Veröffentlicht
Zuletzt aktualisiert
Lesezeit

ACM-Mitteilungen vom 17. Juni 2017

Authors

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen ACM-Mitteilungen geht es vor allem um eine Diskussion zur Preisexplosion bei Cannabisblüten, die das neue Gesetz mit sich gebracht hat. Wir erinnern uns daran, dass die Bundesregierung im Juni 2016 in der Begründung des Gesetzentwurfes versprochen hatte, dass das geplante Gesetz nicht zu Mehrkosten für die Bürger führen werde. Bis zum Tag des Inkrafttretens des Gesetzes wurde diese massive Preiserhöhung nicht ein einziges Mal öffentlich kommuniziert. Viele, darunter auch beteiligte Politiker und die ACM, waren daher überrascht.

Der Präsident der Bundesapothekerkammer Dr. Kiefer schreibt in einem Brief an mich, dass die Apotheker rechtlich zu dieser Preiserhöhung verpflichtet seien, da sie nunmehr die Identität der Cannabisblüten prüfen müssen. Zudem ist er der Auffassung, dass Cannabisblüten zur exakten Dosierung in der Apotheke zerkleinert und gemahlen werden müssen. Sein Schreiben ist eine Reaktion auf eine E-Mail-Aktion des Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin (SCM). Die Sprecher des SCM, Gabriele Gebhardt und Axel Junker, haben ihm darauf geantwortet, und auch ich habe ihm eine E-Mail geschrieben. Alle drei Schreiben dokumentieren wir in dieser Ausgabe.

Auch ein Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung und ein offener Brief von Mitgliedern der Bundestagsfraktion der Linken an Bundesgesundheitsminister Gröhe befassen sich mit dieser Preiserhöhung und weiteren Problemen bei der Umsetzung des Gesetzes. Der Deutsche Ärztetag hat eine Vereinfachung des Gesetzes gefordert. Wie den hier dokumentierten Artikeln in der Pharmazeutischen Zeitung zu entnehmen ist, verteidigt das Bundesgesundheitsministerium die Preisentwicklung.

Wir können allen Lesern nun den ersten Vortrag der Fortbildungsveranstaltung für Ärztinnen und Ärzte am 13. Mai 2017 online vorstellen. Es handelt sich um einen Vortrag von Professorin Kirsten Müller-Vahl zu den mit dem neuen Gesetz verbundenen Änderungen. Weitere Vorträge und Veröffentlichungen der Folien von Vorträgen sollen folgen. Der Vortrag von Dr. Manfred Fankhauser zur Geschichte von Cannabis in der Medizin wird gerade vorbereitet.

Viel Spaß beim Lesen!

Franjo Grotenhermen

Termine

Praxis-Workshop für Ärzte am 22. Juli 2017

Dr. Franjo Grotenhermen führt in seiner Praxis am 22. Juli von 14 bis 19:00 Uhr einen Workshop für Ärztinnen und Ärzte zur praktischen Behandlung mit Cannabis und Cannabinoiden durch. Maximale Teilnehmerzahl: 8

Informationen und Anmeldung unter: praxis@dr-grotenhermen.de

Schreiben des Präsidenten der Bundesapothekerkammer an Dr. Grotenhermen

Von

Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern

Bundesapothekerkammer

Der Präsident

An

Dr. med. Franjo Grotenhermen

c/o Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V.

6. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Dr. Grotenhermen,

in den letzten Tagen und Wochen haben uns viele inhaltlich identische Mails erreicht, die auf einen Text Ihrer Homepage zurückgehen. Ich antworte Ihnen zu den Aspekten, die an Apotheker adressiert sind, gerne direkt und bitte Sie, dieses Schreiben über Ihre Homepage bekannt zu machen.

Sie behaupten auf Ihrer Homepage, dass Cannabisblüten von Apotheken ohne Prüfung oder Verarbeitung an Patienten abgegeben werden könnten. Zitat: „Wurden bislang verschlossene Dosen mit Cannabisblüten an Patienten abgegeben, so wie die Behältnisse an die Apotheken geliefert werden, wird dieses bereits mehrfach geprüfte Cannabis nunmehr bei der Abgabe einer neuerlichen sensorischen oder weiterführenden Prüfung unterzogen. Dabei gibt es nach allem Ermessen keinen erkennbaren Grund, warum Apotheker den Doseninhalt nochmals überprüfen müssten (es sei denn wegen gewünschter Verteuerung durch diese Prüfungs-Handgriffe.)“ Diese Aussage beurteilen wir aus verschiedenen Aspekten kritisch:

1. Arzneimittel auf Basis von Cannabis müssen die erforderliche pharmazeutische Qualität haben. Derzeit können nur aus den Niederlanden und Kanada importierte Cannabisblüten abgegeben werden. Cannabisblüten sind in diesen Ländern keine zugelassenen Fertigarzneimittel. Beziehen Apotheken Cannabisblüten, handelt es sich somit um Ausgangsstoffe, deren Qualität durch ein Prüfzertifikat belegt sein muss. In der Apotheke muss somit gemäß § 11 Absatz 2 Apothekenbetriebsordnung mindestens die Identität festgestellt werden. Methoden zur Identitätsprüfung sind in der im Mai 2017 in Kraft getretenen Monographie des Deutschen Arzneibuchs „Cannabisblüten“ beschrieben. Zudem verweisen wir auf die im Abschnitt „Alternativverfahren zur Identifizierung von Ausgangsstoffen des DAC/NRF“ für Cannabisblüten beschriebene Methode zur Identitätsprüfung. Die Identitätsprüfung von Cannabisblüten als Ausgangsstoff ist somit zwingend rechtlich vorgeschrieben.

2. Apotheken beziehen Rezepturausgangsstoffe, somit auch Cannabisblüten, in Transportbehältnissen. Die Entscheidung, ob dieses Behältnis darüber hinaus als Abgabegefäß des Rezepturarzneimittels für den Patienten geeignet ist, bedarf einer fachlichen Risikobeurteilung. Dies muss im Einzelfall anhand der Beschaffenheit geprüft werden. Da die Liefergefäße üblicherweise nicht kindergesichert sind, dürfte die Abgabe durch die Apotheke auszuschließen sein.

