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ACM-Mitteilungen vom 16. Juli 2016

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Presseschau: Bundesgesundheitsminister Gröhe: "Schwerkranke müssen bestmöglich versorgt werden" (Webseite des Bundesgesundheitsministeriums)

Am 7. Juli fand im Bundestag die erste Lesung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zu Cannabis als Medizin (Drucksache 18/8965) statt. Das Bundesgesundheitsministerium berichtete auf seiner Webseite. Die zweite Lesung wird für den Herbst 2016 erwartet, das Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2017. Eine Zustimmung des Bundesrats ist nicht erforderlich.

Bundesgesundheitsminister Gröhe: "Schwerkranke müssen bestmöglich versorgt werden"

Erste Lesung des Gesetzentwurfs "Cannabis als Medizin" im Bundestag

Der Bundestag wird heute Abend den Gesetzentwurf zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften in erster Lesung beraten.

Dazu erklärt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: "Schwerkranke Menschen müssen bestmöglich versorgt werden – dafür setze ich mich ein. Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann. Außerdem wollen wir eine Begleiterhebung auf den Weg bringen, um den medizinischen Nutzen genau zu erfassen."

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler: "Der Einsatz von Cannabis als Medizin unter kontrollierten Bedingungen kann sinnvoll sein. Seit Beginn meiner Amtszeit als Drogenbeauftragte habe ich mich dafür eingesetzt, den Zugang zu dieser Therapiemethode zu erweitern: Wem Cannabis wirklich hilft, der soll Cannabis auch bekommen können, in qualitätsgesicherter Form und mit einer Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen. Im Interesse der Patienten appelliere ich an alle Beteiligten, den Gesetzentwurf Cannabis als Medizin jetzt sachlich und zielorientiert zu diskutieren und ihn schnell zu verabschieden. Bei allem ist mir aber eines wichtig: Cannabis als Medizin ja, Cannabis zum Freizeitkonsum nein. Selbst die besten Arzneimittel sind keine geeigneten Genussmittel."

Cannabisarzneimittel sollen als Therapiealternative bei bestimmten Patientinnen und Patienten im Einzelfall bei schwerwiegenden Erkrankungen eingesetzt werden können, wenn eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. So können Cannabisarzneimittel zum Beispiel in der Schmerztherapie bei bestimmten chronischen Erkrankungen oder im Verlauf einer Krebsbehandlung mit Chemotherapie bei schwerer Appetitlosigkeit und Übelkeit sinnvoll zur Linderung der Beschwerden eingesetzt werden.

Mit Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) soll die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln auf Cannabisbasis in der gesetzlichen Krankenversicherung erweitert werden, die bislang grundsätzlich auf zugelassene Fertigarzneimittel im jeweils zugelassenen Anwendungsgebiet begrenzt war. Insbesondere wird eine Erstattungsmöglichkeit von Cannabis in Form getrockneter Blüten für schwerkranke Menschen geschaffen, deren Leiden auf anderem Weg nicht gemildert oder behandelt werden können. Um weitere Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabis zu gewinnen, wird die Erstattung mit einer Begleiterhebung verbunden. Dazu übermitteln Ärzte und Ärztinnen ohnehin vorliegende Daten – zum Beispiel zur Diagnose, Therapie, Dosis und Nebenwirkungen – anonymisiert an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukten (BfArM). Mit der Erhebung sollen auch Informationen zum langfristigen Gebrauch von Cannabis zu medizinischen Zwecken gesammelt werden.

Zukünftig soll in Deutschland zudem ein staatlich überwachter Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken erfolgen können, um die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in kontrollierter Qualität zu ermöglichen. Die damit verbundenen Aufgaben werden – unter Beachtung der völkerrechtlich bindenden Vorgaben des Einheits-Übereinkommens der Vereinten Nationen von 1961 über Suchtstoffe – dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übertragen werden (staatliche "Cannabisagentur"). Bis durch die Cannabisagentur ein staatlich kontrollierter Anbau in Deutschland umgesetzt werden kann, soll die Versorgung mit Medizinalcannabis über Importe gedeckt werden.

Das Gesetz ist im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig.

Reden im Deutschen Bundestag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Cannabis als Medizin

Die zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften sowie des Antrags der Abgeordneten Frank Tempel, Kathrin Vogler, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten, finden sich in einer PDF-Datei auf der Seite des Deutschen Bundestags ab Seite 211 (18175): Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 183. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 7. Juli 2016.

Die Reden folgender Mitglieder des Deutschen Bundestags wurden zur Protokoll gegeben.

Michael Hennrich (CDU/CSU)

(…) Die Anbauer werden dabei selbstverständlich verpflichtet, die gesamte Ernte abzuliefern. Die von Bundesgesundheitsminister Gröhe vorgeschlagene Änderung des Betäubungsmittelrechts ist dabei der richtige Weg. Denn wir wollen einen sicheren und kontrollierten Zugang der Betroffenen unter staatlicher Kontrolle. Eine umfassende Kontrolle des Anbaus und der Erwerbskette setze ich voraus. Alle Beteiligten werden die betäubungsmittel- und arzneimittelrechtlichen Vorschriften einhalten. Zudem wollen wir nicht, dass mit etwaigen Abfallprodukten wie auch mit den angebauten Erzeugnissen selbst illegaler Handel betrieben werden kann. Des Weiteren ist geplant, für gesetzlich Versicherte in eng begrenzten Fällen einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten, Extrakten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zu schaffen.

(...) Und hier, verehrte Kollegen von den Grünen und Linken, bitte ich doch darum, die pharmakologische Therapie und Zulassung eines Arzneimittels nicht ideologisch zu vermengen mit einem wie auch immer formulierten Grundrecht auf Cannabiskonsum oder der Vorenthaltung eines Medikaments durch die oben beschriebenen Voraussetzungen.

Würden wir hier von einem herkömmlichen chemisch erzeugten Arzneimittel sprechen, würden Sie die Forderung, dass es jeder in heimischer Küche nachmischen dürfen solle, ja vermutlich auch nicht stellen. Wir gehen diese Thematik ganz nüchtern an, wie bei jedem anderen Medikament auch, bei dem Zulassung, Herstellung, In-Vertrieb-Bringen und Verordnung klaren Regeln unterworfen sind. Der Vorteil für die Patientinnen und Patienten liegt auf der Hand; denn die bisher erforderliche Beantragung patientenindividueller Ausnahmeerlaubnisse beim BfArM zum Erwerb von Cannabisblüten und -extrakten aus Apotheken wird entbehrlich und die Kosten werden regelmäßig erstattet. Zudem erhöhen wir die Arzneimittelsicherheit, da der Zugang für die genannten Gruppen erleichtert wird und sich niemand mehr illegal angebaute Produkte mit nicht klar dosierbarem THC-Gehalt und ohne ärztliche Aufsicht zuführen braucht. Und mit diesem Gesetzentwurf begegnen wir endlich der Kritik der Legalisierungsbefürworter, welche die positiven Wirkungen von Cannabis gebetsmühlenartig wiederholen und das Argument der medizinisch darauf angewiesenen Patienten wie eine Monstranz vor sich hertragen. (…)

Marlene Mortler (CDU/CSU)

Was wir auf internationalem Parkett fordern, das gilt selbstverständlich auch bei uns zu Hause: Im Mittelpunkt der Drogenpolitik der Bundesregierung stehen nicht Zeitgeist, Vorurteile oder Ideologien. Worum es uns geht, das ist der Mensch und seine Gesundheit! Die Gesundheit der Menschen ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Cannabispolitik. Genau deshalb sage ich "Nein" zum Freizeitkonsum von Cannabis. Es gibt keinen Grund, der Freizeitdroge Cannabis die Absolution zu erteilen. Es gibt nur eine Gesundheit. Dass auch andere Substanzen gesundheitsschädlich sind, ist kein Argument gegen, sondern ein Argument für einen streng geregelten und kontrollierten Umgang mit Cannabis.

