschreibung für Firmen, die in Deutschland Cannabisblüten für medizinische Zwecke anbauen wollen, gestartet.

Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht heute eine neue Ausschreibung

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat heute eine neue Ausschreibung für den Anbau und den Kauf von Cannabis zu ausschließlich medizinischen Zwecken veröffentlicht:

https://www.evergabe-online.de/tenderdetails.html?id=206953

Die Ausschreibung umfasst ein Gesamtvolumen von 10.400 kg Cannabis, verteilt auf vier Jahre mit jeweils 2.600 kg. Der Anbau in Deutschland soll zur Versorgung schwer kranker Patientinnen und Patienten beitragen. Derzeit wird Cannabis hierzu aus dem Ausland nach Deutschland importiert.

Eine erste Ausschreibung hat das BfArM aufgrund eines Beschlusses des OLG Düsseldorf vom März 2018 aufheben müssen. Das Gericht hatte die Auffassung eines Unternehmens bestätigt, die verbleibende Frist zur Einreichung der vollständigen Bewerbungsunterlagen sei nach einer Änderung des Verfahrens nicht mehr ausreichend gewesen. Insgesamt hatten sich an der ersten Ausschreibung 118 Bieter bzw. Bietergemeinschaften beteiligt.

Das BfArM plant die Zuschlagserteilung in diesem neuen Ausschreibungsverfahren für die erste Jahreshälfte 2019. Die neue Ausschreibung sieht 13 Lose zu je 200 kg Jahresmenge in einem Zeitraum von vier Jahren vor. Nach den Ausschreibungsbedingungen kann ein Bieter maximal für fünf Lose einen Zuschlag erhalten. Insofern ist vorgesehen, mit mindestens drei Bietern jeweils einen Vertrag über Anbau, Ernte, Weiterverarbeitung und Lieferung von Cannabis in standardisierter pharmazeutischer Qualität zu schließen. Unternehmen, die den Zuschlag erhalten, müssen dann den Anbau unter betäubungs- und arzneimittelrechtlichen Vorgaben umsetzen. Bei erfolgreichem Ablauf geht das BfArM davon aus, dass Cannabis voraussichtlich ab 2020 aus dem Anbau in Deutschland zur Verfügung stehen wird.

Weitere Informationen können den im Europäischen Amtsblatt veröffentlichten Ausschreibungsunterlagen entnommen werden:

https://www.evergabe-online.de/tenderdetails.html?id=206953

Weiterführende Informationen:

Anbau in Deutschland

Das im Auftrag der sog. "Cannabisagentur" des BfArM angebaute Cannabis dient ausschließlich medizinischen Zwecken und wird in Form von Blüten oder Zubereitungen als Arzneimittel in Apotheken abgegeben werden. Bei Anbau und Inverkehrbringen dieses Cannabis müssen alle arznei- und betäubungsmittelrechtlichen Anforderungen erfüllt werden. Es wird nur solches Cannabis verwendet werden, das entsprechend der Vorgaben der "Guten Praxis für die Sammlung und den Anbau von Arzneipflanzen" (Good Agricultural and Collection Practice, GACP) angebaut wurde und die Vorgaben der relevanten Monografien und Leitlinien erfüllt.

Der Anbau erfolgt nicht im BfArM oder durch das BfArM selbst, sondern durch Unternehmen, die im Ausschreibungsverfahren den Zuschlag erhalten haben und von der Cannabisagentur beauftragt werden. Die Ernte wird nicht in das BfArM transportiert, nicht dort gelagert und auch nicht direkt von dort aus weiterverteilt.

Die "Cannabisagentur" wird das in Deutschland angebaute medizinische Cannabis nach den völkerrechtlichen Vorgaben des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961 ankaufen, in Besitz nehmen und einen Herstellerabgabepreis des BfArM festlegen um solches Cannabis etwa an Hersteller von Cannabisarzneimitteln, Großhändler oder Apotheken zu verkaufen und in diesem Rahmen auch die Auslieferung an Apotheken zur Versorgung der Patientinnen und Patienten im Blick halten. Dabei darf das BfArM keine Gewinne oder Überschüsse erzielen. Bei der Bildung ihres Herstellerabgabepreises darf die "Cannabisagentur" die beim BfArM im Zusammenhang mit ihrer Aufgabe anfallenden Personal- und Sachkosten berücksichtigen. Der tatsächliche Abgabepreis in der Apotheke unterliegt im Anschluss den rechtlichen Regelungen der AMPreisVO und kann von Seiten des BfArM nicht beeinflusst werden.

Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage

Beständiges Interesse an Cannabis als Arzneimittel (Die Welt)

Cannabis: Einsatz als Krebsmittel denkbar (Pharmazeutische Zeitung Online)

Cannabis als Substitutionsmittel? (Apotheke Adhoc)

Erstes Cannabis-Unternehmen geht in New York an die Börse (Handelsblatt)

Erstes Cannabis-Unternehmen geht in New York an die Börse