3. Die von den Apotheken als Ausgangsstoffe und somit in Transportgefäßen bezogenen handelsüblichen Cannabisblüten sind unzerkleinert oder mehr oder weniger in ihre Einzelteile zerfallen. Somit ist eine exakte reproduzierbare Dosierung durch den Patienten selbst schwierig. Die zuverlässige Selbstwägung setzt voraus, dass der Patient über eine Feinwaage (mit 1-Milligramm-Anzeige) verfügt. Das dürfte bei den wenigsten Patienten der Fall sein. In der Regel wird somit die Dosierung von Cannabis-Blüten ‚nach Gefühl‘ erfolgen, was aus pharmazeutischer Sicht unverantwortlich und übrigens auch eine (teure) Verschwendung darstellt. Die Selbstwägung durch den Patienten wäre apotheken- und arzneimittelrechtlich für ein stark wirkendes Arzneimittel ‒ Cannabisblüten sind ein Betäubungsmittel ‒ zudem ein Novum.

4. Die exakte Dosierung der Cannabisblüten bedingt ‒ unabhängig von der Anwendungsform ‒ zwingend ihre gleichmäßige Zerkleinerung. Die Dosiergenauigkeit hängt dabei vom Zerkleinerungsgrad der Cannabisblüten ab. Grob vorzerteilte Cannabisblüten eignen sich nicht für die ausreichend niedrige, reproduzierbare und der medizinischen Notwendigkeit entsprechende Therapie. Sie müssen daher zwingend gemahlen und gesiebt werden. (2- Millimeter-Sieb). Anschließend können sie Cannabisblüten – einzeldosiert oder zusammen mit geeigneter Dosierhilfe – von Apothekern zur medizinischen Behandlung an den Patienten abgegeben werden. Falls der Patient auch das Mahlen der Droge übernehmen kann, wäre auf ärztliche Anweisung dies nach einer entsprechenden Risikobeurteilung denkbar.

Insofern werden die Transportgefäße der Cannabisblüten keineswegs wegen der von Ihnen unterstellten „gewünschten Verteuerung durch diese Prüfungs-Handgriffe“ geöffnet. Die Prüfung zumindest auf Identität ist rechtlich vorgeschrieben. Auch die Zerkleinerung und das Sieben der Droge in der Apotheke, die apparativ dafür entsprechend ausgerüstet ist, sind mit Blick auf die Dosierungsgenauigkeit und damit für die Arzneimitteltherapiesicherheit unerlässlich.

Die von Ihnen angesprochene Preissteigerung von Cannabisblüten beruht im Wesentlichen auf dem Wechsel von einer Abrechnung nach § 3 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) zur Abrechnung nach §§ 4 und 5 der Arzneimittelpreisverordnung. Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 10. März 2017 waren Cannabisblüten und andere Pflanzenteile laut Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes nur dann verkehrsfähig, wenn sie in Zubereitungen, die als Fertigarzneimittel zugelassen sind, enthalten waren.

Das Bundesgesundheitsministerium, der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die ABDA sind sich aber einig, dass Cannabisblüten ein Rezepturarzneimittel sind und vor Abgabe nach anerkannten pharmazeutischen Regeln zubereitet werden müssen. Somit ergibt sich die Abrechnung nach § 5 AMPreisV oder, falls der Arzt die Zu-bereitung ausschließt und der Apotheker dies im Hinblick auf Arzneimittelsicherheit und Arzneimittelqualität vertreten kann, nach § 4 AMPreisV. Der Deutsche Apothekerverband e.V. und der GKV-Spitzenverband können im Rahmen der ‚Hilfstaxe‘ über die Preise für Cannabis-Blüten als Ausgangsstoffe verhandeln. Diese Verhandlungen haben bereits begonnen, sind aber noch nicht abgeschlossen.

Zusammenfassend kann ich Ihnen versichern, dass Apotheker verantwortungsvoll mit medizinisch verordnetem Cannabis umgehen das gilt für die Arzneimittelqualität ebenso wie für die preise.

Für ein persönliches Gespräch oder Telefonat stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Andreas Kiefer

Schreiben der Sprecher des SCM an den Präsidenten der Bundesapothekerkammer

17. Juni 2017

Betreff: Ihre Stellungnahme zum Protestmailer des SCM

Sehr geehrter Dr. Kiefer,

Ihre Antwort auf den Protestmailer des Selbsthilfenetzwerk Cannabis Medizin, SCM, auf welchen Sie sich in Ihrem Schreiben an Dr. Grotenhermen beziehen, hat Dr. Grotenhermen zu unserer Kenntnis weitergeleitet.

Als Sprecher des SCM möchten wir uns zunächst für Ihre Antwort bedanken.

Bedauerlicher Weise zeigen Sie in Ihrem Schreiben keinerlei Lösungswege für Patienten und Ihre vor Ort tätigen Apotheker-Kollegen auf, wie etwa künftig selbst zahlenden Patienten eine finanzielle Verschlechterung ihrer oft desolaten Situation erspart bleibt. Das zumindest hätten wir uns von Ihnen gewünscht.

Was Ihre Ausführungen betrifft, müssen wir Ihnen als Patienten mit tagtäglicher Erfahrung im Umgang mit medizinischem Cannabis widersprechen.

Cannabis wird an den Endverbraucher in verschlossenen Dosen abgegeben. Die Dosen der Cannabisproduzenten Pedanios und Spektrum haben Kindersicherungen.

Die Dosen von Bedrocan werden in holländischen Apotheken so abgegeben wie hierzulande, wobei es nach unserem umfassenden Kenntnisstand und Kontakten ins Ausland noch zu keiner nennenswerten Überdosierung gekommen ist. Angesichts der Tatsache, dass beispielsweise Tramal, Methadon und viele andere Medikamente, die nicht nur zur Abhängigkeit - sondern zu schweren Nebenwirkungen bis hin zum Tod führen können, in banalen Umverpackungen abgegeben werden, ist eine verschließbare Dose für Cannabisblüten durchaus ausreichend, selbst wenn seitens des BfArM bislang die Anschaffung eines eigenen Sicherheitsbehältnisses zur Aufbewahrung für Cannabis vorgeschrieben war.

Medizinisches Cannabis ist bereits sorgsam geprüft und hat ein entsprechendes Prüfzertifikat.

Die jeweiligen Chargen werden für den Markt erst dann freigegeben, nachdem die Inhaltsstoffe genauestens untersucht, gemessen und dokumentiert worden sind. Die Überwachung geschieht bei Bedrocan-Cannabis durch das „Bureau voor medicinale Cannabis“, das dem niederländischen Gesundheitsministerium unterstellt ist.