(…) Cannabis hat jedoch zwei Seiten. Es ist eine Substanz, die Menschen auch helfen kann. Cannabis ist ein Betäubungsmittel, das um es in der Fachsprache zu sagen, auch über ein medizinisch-therapeutisches Potenzial verfügt.

Den Menschen und seine Gesundheit in den Mittelpunkt zu stellen, heißt deshalb für mich auch, den Zugang zu Cannabis für all diejenigen zu erleichtern, denen Cannabis - und kein anderes Medikament - anhaltend helfen kann. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass Ärztinnen und Ärzte künftig Cannabis an schwer erkrankte Patientinnen und Patienten verschreiben dürfen, und zwar - das ist für mich von entscheidender Bedeutung - Cannabis, das wie andere Medikamente und Medizinprodukte qualitätsgeprüft ist.

Der Gesetzentwurf sieht unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen vor. Verschreibbar, qualitätsgeprüft und erstattungsfähig - um diesen Dreiklang geht es. Und dieser Dreiklang ist ein großer Schritt nach vorn. Es ist ja nicht so, dass Patientinnen und Patienten heute gar nicht an Cannabis kämen. Doch sind die Hürden viel zu hoch. (…).

Burkhard Blienert (SPD)

Mit dem heutigen Gesetzentwurf folgt die Bundesregierung der aktuellen Rechtsprechung. Die Gerichte hatten bekanntermaßen den Gesetzgeber quasi zum Handeln genötigt. Eine gefühlte Ewigkeit hat es für viele Betroffene gedauert, bis nun nach der Ankündigung der Drogenbeauftragten endlich der Gesetzentwurf vorliegt.

Nun hat der Gesetzentwurf das Parlament erreicht. Mit ihm soll gewährleistet werden, dass Patienten, die auf die Heilkräfte der Hanfpflanze angewiesen sind, endlich diese Arznei unter bestimmten Aspekten verschrieben und erstattet bekommen. Wir vollziehen somit einen wichtigen und richtigen Schritt. Allerdings, und das darf nicht verschwiegen werden: Ein wesentlicher Knackpunkt bei Cannabis als Medizin besteht natürlich darin, dass uns viele Studien zur Wirkungsweise und möglichen Anwendungsgebieten noch nicht vollumfänglich vorliegen. Es fehlt in manchen Bereichen die Evidenz. Hier haben wir einen klaren Nachholbedarf. Ich bin an dieser Stelle aber froh, dass das Ministerium mittlerweile Abstand von seinen ersten Überlegungen genommen hat, eine verpflichtende Begleitforschung im Gesetz zu verankern. Sie sollte ursprünglich ja die Bedingung für die Kostenerstattung sein.

Die jetzt im Gesetzentwurf vorgesehene anonymisierte Begleiterhebung sehe ich als gangbaren Weg, mehr Evidenz zu erhalten, ohne Patienten zu Versuchskaninchen zu machen. In Hinblick auf die bald beginnenden Haushaltsberatungen sollten wir allerdings prüfen, ob die für die Erhebung angedachten Mittel ausreichend sind; aber dies werden wir an anderer Stelle nochmals thematisieren müssen.

Wir sollten zu Cannabis als Medizin unbedingt Grundlagenforschung finanzieren! Mit diesem Gesetzgebungsverfahren wird sich nun jedenfalls endlich auf die Erkenntnisse jahrhundertealter Erfahrungen besonnen. Die Heilkräfte der Hanfpflanze sind schon seit der Frühgeschichte bekannt, in unserer Gesellschaft aber als Medizin weitestgehend außen vor gelassen worden. Aktuell darf Cannabis nur in sehr engen Grenzen verschrieben werden, erstattet wird der Medizinalhanf nur in wenigen Fällen bei Fertigarzneien. (…)

Nun müssen wir im parlamentarischen Beratungsverfahren klären, an welchen Stellen der Gesetzentwurf noch Schwachstellen aufweist, an welchen Stellen noch Beratungsbedarfe bestehen. Ich will mich im Folgenden auf drei wesentliche Aspekte hierbei beschränken.

Aspekt Therapiefreiheit: Derzeit ist geplant, dass chronisch kranke Menschen, bei denen keine Alternativbehandlung angeschlagen hat, infolge des Gesetzes nun Medizinalhanf beziehen können. Wer es verschrieben bekommen soll, obliegt dem behandelnden Arzt. Allerdings muss dieser, laut dem Entwurf, zunächst dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen nachweisen, dass der Patient tatsächlich austherapiert ist. Konkret bedeutet dies, dass jeder Erkrankte zunächst nachweislich alle Therapiestufen durchlaufen muss. Wir sollten hier nochmals prüfen, ob dies wirklich der einzig machbare Weg ist.

Aspekt Kostenerstattung: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen, wie soeben beschrieben, prüft, ob der Patient austherapiert ist und infolgedessen die Kosten für Medizinalhanf erstattet bekommt. Auch hier wäre im parlamentarischen Verfahren zu prüfen, welche Auswirkungen diese Regelung haben könnte.

Aspekt Verkehrstüchtigkeit: Im Gesetzentwurf lässt sich noch keine Regelung bezüglich der Fahrtüchtigkeit von Patienten, die Cannabisblüten verordnet bekommen haben, finden. Es ist interessant, wie hier verfahren werden soll. Nichtdestotrotz weist dieses Gesetzesvorhaben eindeutig in die richtige Richtung. Es greift die juristische und vor allem auch die medizinische Notwendigkeit zum Handeln auf. (…)

Hilde Mattheis (SPD)

Mit dem vorliegenden Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften wird die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln hergestellt. Damit helfen wir Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, für die es keine Therapiealternative gibt. Sie leiden unter schweren Schmerzen durch Krankheiten wie multiple Sklerose, epileptische Anfälle oder seltene andere Nervenerkrankungen. Arzneimittel auf Cannabisbasis können diesen Patientinnen und Patienten Linderung verschaffen. Derzeit verfügen 779 Patientinnen und Patienten über eine Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes zum Erwerb von Cannabis zur Anwendung im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleiteten Selbsttherapie.

Allerdings müssen sie bislang die Kosten dafür selbst tragen; es gibt bisher keinen generellen Erstattungsanspruch gegenüber der Krankenkasse. Im Durchschnitt fallen monatliche Kosten von 540 Euro an, bei einigen Patientinnen und Patienten können es jedoch bis zu 1800 Euro im Monat sein. Neben dieser Kostenbelastung plagt diesen Personenkreis die ständige Befürchtung, dass ihr Medikament nicht beschafft werden kann. Häufig treten Lieferengpässe auf, eine kontinuierliche Versorgung kann nicht immer gewährleistet werden. Für die betroffenen Menschen sind diese Umstände fatal. Lassen Sie mich das Schicksal dieser Betroffenen an einem Beispiel aus meinem Nachbarwahlkreis in Bayern schildern.