Prüfzertifikate der Fa. Bedrocan können Sie im Internet nachlesen: https://www.cannabisbureau.nl/medicinale-cannabis/artsen-en-apothekers/vrijgifte-certificaten

Prüfzertifikate anderer Sorten, stehen Ihnen - als Präsident der Bundesapothekerkammer - sicher auf Anfrage zur Verfügung.

Was das Mahlen, Sieben und portionsweises Abpacken angeht, so wird Ihnen jeder erfahrene Cannabispatient sagen können, dass Cannabis am besten unzerkleinert, luftdicht und in einem dunklen Behältnis aufbewahrt wird.

Mahlen zerstört die Trichome, so dass die wirksamen Cannabinoide und Terpene beschleunigt ab- und umgebaut werden, und die vergrößerte Oberfläche des Mahlgutes zum Austrocknen und damit zum Hustenreiz bei Inhalation/Vaporisation führt.

Es gibt sicherlich Patienten, die das Zerkleinern und Portionieren nicht alleine bewerkstelligen können, wie z.B. schwer durch MS körperlich eingeschränkte Personen. Diese Patienten haben aber in der Regel eine Pflegestufe und somit jemanden, der ihnen behilflich sein kann bei den Handreichungen, die sie aus eigener Kraft nicht mehr ausführen können.

Wir würden uns freuen, wenn sie unsere auf jahrelange praktische Erfahrung beruhende Argumentation anerkennen und künftig auch in Ihre Beurteilung der Situation um Cannabis als Medizin einfließen lassen würden.

Freundliche Grüße

Gabriele Gebhardt

Axel Junker

Schreiben von Dr. Grotenhermen an Dr. Kiefer

Sehr geehrter Herr Dr. Kiefer,

herzlichen Dank für Ihr Schreiben und das Angebot für ein persönliches Gespräch.

Die Sprecher des Selbsthilfenetzwerks Cannabis Medizin (SCM), eine Arbeitsgruppe von Patienten der ACM, das die E-Mail-Aktion initiiert hat, antworten Ihnen in einem separaten Schreiben.

Einleitend möchte ich Ihnen versichern, dass ich den Apothekern keineswegs vorwerfe, sich an Gesetze und Verordnungen, wie die Apothekenbetriebsordnung oder die Arzneimittelpreisverordnung zu halten. Dafür dass ich das durch eine Fehlinformation am 11. März 2017 getan habe, habe ich mich daher entschuldigt.

Der Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht gegenwärtig darin, dass Sie diese Verordnungen inhaltlich verteidigen, während ich die Sinnhaftigkeit der Verordnungen im Falle von Cannabisblüten infrage stelle.

Sie schreiben, dass eine „exakte reproduzierbare Dosierung“ nur möglich ist, wenn ein Patient über eine Feinwaage („mit 1-Milligramm-Anzeige“) verfüge. Ich kann Ihnen versichern, dass in der Praxis eine Feinwaage mit 10-Milligramm Anzeige, die für 10 € im Internet erworben werden kann, völlig ausreichend ist, um eine exakte Dosierung vornehmen zu können. So kann nicht ernsthaft eine Verteuerung von Cannabisblüten um das Doppelte oder das Dreifache gerechtfertigt werden. Das sind Argumente, die nur Unerfahrene aber keine erfahrenen Ärzte beeindrucken können.

Beispiele aus der Praxis mögen Ihnen erläutern, warum bei einer Therapie mit Cannabis-Medikamenten die Dosierung zudem nicht immer exakt gleich sein muss. Wenn ein Patient zweimal 15 Tropfen Dronabinol jeweils morgens und abends einnehmen soll, kann er genauso gut auch einmal 13 und ein anderes Mal 17 Tropfen einnehmen. Die Wirkung ist die gleiche. Er kann sogar an einem Tag 28 Tropfen und am nächsten Tag 32 Tropfen einnehmen, ohne dass die Therapie leidet oder vermehrt Nebenwirkungen auftreten. Wer 6 Sprühstöße Sativex einnehmen soll, kann durchaus auch einmal 5 oder 7 Sprühstöße einnehmen. Wer fünfmal 0,1 g Cannabisblüten inhalieren soll, kann sich eine Dosis von 1 g abwiegen, und diese auf 10 etwa gleich große Dosen (von etwa 0,1 g) für 2 Tage aufteilen. Das gleiche kennen wir von anderen Medikamenten. Ein Patient, der gegen seinen Bluthochdruck zweimal 90 mg Diltiazem retard einnehmen soll, würde nicht merken, wenn er stattdessen einmal 80 und einmal 100 mg einnehmen würde. Es reicht, dass die Tagesdosis stimmt. Wie gesagt, Ihre theoretischen Ausführungen mögen Unerfahrene beeindrucken, für den Praktiker sind sie irrelevant.

Mich würde interessieren, ob Sie Erkenntnisse haben, nach denen es in den vergangenen Jahren ohne die Zerkleinerung der Cannabisblüten bei Patienten mit einer Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz zu Dosierungsproblemen kam. Meine etwa 300 Patienten haben nicht davon berichtet, und ich habe in all den Jahren seit 2007 auch keine Rückmeldungen von anderen Patienten, Ärzten oder Apothekern erhalten.

Es kommt noch schlimmer. Die von Ihnen als notwendig erachtete Zerkleinerung – „Sie müssen daher zwingend gemahlen und gesiebt werden (2-Millimeter-Sieb))“ – bringt Nachteile bei der reproduzierbaren Dosierung mit sich. Die von ihnen geforderte „gleichmäßige Zerkleinerung“ führt aufgrund der Zerstörung der Trichome, in denen die Cannabinoide vor Oxidation weitgehend geschützt sind, zu einer Beschleunigung einer unkontrollierten Oxidation von THC zu Cannabinol. Auch die anderen Cannabinoide oxidieren leicht an der Luft, und zwar umso schneller je stärker der Lichteinfluss und je höher die Temperatur ist. Das wird bereits seit Anfang der siebziger Jahre untersucht. Aus Gründen der Reproduzierbarkeit der Dosis sollte im Falle von Cannabisblüten daher von einer Zerkleinerung abgesehen werden. Ich rezeptiere daher Cannabisblüten grundsätzlich mit dem Vermerk „unzerkleinert abgeben“.

Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Prüfung von Cannabisblüten auf Identität rechtlich vorgeschrieben ist. Sie weisen zu Recht darauf hin, dass dies im Wesentlichen auf dem Wechsel von einer Abrechnung nach § 3 der Arzneimittelpreisverordnung, nach der Cannabisblüten für 12-15 € pro Gramm abgegeben werden konnten, zur Abrechnung nach § 4 der Arzneimittelpreisverordnung (mit einer Kostensteigerung auf 20 bis 25 € pro Gramm) beruht. Nach Ihren Vorstellungen soll zudem nach § 5 Arzneimittelpreisverordnung (mit einer Kostensteigerung auf 40-50 € pro Gramm) abgerechnet werden, da ja nicht nur die Prüfung notwendig sei, sondern auch die gleichmäßige Zerkleinerung.

Nachdem die gleichmäßige Zerkleinerung keine gute Idee ist, nun zur Frage der Identitätsprüfung. Diese wurde bis zum März 2017 von Apothekern in der Regel nicht vorgenommen. Auch hier habe ich in den vergangenen Jahren nicht von irgendwelchen Problemen erfahren, beispielsweise dass Patienten anstatt Cannabisblüten Kamillenblüten oder andere Heilpflanzen erhalten hätten. Ich habe weder von Patienten noch von Apothekern erfahren, dass es irgendwelche Probleme gab. Mir sind auch keine Probleme aus Ländern, wie etwa den Niederlanden, bekannt, nach denen der Verzicht auf eine erneute Identitätsprüfung in der Apotheke irgendwelche Probleme mit sich gebracht hätte.

Sind Ihnen solche Probleme bekannt geworden?

Was mir durch eine Reportage in den Medien bekannt geworden ist, ist das beunruhigende Rechercheergebnis, nach dem weltweit etwa 10 % aller Medikamente in Apotheken nicht das enthalten, was sie enthalten sollen oder in einer geringeren Menge. Das liegt aber vor allem daran, dass es viele Reimporte gibt, und dass viele Medikamente in Indien und anderen aufstrebenden, wenig entwickelten Ländern produziert werden. In der Reportage wurde zudem darauf hingewiesen, dass auch deutsche Apotheken davon betroffen sind und dass beispielsweise Medikamente gegen Krebs weniger Wirkstoffe enthalten können als angegeben. Das ist wirklich bedenklich. Cannabisblüten werden aus Kanada und den Niederlanden importiert. Es gibt keine Umwege. Sie gelangen direkt zum deutschen Importeur.

Ich habe mit Interesse die Rezepturvorschriften von NRF/DAC studiert. Ich will hier nicht auf alle Aspekte eingehen, aber die Gelegenheit nutzen, hier wenigstens einen Vorschlag kritisch zu betrachten. So sieht die Rezepturvorschrift zur Anfertigung eines Cannabisblüten-Dekokts das 15-minütige Kochen einer abgewogenen Cannabismenge vor. Da eine vollständige Decarboxylierung von THC und CBD bei 100 °C erst nach mindestens 1 Stunde zu erwarten ist, ist dies eine nicht optimale Rezeptur. Das kann man besser machen, und ich empfehle meinen Patienten eine vollständige Decarboxylierung im Backofen mit anschließender Herstellung eines Tees. Alles andere ist Verschwendung, da es die benötigte Menge und damit die Kosten erhöht.

Wie Sie sehen, gibt es auch nach meiner Auffassung viel Diskussions- und Gesprächsbedarf. Und ich habe hier nur einige Aspekte herausgegriffen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle mitteilen, dass viele Apotheker, mit denen ich in den vergangenen Monaten gesprochen habe, meine Auffassung teilen. Die Anwendung der Arzneimittelpreisverordnung verteuert die Cannabisblüten zulasten der Patienten und Krankenkassen unnötig. Sie dagegen verteidigen diese erhebliche Verteuerung von 12-15 € auf 40-50 €.

Wenn Sie dazu bereit sind, möchte ich vorschlagen, dass wir kein persönliches Gespräch, sondern eine öffentliche Diskussion führen. Ich könnte mir vorstellen, dass Patienten, Apotheker und Journalisten ein Interesse an einer solchen Debatte hätten. Sie könnte zur Klärung wichtiger Fragen beitragen.

Mit freundlichen Grüßen

Franjo Grotenhermen

Presseschau: Cannabisblüten: Patienten klagen über Preisexplosion (Pharmazeutische Zeitung)

Die Pharmazeutische Zeitung griff anhand des Schreibens des SCM und der Reaktion des Vorsitzenden der Bundesapothekerkammer (siehe oben) die Diskussion um die Preisexplosion bei Cannabisblüten auf.

Cannabisblüten: Patienten klagen über Preisexplosion

Patienten klagen über deutlich gestiegene Preise für Cannabisblüten aus der Apotheke. Hintergrund ist nach Meinung des Selbsthilfenetzwerks Cannabis-Medizin die erneute Prüfung der Droge durch den Apotheker. Die sei eigentlich gar nicht erforderlich und diene lediglich dazu, die Blüten teurer zu verkaufen, heißt es. Die Bundesapothekerkammer (BAK) hält dagegen.

Seit Mitte März können Ärzte ihren Patienten Cannabis zu medizinischen Zwecken auf Kassenrezept verschreiben. Zuvor mussten Patienten eine Ausnahmegenehmigung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragen, wenn sie Cannabisblüten aus der Apotheke beziehen wollten. Die Kosten für die Droge mussten sie dabei in der Regel selbst aufbringen. Auch nach der Neuregelung zahlen die Krankenkassen die Therapie nicht in jedem Fall. Sie prüfen zunächst den Bedarf und können die Kostenübernahme ablehnen.

Genau das tun die Kassen nach Aussage des Selbsthilfenetzwerks auch bei Patienten, denen das BfArM bislang eine Ausnahmegenehmigung erteilt hatte. Der Bundesregierung ist das Problem bekannt. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei spricht sie allerdings von Einzelfällen.

Viele Patienten könnten sich «Cannabis aus der Apotheke finanziell schlicht nicht mehr leisten», heißt es in einer Protestmail des Selbsthilfenetzwerks, die auch die BAK vielfach erreicht hat. Demnach hatten Apotheker vor Inkrafttreten der Neuregelung im März stets verschlossene Dosen mit Cannabisblüten an die Patienten abgegeben, so wie sie an die Apotheken geliefert worden waren. Nun würden sie die bereits mehrfach kontrollierte Droge erneut prüfen, allerdings ohne erkennbaren Grund, «es sei denn wegen gewünschter Verteuerung durch diese Prüfungshandgriffe».