Der junge Mann leidet an einer unheilbaren seltenen Nervenkrankheit, ist ständigen Schmerzen ausgesetzt. Er ist auf ein schmerzlinderndes Medikament angewiesen. Ausschließlich ein Medikament auf Cannabisbasis hilft. Alle anderen Medikamente wie zum Beispiel Morphium helfen kaum oder gar nicht und sind mit unzumutbaren Nebenwirkungen wie einer dramatischen Gewichtsabnahme verbunden. Es ist für diesen Menschen wie für alle anderen in vergleichbarer Situation eine echte Steigerung der Lebensqualität, wenn er einigermaßen schmerzfrei leben kann. Dieser junge Mann hat versucht, seine Versorgungssicherheit durch den Eigenanbau von Cannabispflanzen zu erreichen. Er ist vor einigen Wochen rechtskräftig wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelstrafrecht verurteilt worden. (...)

Frank Tempel (DIE LINKE)

Opposition und Patienten erkämpfen Verbesserungen bei Cannabismedizin. Grundsätzlich sind die von der Bundesregierung angestrebten Änderungen zur medizinischen Versorgung mit Cannabis richtig. Sie bedeuten eine Erleichterung für viele schwerstkranke Menschen. Ganz entschieden muss ich jedoch dem Eindruck widersprechen, die Bundesregierung hätte zum Wohl der Patientinnen und Patienten gehandelt. Das hat sie ausdrücklich nicht. Ganz im Gegenteil: Über Jahre hat die Bundesregierung die medizinische Versorgung mit Cannabis aus ideologischen Gründen verhindert. Man muss sich das vor Augen halten: Ein an multipler Sklerose schwersterkrankter Patient muss sich trotz seiner Krankheit über Jahre hinweg durch alle Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht klagen. Erst dann bekommt er das Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung zugesprochen. Das war im Mai dieses Jahres. Und weil die Krankenkassen kein Cannabis erstatten, bekommt er sogar das Recht auf Eigenanbau zugesprochen. Erst verweigert ihm die Politik jede Hilfe. Dann ist sie nicht mal in der Lage, die Patienten ausreichend mit einem Medikament zu versorgen. Das ist komplette Politikverweigerung auf dem Rücken kranker Menschen. Erst als sich eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten ihr Recht vor den Gerichten auf eine angemessene medizinische Versorgung erstreiten mussten, sah sich die Bundesregierung zum Handeln genötigt. Und auch hierbei ließ sie sich jede Menge Zeit.

Zur Erinnerung: Bereits im Februar 2015 versprach die Bundesdrogenbeauftragte die Kostenübernahme von Cannabis durch die Krankenkassen ab dem Jahr 2016. Doch der Kabinettsbeschluss ließ bis Mai dieses Jahres auf sich warten. Auf meine Nachfrage konnte die Bundesregierung nicht mal die sachlichen Gründe für die Verzögerung benennen. Auch das ist eine Form der Politikverweigerung. In der Zwischenzeit schrieben mir verzweifelte Menschen, denen die Bundesregierung ihre lebensnotwendige Medizin vorenthielt. Diese Menschen konnten sich die teure Cannabismedizin schlichtweg nicht leisten. Ihnen blieben nur zwei schlechte Möglichkeiten: entweder die Inkaufnahme der unerträglichen Schmerzen oder die Gefahr der Kriminalisierung durch die verbotene Versorgung über den Schwarzmarkt. Doch zum Glück hat Die Linke ihre Aufgabe als Oppositionsführerin erfüllt: Erst als der Bundesrat auf Initiative Thüringens unter dem Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow im letzten Jahr Druck machte, kam der Kabinettsbeschluss der Bundesregierung zustande.

Erst als wir unseren Antrag zur medizinischen Verwendung von Cannabis im Bundestag eingebracht haben, kam Bewegung ins Spiel. Sie von der Unionsfraktion lesen unsere Anträge nicht, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitsministerium tun das offensichtlich schon. Und offensichtlich hielten sie unsere Kernforderungen für so richtig, dass sie diese einfach übernommen haben: Dazu zählen zum Beispiel: die Kostenerstattung von Cannabismedizin durch die Krankenkassen, die Möglichkeit, Cannabismedizin auch im Urlaub im EU-Ausland mitführen zu dürfen, und dazu zählt die Einrichtung einer Cannabisagentur. Das ist tatsächlich ein Meilenstein: Nur mithilfe dieser Agentur kann in Deutschland überhaupt auf legalem Weg Cannabis zu medizinischen Zwecken angebaut werden. Und nur so lassen sich die Lieferengpässe in der Versorgung vermeiden, welche Die Linke mit einer Kleinen Anfrage aufgedeckt hat. Auch wenn die erkämpften Verbesserungen jetzt auf den Weg gebracht werden, an Ihrer Verweigerungshaltung hat sich nichts verändert. Regelmäßig haben Sie die Anträge meiner Fraktion in den Haushaltsberatungen abgelehnt. Darin wollten wir die Forschung für Cannabismedizin ausbauen. Nun fehlen die entsprechenden Studien. Und auch diesen Mangel müssen nun die Patientinnen und Patienten ausbaden. (…)

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Die Bundesregierung hat sich viel Zeit gelassen, um endlich zu erkennen, dass die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, nicht länger ignoriert werden können. Ich setze mich bereits seit fast zehn Jahren dafür ein, dass der Zugang zu Cannabis als Medizin für betroffene Patientinnen und Patienten auch in Deutschland endlich ermöglicht wird.

Denn Fakt ist: Deutschland hinkt mächtig hinterher und hat schwerkranken Patientinnen und Patienten jahrelang dicke Steine in den Weg gelegt. In mehreren US-Bundesstaaten, in Kanada, den Niederlanden und Israel ist die medizinische Verwendung von Cannabis längst möglich. In anderen Ländern wie Spanien oder Belgien müssen Patientinnen und Patienten, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind, keine Strafverfolgung fürchten. Patientinnen und Patienten, die aus medizinischen Gründen auf Cannabis angewiesen sind, leiden unter schweren chronischen Erkrankungen, die teilweise tödlich verlaufen. Standardtherapien haben bei betroffenen Patientinnen und Patienten entweder versagt oder gehen mit so starken Nebenwirkungen einher, dass der gesundheitliche Zustand verschlechtert wird. Patientinnen und Patienten, denen Cannabis hilft, wurden erfolglos therapiert und finden Linderung ihrer Symptome nur in der Behandlung mit cannabishaltigen Medikamenten oder getrockneten Cannabisblüten. Die Cannabistherapie bedeutet bessere Lebensqualität. Schon aus moralischen Gründen darf schwer erkrankten Patientinnen und Patienten ohne Behandlungsalternativen eine adäquate Therapie mit Cannabis nicht verweigert werden. Das wird auch durch mehrere Gerichtsbeschlüsse deutlich.