Tatsächlich kosten Cannabisblüten in Apotheken inzwischen mehr als noch vor einigen Wochen. Hintergrund ist allerdings im Wesentlichen eine veränderte Abrechnungsgrundlage, wie BAK-Präsident Andreas Kiefer in einem Brief an den Vorsitzenden des Selbsthilfenetzwerks, den Mediziner Franjo Grotenhermen, deutlich macht. Demnach wurden die Blüten bislang stets als Fertigarzneimittel auf Basis von § 3 der Arzneimittelpreisverordnung abgerechnet, da das Betäubungsmittelgesetz keine andere Möglichkeit zuließ.

Seit Mitte März sind hingegen § 4 und § 5 AMPreisVO ausschlaggebend. Das Bundesgesundheitsministerium, Krankenkassen, Ärzte und Apotheker seien sich einig, «dass Cannabisblüten ein Rezepturarzneimittel sind und vor Abgabe nach anerkannten pharmazeutischen Regeln zubereitet werden müssen», so Kiefer. Die Preise für die Droge werden demnach im Rahmen der Hilfstaxe festgelegt, die Kassen und Apotheker derzeit neu verhandeln.

Kiefer weist zudem auf die Prüfpflichten der Apotheker hin. So sei die Identitätsprüfung der Blüten als Ausgangsstoff «zwingend rechtlich vorgeschrieben». Darüber hinaus sei eine gleichmäßige Zerkleinerung der Droge Voraussetzung für eine exakte Dosierung. Sie müsse unbedingt gemahlen und gesiebt werden, erst dann könne der Apotheker sie zur medizinischen Behandlung an den Patienten abgeben.

Die wenigsten Patienten verfügten außerdem über eine äußert sensibel Feinwaage, um die Einzeldosis exakt zu bemessen. Eine Dosierung der Cannabisblüten nach Gefühl sei jedoch «aus pharmazeutischer Sicht unverantwortlich und übrigens auch eine teure Verschwendung», so Kiefer. Die Apotheker öffneten die Transportgefäße der Blüten somit keineswegs, um anschließend höhere Preise verlangen zu können, sondern um ihren Pflichten nachzukommen und eine sichere Therapie zu gewährleisten.

Die Linkspartei zeigt sich mit Blick auf die gestiegenen Preise alarmiert. In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Drogenbeauftragte der Regierung, Marlene Mortler (CSU), fordert sie eine Klarstellung im Gesetz. Demnach sollen Cannabisblüten eben nicht als Rezepturarzneimittel gelten und die Prüfpflichten der Apotheker entfallen, «wodurch kurzfristig wieder das alte Preisniveau hergestellt werden kann».

Die Bundesregierung hält davon offenbar nichts. Die Apothekenbetriebsordnung regle eindeutig, wann ein Rezepturarzneimittel vorliegt, schreibt sie in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Linken. Es gebe keinen Grund, Cannabis zu medizinischen Zwecken gesondert zu behandeln. «Gleiches gilt für die apothekenrechtlichen Prüfvorschriften. Diese sollen die erforderliche Qualität insbesondere der in der Apotheke hergestellten Arzneimittel sicherstellen», so die Regierung.

Presseschau: Cannabis als Medizin: Linke beklagen Willkür der Kassen (Pharmazeutische Zeitung)

In einem offenen Brief der Fraktion DIE LINKE an das Gesundheitsministerium zu Problemen beim Gesetz zu Cannabis-Medizin, der

hier auch als PDF-Datei angesehen werden kann, benennen die Autoren mehrere Aspekte. Die Pharmazeutische Zeitung griff das Thema in einem Artikel auf.

Cannabis als Medizin: Linke beklagen Willkür der Kassen

Seit Mitte März können Ärzte schwerkranken Patienten Cannabis auf Kassenrezept verschreiben. In der Praxis führt die Neuregelung nach Meinung der Linkspartei jedoch häufig zu Problemen. Demnach legen die Krankenkassen das Gesetz äußerst restriktiv aus. «Wir können uns des Eindrucks nicht verwehren, dass einige Entscheidungen über die Kostenerstattung rein willkürlich zustande kommen», heißt es in einem Schreiben der Linken an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Drogenbeauftragte der Regierung, Marlene Mortler (CSU), das der Pharmazeutischen Zeitung vorliegt.

Mit dem neuen Gesetz kann grundsätzlich jeder Arzt Cannabis als Medizin verschreiben. Profitieren sollen davon vor allem Patienten, bei denen andere Arzneimittel nicht helfen oder wenn die Nebenwirkungen unzumutbar sind. Bislang konnten Patienten nur dann Cannabisblüten aus der Apotheke beziehen, wenn sie eine entsprechende Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatten. Die Kosten mussten sie dabei in der Regel selbst tragen.

Eigentlich sollte für die Betroffenen mit der Neuregelung nun alles einfacher werden. Doch aus Sicht der Linken ist das Gegenteil der Fall. Gerade Patienten, die bislang eine Ausnahmeerlaubnis hatten, verweigerten die Kassen die Kostenerstattung häufig, heißt es. Zudem hätten sich die Preise für Cannabisblüten nach Aussage der Patienten verdoppelt. «Wir wenden uns mit diesem offenen Brief an Sie, weil die Krankenkassen ihre Aufgabe nicht erfüllen, die Preise explodieren und schwerkranke Patienten darunter leiden», schreiben die Linken. Den Versicherten bleibe damit letztlich nur der Rechtsweg, «um sich gegen die Krankenkassen ihr Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung zu erstreiten».

Die Bundesregierung müsse daher nun zügig eingreifen und klarstellen, dass die Kassen die Therapiekosten grundsätzlich übernehmen, wenn Patienten bislang eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM hatten. Darüber hinaus sollten Cannabisblüten in der Apotheke nicht mehr als Rezeptur-Arzneimittel gewertet werden, «wodurch kurzfristig wieder das alte Preisniveau hergestellt werden kann».

Presseschau: Hype um vermeintliche Wunderarznei: Was Cannabis kann - und was nicht (Stern)

Auch der Stern befasste sich mit dem Thema.

Hype um vermeintliche Wunderarznei: Was Cannabis kann - und was nicht

Seit ein paar Wochen gibt es für schwer kranke Menschen Cannabis auf Rezept. Die Nachfrage ist groß, die Hoffnungen der Patienten sind hochgeschraubt. Zu hoch vielleicht?

Die Geschichten ähneln sich: Schwerkranke, die mit Cannabis schmerzfrei leben können. Patienten mit chronischen Schmerzen, die sagen: "Nur damit habe ich wieder Lebensqualität."

Oder: "Cannabis ist das einzige, was mir hilft." Einige klagten vor Gericht auf eine Erlaubnis zur Eigenproduktion. Andere landeten vor Gericht, weil sie den Hanf zuhause angebaut hatten. Solche Fälle haben zuletzt für hohe Erwartungen in Cannabis als Medizin gesorgt.

Mittlerweile können Menschen bei schwerwiegenden Erkrankungen, bei chronischen Schmerzen und als Palliativ-Behandlung im Einzelfall Cannabis auf Rezept bekommen. Kann der Arzt nachweisen, dass es keine andere anerkannte Therapie für den Patienten gibt und die Cannabis-Gabe erfolgversprechend ist, sollen die Krankenkassen die Kosten für Cannabispräparate oder für getrocknete Cannabisblüten bezahlen. Im März hatte ein Gesetz von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Weg dafür frei gemacht.

Die Geschichten ähneln sich: Schwerkranke, die mit Cannabis schmerzfrei leben können. Patienten mit chronischen Schmerzen, die sagen: "Nur damit habe ich wieder Lebensqualität."

Oder: "Cannabis ist das einzige, was mir hilft." Einige klagten vor Gericht auf eine Erlaubnis zur Eigenproduktion. Andere landeten vor Gericht, weil sie den Hanf zuhause angebaut hatten. Solche Fälle haben zuletzt für hohe Erwartungen in Cannabis als Medizin gesorgt.

Mittlerweile können Menschen bei schwerwiegenden Erkrankungen, bei chronischen Schmerzen und als Palliativ-Behandlung im Einzelfall Cannabis auf Rezept bekommen. Kann der Arzt nachweisen, dass es keine andere anerkannte Therapie für den Patienten gibt und die Cannabis-Gabe erfolgversprechend ist, sollen die Krankenkassen die Kosten für Cannabispräparate oder für getrocknete Cannabisblüten bezahlen. Im März hatte ein Gesetz von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Weg dafür frei gemacht.

Etwa 1000 Patienten bundesweit durften bisher schon legal Cannabis nehmen. Sie hatten eine Sondergenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Ob mit dem neuen Gesetz die Zahl der Cannabis-Patienten steigen wird, ist unklar. Das Bundesgesundheitsministerium hat noch keine Informationen, wie vielen Menschen Cannabis bereits verordnet wurde. "Das Gesetz ist noch keine drei Monate in Kraft", sagte eine Sprecherin.

In der Berliner Fachpraxis für Schmerztherapie des Klinikkonzerns Vivantes beobachtet die Medizinerin Corinna Schilling allerdings einen Ansturm von Patienten, die gerne Cannabis auf Rezept verordnet haben möchten. "Generell hatten wir vor der Gesetzesänderung keine Anfragen zu Cannabis, obwohl es das Produkt ja schon gab", sagt Schilling. Nun gebe es sehr viele Anfragen, denen man gar nicht gerecht werden könne. Die Menschen gäben an, sie litten unter chronischen Schmerzen und hofften auf eine Cannabis-Verordnung.

Nach Schillings Einschätzung wurde die Gesetzesänderung von Laien teils so aufgefasst, dass es massenhaft Anwendungsgebiete für Cannabis gebe - dabei sei das in den allermeisten Fällen "überhaupt keine Therapieoption", betont die Ärztin. Sie sieht angesichts der Nachfrage, die aus ihrer Sicht aus teils irreführenden Medienberichten und gleichzeitig schwammiger gesetzlicher Formulierung resultiert, Risiken: "Tor und Tür sind dem Missbrauch hier weit geöffnet."

Medizinisches Cannabis kann man auf verschiedene Weise einnehmen. Vom Rauchen rät das BfArM wegen Nebenwirkungen ab. Die Wirkstoffe lassen sich auch über ölige Lösungen und Tropfen inhalieren oder schlucken.

Bei dem Cannabis-Gesetz gibt es Anlaufschwierigkeiten - mit Unklarheiten seitens der Ärzte, der Patienten und der Kassen. Einige Betroffene, die bereits eine Sondergenehmigung vom BfArM hatten, hätten von der Kasse nun eine Ablehnung erhalten. "Das ist unverständlich und sicher nicht im Sinne des Gesetzgebers", sagt Michael Schäfer, Schmerzexperte von der Charité in Berlin. Die Ärzte wiederum betreten Neuland. Zwar sind die meisten potenziellen Cannabis-Empfänger lange in Behandlung. Doch man sieht niemandem die Stärke seiner Schmerzen an. "Die Ärzteschaft ist nicht vorbereitet, sie braucht noch Handlungsanweisung", sagt Schäfer. Richtlinien der Fachgesellschaften seien noch in Arbeit.

Cannabis kann Spastiken lindern

Der Chef der Arbeitsgruppe Sucht und Drogen in der Bundesärztekammer, Josef Mischo, rechnet mit einer gewissen Ausweitung der Therapien, das Ausmaß sei aber offen. Die neue Cannabisagentur des Bundes will ab 2019 Marihuana in Deutschland anbauen lassen, die Mengen sollen gemäß der Ausschreibung jährlich steigen. 2021 und 2022 sollen demnach im staatlichen Auftrag je 2000 Kilogramm Cannabis in Deutschland geerntet werden. Bei einem durchschnittlichen Tagesbedarf von einem Gramm wäre das rechnerisch die Jahresmenge für fast 5500 Patienten.

Wie wirksam Cannabis jeweils sein kann, ist vielfach nicht klar. Die Studienlage zu den Anwendungsgebieten ist uneinheitlich und oft dünn. Untersuchungen beruhen häufig auf kleinen Gruppen von Patienten.