Darüber hinaus stellt sich jedoch auch die Frage der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung. Denn betroffenen Patientinnen und Patienten steht, bis auf wenige Ausnahmen, keine Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu. Cannabis-Patientinnen und -Patienten leiden nicht nur an ihrer Erkrankung, sondern werden im Falle der mühsam erwirkten Ausnahmegenehmigung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit den enormen Behandlungskosten von bis zu 1500 Euro im Monat konfrontiert.

Das übersteigt in vielen Fällen die finanziellen Möglichkeiten der häufig arbeitsunfähigen Patientinnen und Patienten. Wer die hohen Kosten nicht selbst aufbringen kann, um Medizinalhanf in der Apotheke zu beziehen, sieht sich gezwungen, das günstigere, aber unkontrollierte und verunreinigte Cannabis vom Schwarzmarkt zu beziehen oder Cannabis selbst anzubauen. Die Folge sind Strafverfahren, die nur unter der Auflage eingestellt werden, zukünftig kein Cannabis mehr zu konsumieren.

Da viele Patientinnen und Patienten auf eine regelmäßige Einnahme von Cannabis angewiesen sind, werden sie zudem als Wiederholungstäterinnen und -täter oder wegen des Besitzes nicht geringer Mengen zu empfindlichen Geld- oder Haftstrafen verurteilt. Damit werden ausgerechnet jene Menschen der Strafverfolgung ausgesetzt, die aufgrund ihrer teilweise schweren Erkrankung ohnehin körperlich und seelisch erheblich belastet sind. Darum habe ich bereits 2007 gefordert, dass die strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, besitzen oder an- bauen, beendet wird. Des Weiteren habe ich mich dafür eingesetzt, dass arzneimittelrechtlich zugelassene Cannabisextrakte wie Dronabinol verschreibungsfähig werden. Die damalige Regierungskoalition von Union und SPD ignorierte die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten und sah keinen Handlungsbedarf. 2011 forderten wir Grünen die Bundesregierung erneut auf, den straffreien Zugang zu Cannabis als Medizin für Patientinnen und Patienten, die Cannabis auf ärztliche Empfehlung hin nutzen, zu ermöglichen. (…)

Presseschau: Bundestag berät über Cannabis als Medizin (Deutsches Ärzteblatt)

Das Deutsche Ärzteblatt berichtet über den Beschluss vom 7. Juli im Deutschen Bundestag.

Bundestag berät über Cannabis als Medizin

Der Bundestag hat Ende letzter Woche den Gesetzentwurf zur Änderung betäubungs¬mittel-rechtlicher und anderer Vorschriften in erster Lesung beraten. Der Entwurf sieht vor, dass bestimmte Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen im Einzelfall Cannabis als Therapiealternative nutzen können.

„Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Kran¬kenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann“, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). So könnten Cannabisarzneimittel zum Beispiel in der Schmerztherapie bei bestimmten chronischen Erkrankungen oder im Verlauf einer Krebsbehandlung mit Chemotherapie bei schwerer Appetitlosigkeit und Übel¬keit sinnvoll zur Linderung der Beschwerden eingesetzt werden.

„Wem Cannabis wirklich hilft, der soll Cannabis auch bekommen können, in qualitätsge¬sicherter Form und mit einer Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen“, erklärte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU). Sie appellierte an alle Beteiligten, den Gesetzentwurf „Cannabis als Medizin“ sachlich und zielorientiert zu diskutieren und ihn schnell zu verabschieden. „Bei allem ist mir aber eines wichtig: Can¬nabis als Medizin ja, Cannabis zum Freizeitkonsum nein. Selbst die besten Arzneimittel sind keine geeigneten Genussmittel“, so die Drogenbeauftragte.

Der Gesetzentwurf sieht im Detail Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Geplant ist, die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln auf Cannabisbasis in der gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern, die bislang grundsätzlich auf zuge¬lasse¬ne Fertigarzneimittel im jeweils zugelassenen Anwendungsgebiet begrenzt war. Das be¬zieht sich vor allem auf Cannabis in Form getrockneter Blüten. Zukünftig soll in Deutsch¬land zudem ein staatlich überwachter Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken erfolgen können, um die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in kontrollierter Qualität zu ermöglichen. Die damit verbundenen Aufgaben übernimmt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als staatliche „Cannabisagentur“.

Die Bundesärztekammer (BÄK) und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte¬schaft (AkdÄ) haben grundsätzlich das Vorhaben des Bundesministeriums für Gesund¬heit begrüßt, eine erweiterte Verordnungsfähigkeit cannabinoidhaltiger Arzneimittel zu schaffen. Eine Verordnungsfähigkeit von Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten lehnen sie jedoch ab. Nach Auffassung von BÄK und AkdÄ ist die Umstufung von Cannabis als Pflanze oder von Pflanzenteilen weder begründet noch erforderlich.

Für den medizinischen Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten fehle es an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz, so die Begründung. Es sei zudem zu berücksichtigen, dass der Gebrauch von Medizinalhanf keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen Kom¬ponenten von Cannabis erlaubt und dessen Gebrauch als Joint mit den gesund¬heit¬lichen Gefahren des Tabakrauchens verbunden ist. BÄK und AkdÄ sehen auch nicht die Notwendigkeit, eine „Cannabisagentur“ zur Kontrolle des Anbaus und Handels einzu¬rich¬ten, da der Nutzen des therapeutischen Einsatzes von Medizinal-Cannabisblüten nicht durch wissenschaftliche Evidenz belegt sei.

Presseschau: Beratung im Bundestag beginnt (Ärzte Zeitung)

Auch die Ärzte Zeitung berichtet über die erste Lesung im Bundestag.

Beratung im Bundestag beginnt

Schwerkranke sollen künftig einfacher mit Cannabis versorgt werden können. Aktuelle Zahlen zeigen, wer davon betroffen ist.

An diesem Donnerstag beginnt die parlamentarische Beratung des Gesetzentwurfs, der mehr Schwerkranken eine Versorgung mit Cannabis ermöglichen soll. Durch Änderungen im SGB V sieht er die Verschreibungs- und Erstattungsfähigkeit von Cannabis sowie die Schaffung einer Cannabis-Agentur zur Koordination von Anbau und Vertrieb vor, um den Eigenanbau zu verhindern.

Vor der ersten Lesung im Bundestag warnte Burkhard Blienert, drogenpolitischer Berichterstatter der SPD-Fraktion, dass keine Versorgungslücken oder Erstattungsprobleme drohen dürften. "Zudem muss der Arzt vollkommene Therapiefreiheit erhalten." Knackpunkte könnten laut Blienert die Bedingungen für die Erstattungsfähigkeit sein. Hier dürfe es "keine absurden Schranken" geben.Zurzeit dürfen Patienten nur in Ausnahmefällen cannabishaltige Medikamente verschrieben bekommen und sie müssen die Kosten für die Therapie meist selbst tragen. Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion schreibt, hatten im Juni dieses Jahres 779 Patienten eine entsprechende Ausnahmegenehmigung des BfArM. Die Kosten für den monatlichen Bedarf an Cannabisblüten werden auf 540 Euro im Schnitt geschätzt, bei einem besonders hohen Tagesbedarf eines Patienten auf bis zu 1800 Euro.