Bei chronischen Schmerzen, etwa bei Rückenschmerzen oder Rheuma, dürfen Ärzte nun testen, ob es den Menschen mit Cannabis besser geht. Als gesichert gilt, dass Cannabisblüten bei Spastiken helfen, die bei Multipler Sklerose und bei Nervenverletzungen auftreten. Cannabis soll darüber hinaus Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapien unterdrücken und den Appetit bei Aids anregen. Bei Epilepsie, Alzheimer, Juckreiz und Depressionen sind die Erkenntnisse über die Wirksamkeit bisher eher gering. Manche Patienten bekommen auch Nebenwirkungen zu spüren: Schwindel, Verwirrtheit, Müdigkeit. "Das ist gar nicht mal so unbeträchtlich", sagt Schäfer.

Noch viele Fragezeichen

"Zur Evidenz von Cannabis-Therapien gibt es bislang relativ wenig Daten", sagt auch Samir Rabbata, Sprecher der Bundesärztekammer. Deshalb sei es gut, dass das neue Gesetz von einer entsprechenden Erhebung begleitet werde. "Durch sie lassen sich deutlich bessere Daten darüber generieren, wofür Cannabis tatsächlich sinnvoll ist und für welche Krankheiten dies weniger der Fall ist."

Gut möglich, dass sich dann die hoch gesteckten Hoffnungen in die vermeintliche Wunderpflanze relativieren. Das Gesetz sei, auch wenn es noch Umsetzungsprobleme gebe, ein wichtiger Schritt nach vorne, sagt Thomas Isenberg, Geschäftsführer der Deutschen Schmerzgesellschaft. Aber: "Cannabis in der Medizin ist kein Allheilmittel."

Presseschau: Medizinalcannabis: Ärzte kritisieren Umgang der Krankenkassen mit Anträgen auf Kostenerstattung (Aerzteblatt.de)

Die Krankenkassen gehen recht restriktiv mit Anträgen auf eine Kostenübernahme für eine Therapie mit cannabisbasierten Medikamenten um. Das wird von der Ärztschaft kritisiert.

Medizinalcannabis: Ärzte kritisieren Umgang der Krankenkassen mit Anträgen auf Kostenerstattung

Die ersten Anträge von Patienten, die mit Medizinalcannabis therapiert werden sollen, liegen den Krankenkassen vor. Die Kostenübernahme darf nur in begründeten Fällen abgelehnt werden. Dies passiere viel zu häufig, kritisieren schon jetzt einige Ärzte. Den Vorsitzenden des Arbeitskreises Cannabis in der Medizin, Franjo Grotenhermen, hat die Situation sogar zu einem achttägigen Hungerwarnstreik veranlasst.

Schon bei der europaweit ersten B2B-Cannabis-Konferenz Anfang April in Berlin berichtete Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband, dass sich Probleme mit der Bereit­schaft der Kostenübernahme bei den Kassen abzeichnen würden: „Wir wissen von einigen Ablehnungen, selbst bei jenen Patienten, die zuvor eine Ausnahmegeneh­migung hatten.“ Die Berliner Ärztin Eva Milz sagte dem Deutschen Ärzteblatt: „Ich muss das Verhalten der Krankenkassen in Bezug auf die Kosten­übernahme der Cannabis­produkte als indiskutabel unkooperativ bezeichnen.“

Milz hat bislang nur sehr wenige Patienten mit Genehmigung, die eine Kostenüber­nahme erhalten haben – etwa fünf von 70 bislang. „Es liegen zwar noch nicht alle Ablehnun­gen vor, die Quote bleibt aber bei deutlich unter zehn Prozent Zusagen.“ Der Anästhe­sist Knud Gastmeier berichtet von vergleichbar geringen bestätigten Kostenübernah­men: Fünf von 50 seiner Patienten erhalten Cannabis zukünftig auf Kosten der Krankenkasse.

Wie viele Anträge bereits gestellt wurden und wie viele schon jetzt eine Ablehnung erhalten haben, kann auch die Gesetzliche Krankenversiche­rung (GKV) zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die AOK hat aber angekündigt, noch diese Woche Zahlen mitzuteilen.

Privatrezepte können sich viele nicht leisten

Alle anderen können Medizinalcannabis mit einem Privatrezept in der Apotheke erhalten. Bei derzeitig gestiegenen Preisen von 12 bis 15 auf 15 bis 25 Euro pro Gramm und möglicherweise Preissteigerungen auf 40 Euro pro Gramm (Herstellung nach neuem Rezepturformularium), ist diese Option nicht für jedermann finanzierbar. „Diese gestiegenen Preise könnte die Politik einfach korrigieren, indem Cannabisblüten nicht als Rezepturarzneimittel sondern als Fertigarzneimittel behandelt werden“, sagt Grotenhermen.

Für Milz ist „die rasante Entwicklung von der stigmatisierten Droge zum Zweiklassen­medikament innerhalb weniger Monate“ äußerst frustran. Gastmeier befürchtet, dass die neue Gesetzessituation viele Patienten wieder zurück in die Illegalität führen wird. Keiner seiner Patienten könne sich die legitimen „Wuchercannabispreise“ leisten. Hier müsse der Gesetzgeber dringend und kurzfristig nachbessern, heißt es in einem offenen Brief.

Antragsfristen bis zu fünf Wochen

Seit dem 10. März 2017 können Ärzte cannabishaltige Arzneimittel (Cannabisblüten, Extrakte und Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon) für Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung zulasten der GKV verordnen. Wenn der Antrag die Krankenkasse erreicht, muss diese inner­halb von drei Wochen entscheiden; fünf Wochen, wenn die Kasse eine gutachterliche Stellungnahme vom Medizinischen Dienst der Krankenakssen (MDK) einholt. In der ambulanten Palliativversorgung sind nur drei Tage gestattet.

„Die Entscheidung zur Kostenübernahme wird nach meiner Erfahrung fast immer dem MDK überlassen“, berichtet Milz. Den formalen Antrag stellt der Patient. „Hierfür benötigt er einen ausgefüllten ärztlichen Fragebogen – das aktuell gravierendste Nadelöhr. Wenn die Kassen zudem teilweise überflüssige Rückfragen stellen, verlän­gert sich die Frist für die Bearbeitung weiter.“

Gründe für die Ablehnung der Kostenübernahme

Ein Schreiben der AOK Nordwest gibt laut der Association for Cannabinoid Medicines (ACM) weitere Hinweise, wie laut MDK mit Anträgen auf eine Kostenerstattung umge­gan­gen werden soll. Im aktuellen ACM-Newsletter werden Beispiele aufgeführt, die eine abgelehnte Kostenübernahme erklären können. So findet sich etwa auf Seite 21 eine Definition schwerwiegender Erkrankungen. Mit Verweis auf den Gemeinsamen Bundes­aus­schuss wird die Definition eng gefasst: Multiple Sklerose, Krebs, Aids und wenige andere Erkrankungen sind aufgeführt.