Von Anfang 2011 bis Mitte Juni 2016 haben nach Angaben der Regierung 1190 Patienten einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis gestellt. Zu den häufigsten betroffenen Krankheitsbildern gehören Schmerz, darunter Spastik bei multipler Sklerose (62 Prozent), ADHS (12 Prozent) und das Tourette-Syndrom (4 Prozent).

Im Mai hatte das Kabinett die Gesetzesänderung verabschiedet.

Presseschau: Gröhe gibt das Hanf frei (DocCheck)

Auch DocCheck berichtet über die Pläne der Bundesregierung.

Gröhe gibt das Hanf frei

Ab 2017 sollen Patienten mit schweren Krankheiten Cannabis-Präparate als Kassenleistung erhalten: ein geschickter Schachzug von Hermann Gröhe, um das BfArM vor weiteren Klagen zu bewahren. Wer von Medizinalhanf profitiert, bleibt umstritten.

Fußballturniere sind bei Politikern beliebt, um strittige Gesetze auf den Weg zu bringen. Sie haben beim Sommermärchen 2006 die Mehrwertsteuer erhöht und bei der Weltmeisterschaft 2010 höheren Krankenkassenbeiträgen den Weg geebnet. Am vergangenen Donnerstag – Tag des Halbfinales Deutschland gegen Frankreich – wiederholte sich das Prozedere: diesmal mit Cannabis zu therapeutischen Zwecken. Im hohen Haus stand ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften auf der Tagesordnung (Drucksachen 18/8965 und 18/6361). Alle Reden der ersten Lesung wurden zu Protokoll gegeben, um Abgeordneten ihren Fußballabend nicht zu verderben .

Gröhe unter Zugzwang

Dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ein aus Unionssicht wenig attraktives Thema forciert, kommt nicht von ungefähr. Für Patienten mit Schmerzen oder Spastiken ist der Leidensdruck groß, sollten etablierte Therapien versagen. Viele hoffen zu Recht oder zu Unrecht auf Cannabis, kämpfen aber mit hohen Hürden.

In Deutschland gibt es Sativex® Spray als einzige Fertigarznei – zum Preis von 597,63 Euro (N1). Dronabinol und Nabilon können laut Betäubungsmittelgesetz (BtMG), Anlage III, verordnet werden. Darüber hinaus haben 779 Patienten spezielle Genehmigunge, um Cannabisblüten oder -extrakte zu erwerben. Für sie ist Paragraph 3 Absatz 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG), relevant. GKVen erstatten die Kosten nicht, was Betroffene vor existenzielle Probleme stellt. Bleiben noch heimische Zuchten als Plan B.

Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig (BVerwG 3 C 10.14) musste das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einem schwer kranken Patienten deshalb erlauben, Cannabis für eigene Zwecke selbst anzubauen. Die Sache begann, aus dem Ruder zu laufen.

Rechtlicher Rundumschlag

Doch Hermann Gröhe hatte eine Idee. „Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann“, erklärte der Bundesgesundheitsminister. Sein Regierungsentwurf sieht Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor, um die Erstattungsfähigkeit auszudehnen, inklusive Cannabis-Blüten.

Als Voraussetzungen nennt die Bundesregierung schwerwiegende Erkrankungen ohne Alternativtherapie sowie Hinweise auf positive Effekte. Gröhe: „Außerdem wollen wir eine Begleiterhebung auf den Weg bringen, um den medizinischen Nutzen genau zu erfassen.“ Er verpflichtet Ärzte, Daten zur Diagnose, Therapie, Dosis und zu Nebenwirkungen dem BfArM anonymisiert weiterzuleiten.

Nehmen Mediziner oder Patienten nicht an der Studie teil, wird auch kein Geld fließen. An diesem Passus stören sich vor allem Vertreter der Länder. Gröhes Gesetz ist jedoch nicht zustimmungspflichtig. Der Bundesgesundheitsminister hofft langfristig auf eine Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA).

Dünne Studienlage

Genau hier liegt die eigentliche Problematik. Durch gesetzliche Hürden war das Interesse von pharmazeutischen Herstellern, nach möglichen Indikationen zu suchen, eher gering. Auch der Anbau unter hohen Sicherheitsvorkehrungen schreckte eher ab.

Kein Wunder, dass mögliche Indikationen derzeit recht überschaubar sind. Eine ältere Übersichtsarbeit nennt vor allem Spastiken bei Multipler Sklerose. Darüber hinaus eignen sich Cannabis und Cannabinoide zur Behandlung von Schmerzen bei Krebs, AIDS oder Neuropathien. Naturstoff-Extrakte aus der Pflanze sollen auch gegen Kachexien, Übelkeit und Erbrechen bei Tumorerkrankungen helfen.

Dem gegenüber stehen negative kognitive Effekte und Psychosen – vor allem bei der Gabe größerer Mengen. Und beim Rauchen von Joints klagten Studienteilnehmer über Zahnfleischprobleme. Alle Studien zu unerwünschten Effekten haben ihre Schwachstellen. Sie schließen Konsumenten ein, die Hanfprodukte in hoher Dosis als Rauschmittel einsetzen. Auch die Galenik spielt eine entscheidende Rolle.

Bionorica wagte trotz aller Widrigkeiten den Schritt mit Kachexol®, einem Dronabinol-haltigen Fertigarzneimittel für Krebs- und AIDS-Patienten, scheiterte aber bei der Zulassung. Professor Dr. Michael Popp, Vorstandsvorsitzender bei Bionorica, erklärte gegenüber der Wirtschaftswoche, das BfArM verlange umfangreiche Studien an Patienten. Sein Unternehmen hatte lediglich eine vergleichbare Wirkung von Kachexol zum identischen US-Präparat Marinol belegt. Jetzt muss das Verwaltungsgericht Köln entscheiden. Zeitgleich führt Popp neue Untersuchungen durch, was drei bis vier Jahre dauern kann.

Hersteller in Lauerstellung

Neue Zulassungen und einfachere Möglichkeiten der Abgabe bleiben nicht ohne Folgen. Experten rechnen mit einem steigenden Bedarf an Medizinalhanf, wobei sich genaue Mengen kaum abschätzen lassen. In Kanada, einem Land mit 36 Millionen Einwohnern, erhalten 60.000 Menschen Cannabis auf Rezept. Damit käme Deutschland rein rechnerisch auf 137.000 Patienten.

Grund genug für Hermann Gröhe, regulatorische Aufgaben an eine staatliche „Cannabisagentur“ am BfArM zu übertragen. Sie soll Aufgabe rund um den Anbau, den Ankauf, die Weitergabe und die Preisgestaltung regeln. Zeitgleich haben Apotheker Monographien für Cannabisblüten, Cannabidiol und Dronabinol veröffentlicht, um Qualitätsstandards zu definieren.

Bis Zulieferbetriebe den Bedarf decken, wird mindestens eine Saison vergehen. DocCheck hat erfahren, dass mehrere pharmazeutische Hersteller bereits jetzt Gespräche mit Betrieben in den Niederlanden aufgenommen haben. Dort wird Medizinalhanf in hoher Qualität seit Jahren angebaut. Kanada bietet ähnlich günstige Voraussetzungen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht beginnt Medizinalhanf, interessant zu werden.