Die Ablehnung der Kostenübernahme hat laut Milz noch viele andere Gründe: Aufgeführt werden unter anderem fehlende Evidenz und nicht bereitgestellte Originalliteratur zu positiven Studienergebnissen. „Bei kleinsten Anhaltspunkten – etwa die Aussage in einem Arztbericht, der Patient konsumiere missbräuchlich Cannabis – wird der Einsatz als kontraindiziert bewertet.“

Ihrer Meinung nach untergräbt das die gesetzlich geschaffene Option, dass der Einsatz von Cannabis eine Entscheidung zwischen Arzt und Patient sein solle. Als Privatärztin hat sie darüber hinaus auch bereits die Erfahrung gemacht, dass der Antrag erst bearbeitet werde, wenn die Empfehlung eines Vertragsarztes vorliege. „Diese Forderung hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben“, setzt sie entgegen.

Presseschau: Cannabisverordnung muss vereinfacht werden (Aerzteblatt.de)

Der Deutsche Ärztetag verlangte im Mai diesen Jahres eine Vereinfachung des Gesetzes.

Cannabisverordnung muss vereinfacht werden

Die Verordnung von medizinischem Cannabis für schwerkranke Patienten ist zu kompliziert und muss verändert werden. Das haben heute die Delegierten des 120. Deutschen Ärztetags angemahnt.

Das Verfahren zur Verordnung und Weiterverwendung zum medizinischen Gebrauch von Cannabis müsse „praktikabler, einfacher und rechtssicherer“ gestaltet werden, erklärte Erik Bodendieck, einer der beiden Vorsitzenden der Kommission Sucht und Drogen der Bundes­ärzte­kammer, in einem mit großer Mehrheit angenommenen Antrag. Dies müsse der Gemeinsame Bundes­aus­schuss (G-BA) sicherstellen.

Bodendieck begründet seinen Vorstoß mit unpraktikablen Regelungen für die Verordnung von medizinischem Cannabis. „Die Cannabisagentur kann mir nicht sagen, was für eine Sorte sie zur Verfügung hat. Ich soll aber eine Sorte angeben, die die Krankenkasse genehmigt“, kritisierte Bodendick.

Zudem ordneten die Kassen im Fall einer Genehmigung an, dass im Falle eines Wechsels der Sorte ein neuer Antrag zu stellen sei, bemängelte er weiter. Hinzu käme, dass für nicht palliative Patienten die Kassen drei bis fünf Wochen Zeit für eine Genehmigung hätten, für Palliativpatienten bis zu drei Tage. „Das entspricht nicht dem Votum des Gesetzgebers. Das entspricht auch nicht unserer Therapiehoheit“, so Bodendieck.

Er verwies in seinem Antrag darauf, dass es einer Klarstellung und Vereinfachung des Verordnungsverfahrens bedürfe, um die zum Teil langen Begutachtungszeiten und zu befürchtenden Behandlungsabbrüche zu verhindern. Zudem sei zu überdenken, ob die Antragstellung durch den Patienten der passende Weg ist. Seiner Auffassung nach sei es nicht richtig, dass diese die Anträge stellen müssten.

Einige Pressemeldungen und Informationen der vergangenen Tage:

Cannabis-Rezept: Wenn die Kasse doch nicht zahlt (SR.de)

Cannabis als Medizin - Wirkt das neue Gesetz? (ARD Mediathek)

rbb Praxis: Cannabis als Medizin (rbb-online)

FAQ „Cannabisgesetz“

Was hat sich durch das „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ geändert? Bundesapothekerkammer, Geschäftsbereich Pharmazie (Frag den Staat)

Jan Elsner von der ACM versucht nach dem Informationsfreiheitsgesetz möglichst viele Informationen zu internen Anweisungen und Anleitungen zum Umgang mit dem neuen Gesetz von den Krankenkassen und anderen Institutionen zu bekommen. Nun hat die Bundesapothekerkammer ihre Sicht der Dinge veröffentlicht.

Schmerzpräsident Prof. Dr. Martin Schmelz: Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Schmerzbehandlung (Medizin Aspekte)

In einer Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft heißt es unter anderem: „Anlässlich der aktuellen Debatte um die Umsetzung des Gesetzes „Cannabis als Medizin“ fordert die Deutsche Schmerzgesellschaft ganz klar: Auch wenn Cannabis keineswegs als Wundermedizin zu betrachten ist, so kann es nicht sein, dass gerade die Patienten, die bisher schon eine Ausnahmegenehmigung vom bisher zuständigen Bundesamt hatten oder bei denen im Einzelfall die Verordnung von Cannabis als Medizin eine Hilfe sein kann, nach der erfolgten Gesetzesänderung schlecht gestellt werden und oftmals keinen Zugang zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen haben. „Ich fordere Politik und Kassen auf, diese Umsetzungshürden unverzüglich zu beseitigen“ so Schmerz-Präsident Prof. Dr. Martin Schmelz.“

Sofie verkauft dir Gras mitten in Wien. Ganz legal. (Orange Handelsblatt)

Offener Brief Cannabismedizin

„Man will die Ärzte mürbe machen“ (Focus Online)

Focus befasst sich mit Unternehmen, die Cannabis in Deutschland anbauen wollen: „Fragen wir die Bewerber. Zum Beispiel John Hoff, der sitzt Mitte Mai in seinem Büro in Berlin-Friedrichshain, in dem es sogar ein bisschen nach Gras riecht. Er gehört zu ABcann Germany, dem Ableger eines kanadischen Cannabis-Herstellers. John Hoff trägt einen blonden Zopf, schwarze Jeans, schwarzen Pullover. Er ist einer von den Menschen in Deutschland mit einer Ausnahmeregelung für medizinischen Konsum. (…)“

Cannabis als Medizin (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte)

ÖKOWORLD AG: "Cannabis für die Gesundheit!“ (Boerse.de)

Mortlers Ammenmärchen (Hanf Journal)