FAQ der Bundesopiumstelle

Das BfArM hat FAQs (Antworten zu häufig gestelten Fragen) zum Thema Cannabis veröffentlicht. Diese enthalten Informationen zu verfügbaren Arzneimitteln auf Cannabisbasis, zur Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis zum Zweck der ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabisprodukten und zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften, der am 04.05.2016 vom Bundeskabinett beschlossen wurde und sich vor allem mit der besseren Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln auf Cannabisbasis befasst.

FAQ Bundesopiumstelle

In der FAQ werden folgende Fragen beantwortet:

- Welche Arzneimittel auf Cannabis-Basis sind derzeit in Deutschland verfügbar?

- Unter welchen Voraussetzungen erteilt das BfArM eine Ausnahmeerlaubnis zum Erwerb von Cannabis?

- Wie viele Patientinnen und Patienten verfügen derzeit über eine solche Ausnahmeerlaubnis?

- In welcher Form wird Cannabis an Patientinnen und Patienten abgegeben?

- Der Gesetzesentwurf sieht die Einrichtung einer so genannten Cannabisagentur vor. Warum muss eine sogenannte Cannabisagentur eingerichtet werden?

- Wo wird die Cannabisagentur angesiedelt?

- Welche Aufgaben hat die Cannabisagentur?

- Der Gesetzentwurf sieht die Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens zum Anbau von Cannabis vor. Wie wird ein solches Ausschreibungsverfahren inhaltlich ausgestaltet sein?

- Können sich jetzt schon Interessenten für das Ausschreibungsverfahren bewerben?

- Wie wird die Qualität des in Deutschland gegebenenfalls in Zukunft angebauten Cannabis zur medizinischen Verwendung sichergestellt?

- Der Gesetzesentwurf sieht die Herstellung der betäubungsmittelrechtlichen Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit für weitere Arzneimittel auf Cannabis-Basis (z.B. getrocknete Medizinal-Cannabisblüten und Cannabisextrakte in Arzneimittelqualität) vor. Welche Folgen ergäben sich hieraus für das bisherige Erlaubnisverfahren?

Presseschau: Cannabis® forte (News Österreich)

Die österreichischen News berichteten über eine Veranstaltung der österreichischen Arbeitsgemeinschat Cannabis als Medizin sowie über die aktuelle Lage zur medizinischen Verwendung von Cannabinoiden in Österreich.

Cannabis® forte

Der Einsatz von Cannabis als Medizin ist noch mit großen Hürden verbunden

Cannabismedizin hilft bei Schmerzen, Depressionen oder Krebs. Doch nur wenige Ärzte verschreiben die teuren Medikamente, die Kosten werden von Krankenkassen selten gedeckt. Manche Patienten helfen sich selbst - auf illegalem Weg.

Ein Hauch von süßlichem Cannabisduft liegt in der Luft. Hat der junge Mann im Rollstuhl Marihuana eingesteckt? Oder das betagte Pärchen gleich daneben? Fast 70 Menschen füllen den Raum, um dem Vortrag "Cannabis als Medizin" des Wiener Arztes Kurt Blaas im ersten Bezirk beizuwohnen. Alle hier setzen Hoffnungen in die heilende Wirkung der Hanfpflanze, mitunter ihre letzten. Blaas handelt den theoretischen Teil in einer Stunde ab, dann dürfen die Anwesenden Fragen stellen. Manche sind weit angereist: einer aus Vorarlberg, ein anderer aus Bulgarien. Hilft Cannabis bei Krebs im Endstadium, hilft es bei beginnendem Alzheimer? Und wenn ja, woher nehmen? Cannabis ist in Österreich als Droge eingestuft, Erwerb, Besitz, Verkauf, Erzeugung und Anbau des Suchtmittels sind illegal und strafbar. Legal sind nur Medikamente auf Cannabisbasis aus der Apotheke. Für diesen Weg steht Allgemeinmediziner Blaas, der mit der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (Arge CAM) um Aufklärung kämpft. "Es werden immer mehr, die sich für das Thema interessieren", sagt er. Um einen Termin zu ergattern, bildet sich eine lange Schlange.

Die Legalisierungsbewegung in den USA hat in den vergangenen zehn Jahren erreicht, dass kranke Menschen in 24 US-Bundesstaaten legal Cannabis konsumieren dürfen. In Israel werden rund 25.000 Patienten mit der Pflanze behandelt, auch in Australien ist Hanf-Hilfe seit Kurzem möglich. In Deutschland sieht ein aktueller Gesetzentwurf vor, dass sich schwer chronisch Kranke auf Kassenrezept mit Medizinalhanf und einer größeren Bandbreite an Arzneimitteln auf Cannabisbasis versorgen dürfen. In Österreich bewegt sich nichts.

Cannabis als Medizin

Cannabismedizin verspricht unter anderem Linderung bei Krebs, chronischem Schmerz, Spastik, Rheuma, Tourette-Syndrom, Epilepsie, Parkinson oder Alzheimer. Positive Wirkungen der Pflanze sind mittels Grundlagenforschungen nachgewiesen, Studien am Menschen gibt es kaum. Das österreichische Gesundheitsministerium hat nicht vor, das angebliche Wundermittel einer näheren Begutachtung zu unterziehen, stellt aber fest: "Die klinische Wirksamkeit von aus Cannabispflanzen gewonnenen Cannabinoiden bei verschiedenen Indikationen gilt als belegt." Zwei der 85 Inhaltsstoffe der Pflanze stehen im Fokus: Cannabidiol (CBD) gilt als antitumorös, antipsychotisch, angstlindernd, entzündungshemmend und nervenschützend. Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt schmerzstillend, entspannend, appetitanregend und angstlösend - es ist aber auch jener Stoff, der berauschend wirkt und Cannabis zur Droge macht. CBD-Produkte sind mit Rezept in der Apotheke erhältlich oder rezeptfrei als Nahrungsergänzungs mittel im Hanfshop. Um das THC-Medikament Dronabinol zu erhalten, benötigt ein Patient ein Suchtmittelrezept, genauso wie für den Sativex-Mundspray, in dem beide Inhaltsstoffe enthalten sind. Je nach Schwere des Krankheitsbilds übernimmt die Krankenkasse die Kosten. "Im Schnitt nur bei 30 Prozent der Patienten, die an sehr schweren Krankheiten leiden", sagt Arzt Blaas. Eine Monatsbehandlung mit Cannabismedikamenten koste zwischen 200 und 400 Euro. Das Medikament Sativex gibt es als Set aus drei Zehn-Milliliter-Fläschchen um 700 Euro.

Ärzte, die Hanfmedizin verschreiben, sind rar. Blaas schätzt ihre Zahl auf maximal zwanzig in ganz Österreich. Der Mediziner behandelt im Jahr rund 500 neue Patienten, 300 bis 400 habe er zusätzlich in dauerhafter Behandlung. Die greifbaren Medikamente hält er für gut, aber nicht für ausreichend. "Was wirkt wohl besser: ein Inhaltsstoff der Pflanze alleine oder alle 85 Inhaltsstoffe zusammen? Natürliches Cannabis wäre am wirkungsvollsten", sagt Blaas. Die getrocknete Blüte verschreiben zu können, wäre sein Wunschtraum.

Bei Mario Danne läutet das Telefon im Halbstundenrhythmus. In einem Ort in Oberösterreich betreibt er nicht nur einen Kräuterladen, von hier operiert er auch als Obmann des Dachverbands der Cannabis Social Clubs. Die Aktivisten versorgen rund 300 kranke Menschen mit Cannabisprodukten, auf unkomplizierte Weise und zum Selbstkostenpreis, wie Danne betont. Legal ist das nicht. Von der Wichtigkeit ihres Tuns überzeugt, wollen sich die Hanf-Helfer trotzdem nicht verstecken. "Wir sind alle selbst Patienten und wollen helfen", sagt Danne. "Wir arbeiten nur mit Menschen, die von der Schulmedizin abgeschrieben wurden."

Den Schwerkranken sei der mühsame Weg zur legalen Medizin, ohne Garantie der Kostenübernahme durch die Kassen, nicht zumutbar. Je nach Diagnose stellen die Club-Experten also Cannabisbutter, -öl oder andere Produkte her, Pflanzensorte und Mischverhältnis von CBD und THC werden individuell auf den Patienten abgestimmt. Danne sagt: "Die Monopräparate aus der Apotheke sind im Vergleich dazu unzureichend."

Erfolgsgeschichten motivieren ihn: Hier der Patient, dessen Tumore sich zurückentwickelten, dort die junge Frau, die zu Kräften kam, nachdem sie von der Chemotherapie abgemagert war. "Cannabis ist kein Allheilmittel", sagt Danne, "wir unterstützen die Schulmedizin, wir ersetzen sie nicht. Wir wollen, dass mündige Bürger selbst entscheiden können, was ihnen guttut." Bis dahin versucht man sich abzusichern. Wer Butter, Öle oder getrocknete Blüten bezieht, muss eine Erklärung unterschreiben, nichts weiterzugeben und sich in einem medizinischen Notstand zu befinden. Die Logik dahinter: "Würden wir dem Patienten nicht helfen, wäre es unterlassene Hilfeleistung."

Dennoch gibt es Rückschläge: Wenn die Polizei blühende Pflanzen findet, konfisziert sie diese und vernichtet sie anschließend. Oft ist es damit getan, selten setzt es Geldstrafen und Führerscheinentzug. Die Legalisierung der Club-Aktivitäten ist ein Ziel der Hanf-Helfer, aber nicht das einzige: Sie kämpfen für das Recht aller Patienten, eigene Pflanzen zu nutzen, planen Workshops für die Weiterverarbeitung der Blüte. Und: "Wir wollen mit dem Ministerium im Rahmen eines Projekts zusammenarbeiten", sagt Danne.

Staatliches Cannabis

Laut österreichischem Suchtmittelgesetz ist der Anbau von Cannabispflanzen zwecks Gewinnung von Suchtgift oder für die Herstellung von Arzneimitteln verboten - eine Ausnahme macht der Staat nur für sich selbst: Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) baut in Wien seit fast sechs Jahren legal Hanf an. Gegen dieses Monopol zieht das Unternehmen Flowery Field derzeit vor den Verfassungsgerichtshof. Bei der Ages werden die Pflanzen unter annähernd natürlichen Bedingungen in Glashäusern großgezogen. "Damit erreichen wir eine sehr hohe Qualität bei relativ günstigen Produktionskosten", sagt Unternehmenssprecher Roland Achatz. Laut Gesundheitsministerium wurden 2014 exakt 98,75 Kilogramm Cannabis für medizinische Zwecke gemeldet. Schwarzmarktwert: eine Million Euro.

Wenn es um die Frage geht, warum der Staat Hanfpflanzen in die Blüte treiben darf, sonst aber niemand, verweist Achatz auf das Suchtmittelgesetz. Achatz sagt: "Wir sind die Hanfbauern, wir erfüllen das Gesetz." Für eine Legalisierungsdebatte ist man hier an der falschen Stelle. Der Qualitätshanf werde, so laute der gesetzliche Auftrag, an all diejenigen Pharmafirmen verkauft, die die dafür nötigen Auflagen erfüllen. Etwa das deutsche Unternehmen Bionorica, das zum Beispiel das THC-Medikament Dronabinol erzeugt. Aber nicht alles, was aus dem Wiener Cannabis produziert wird, ist auch in Österreich zugelassen.

Während bei der Ages eine Besichtigung der Plantage nicht möglich ist, präsentiert Willi Wallner aus Henndorf die seine mit Stolz. 64 Pflanzen zieht er unter Kunstlicht groß. Das ist an sich erlaubt, Setzlinge und Equipment können in Hanfläden erworben werden. Verboten ist nur, die Blüten abzuschneiden, weil deren THC-Gehalt den erlaubten Wert von 0,3 Prozent überschreitet. Doch genau das hat Wallner vor. Die Ernte der vergangenen Tage trocknet bereits und wird alsbald verarbeitet. Was sich hinter den Mauern seines Häuschens tue, sei im Ort bekannt, sagt das Oberhaupt des Cannabis Social Clubs Salzburg. Mit den Nachbarn gäbe es keine Probleme, nur wenn ihm die Polizei die Pflanzen abschneide, komme es zu Engpässen bei der Versorgung der Patienten. Im Moment, sagt Wallner, sei Ruhe. "Ich habe offiziell im Namen des Clubs vor einem Jahr bei verschiedenen Behörden um eine Ausnahmegenehmigung für die Blüte angesucht, unter anderem bei der Gesundheitsministerin. Nie kam eine Rückmeldung. Mein Anwalt sagt, wir sind inzwischen im Status der Duldung."

Dass die österreichische Gesetzgebung zum Umdenken bewegt werden kann, scheint vorerst ausgeschlossen - noch dazu ziehen die Aktivisten nicht an einem Hanf-Strang. Die einen wollen den kontrollierten Bezug über die Apotheke, die anderen die Legalisierung. Gemeinsam ist ihnen das Unverständnis, ein Naturheilmittel nicht in seinem gesamten Spektrum für medizinische Zwecke nutzen zu dürfen - und die Hoffnung auf ein grünes Wunder.

Presseschau: Cannabis-Patienten beschweren sich über Polizei (Schwetzinger Zeitung)

Auf der Webseite der Schwetzinger Zeitung wurde über einen Vorfall berichtet, bei dem Cannabis-Patienten von der Polizei mit rechtlichen Maßnahmen bedroht wurden. Die Patienten wehrten sich mit einer Gegendarstellung.

Cannabis-Patienten beschweren sich über Polizei

In den Medien gibt es beinahe täglich Berichte über den Missbrauch von Betäubungsmitteln (BTM). Weniger bekannt dürfte die Tatsache sein, dass seit 2007 einige Menschen legal Cannabis-Blüten in Apotheken erwerben und entsprechend konsumieren dürfen. Zwei dieser Cannabis-Patienten (beide verfügen über eine Ausnahme-Erlaubnis) wurden am Montag in der Schwetzinger Fußgängerzone dabei "erwischt", wie sie vor dem Lutherhaus ihr medizinisches Cannabis mittels einer Wasserpfeife zu sich nahmen (wir berichteten). Nun hat die Polizei ein Strafverfahren eingeleitet wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Zwei Ordnungswidrigkeiten sind ebenfalls dabei, zum einen wegen Verdacht des Verstoßes gegen die Polizeiverordnung sowie wegen Radfahrens unter BTM-Einfluss.

Timo B. und Herrmann R. meldeten sich bei unserer Zeitung, um ihre Sicht der Geschichte zu erzählen: "Es geht mir nicht darum, dass wir kontrolliert wurden, sondern, dass man uns wie Schwerverbrecher behandelt hat. Wir sind Cannabis-Patienten und dürfen unsere Medizin überall konsumieren. Ein Gutachten der Rechtsmedizin besagt zudem, dass wir - richtig eingestellt - auch fahrtauglich sind", sagt Timo B. im Gespräch mit unserer Zeitung. "Ich habe nicht verstanden, was das Ganze sollte. Wir haben beim Konsumieren niemanden belästigt und darauf geachtet, dass keine Kinder in der Nähe sind", merkt der Oftersheimer Herrmann R. an.

Seit einigen Jahren konsumieren die beiden Kurpfälzer medizinisches Cannabis aufgrund schwerer körperlicher Schmerzen: "Zudem macht es uns ruhiger und konzentrierter", erklärt Timo B. aus Hockenheim. Warum die Polizei sein mitgeführtes Cannabis konfiszierte (damit verbunden das Strafverfahren), darüber möchte der 41-Jährige nicht viel sagen: "Meine Medizin kostet knapp 1700 Euro im Monat, das ist eine Menge Geld", verrät er und wechselt dann das Thema: "Ich möchte bewusst in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass es Menschen gibt, für die Cannabis eine Medizin ist, die mehrmals täglich eingenommen werden muss".

Doch darf man, auch wenn eine Ausnahme-Erlaubnis vorliegt, Drogen in der Öffentlichkeit zu sich nehmen? Die Antwort von Manfred Zipper, Anwalt für Strafrecht, ist eindeutig: "Nein, das ist nicht erlaubt! Zumindest nicht in Schwetzingen - auch nicht, wenn eine Ausnahmegenehmigung vorliegt. Die Tat kann allerdings nur polizeirechtlich, also präventiv, und nicht strafrechtlich verfolgt werden".

Ein Polizist habe demnach das Recht, dem jeweiligen "Täter" das Konsumieren in der Öffentlichkeit zu verbieten, da es Mitbürger und vor allem Kinder schaden könnte, und ihn des Platzes zu verweisen. Jede Stadt habe eine eigene Polizeiverordnung, in der solche Dinge geregelt sind. Auf der Homepage des Ordnungsamtes gibt es die Polizeiverordnung als Pdf-Datei. Darin steht geschrieben: "Ordnungswidrig handelt, wer entgegen Paragraf 18 Absatz 1 Nr. 5 Betäubungsmittel öffentlich konsumiert".

"Das Fahren mit dem Fahrrad unter Einfluss von BTM ist auch nicht erlaubt, außer es liegt ein fachärztliches Gutachten vor", weiß Manfred Zipper. Dieses können Timo B. und Herrmann R. jedoch vorweisen: "Unbehandelt wäre Herr B. gegebenenfalls nicht in der Lage, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Leistungseinbußen oder Nebenwirkungen mit verkehrsrelevanten Auswirkungen liegen nicht vor", so ein Auszug aus dem Gutachten.

Verfahren eingeleitet

Die Polizei selbst darf nur wenig Auskunft geben: "Da es sich auch um ein laufendes Verfahren handelt, kann die Polizei keine genauen Angaben machen. Personen, die in der Öffentlichkeit Drogen konsumieren möchten, sollten sich vorab bei einem Diplom-Juristen über die Verordnung der jeweiligen Stadt oder Gemeinde informieren. Das Verfahren ist nun Sache der Staatsanwaltschaft", sagt Thomas Habermehl, Pressesprecher der Polizei Mannheim.

Beim Gespräch mit unserer Zeitung zeigt uns Timo B. seine Erlaubnis, die in Ausnahmefällen (nach Paragraf 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetztes) ausgestellt wird und, die er stets bei sich tragen muss. Darin steht geschrieben, dass er Medizinal-Cannabisblüten erwerben darf, jedoch nur aus einer einzigen Apotheke, die namentlich mit Adresse genannt ist. "Cannabis ist Medizin, es ist mein Recht, diese einzunehmen", sagt Timo B. abschließend, der gespannt ist, wie das Verfahren gegen ihn ausgehen wird.

Presseschau: So wirkt Cannabis als Medikament (Augsburger Allgemeine)

Die Augsburger Allgemeine berichtete über die Wirkungsweise von Cannabinoiden.

So wirkt Cannabis als Medikament

Wer Cannabis als Medikament konsumiert, möchte seine Schmerzen lindern. Es kann gegen Epilepsie, Muskelkrämpfe oder Ängstlichkeit helfen. Über Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen.

Cannabis als Medikament gegen Schmerzen hat eine lange Geschichte. Es kann Patienten mit Epilepsie, multipler Sklerose oder Ängstlichkeit helfen, mit „Kiffen“ hat das dann nichts zu tun. Beat Lutz ist Professor für Physiologische Chemie an der Uni Mainz, seit 1997 erforscht er das Endocannabinoid-System. Ein Interview über Cannabis als Medikament, den Nutzen und die Risiken.

Cannabis wird gerne als eher harmloses Arzneimittel beschrieben. Stimmen Sie zu?

Lutz: Die Frage ist, wie wir „harmlos“ definieren. Die Toxizität, also Giftigkeit, von Cannabis ist sicher gering. Man kann dadurch eigentlich nicht sterben. Das ist bei Opiaten ganz anders. Trotzdem hat Cannabis natürlich ganz klar Nebenwirkungen. Es kommt auch darauf an, wem man die Substanz verabreicht – ob das Kinder, Jugendliche oder erwachsene Personen sind. Wir wissen zum Beispiel, dass Cannabis während der Entwicklung des Gehirns sehr, sehr schädlich ist. Außerdem spielt die Dosis eine Rolle. Bei dem Medikament Sativex, ein Spray mit Cannabis-Extrakten, das man unter die Zunge sprüht, erreichen wir ziemlich geringe Dosen des Wirkstoffs THC, der maßgeblich für die berauschende, aber auch für die therapeutische Wirkung verantwortlich ist. Auch das Nebenwirkungsspektrum ist da sicherlich gering. Trotzdem würde ich Cannabis nie als „harmlos“ bezeichnen.

Welchen Stellenwert hat Cannabis in der Medizin? Ist es wirklich ein unersetzliches Medikament?

Lutz: Unersetzlich ist nicht das richtige Wort, aber Cannabis hat durchaus einen Stellenwert. Wir haben eine Substanz, die in gewissen Fällen besser wirken kann als das, was auf dem Markt ist. Es gibt Anwendungsgebiete, bei denen andere Medikamente einfach nicht richtig helfen, etwa bei der Schmerztherapie oder bei Epilepsie. Nicht jede Person spricht übrigens gleich gut auf Cannabis an. Da sind sehr große Spektren bekannt. Deshalb muss man genau beobachten, wie ein Patient reagiert.

Cannabis kann auch bei Muskelrämpfen, Epilepsie oder Ängstlichkeit helfen

Es gibt bestimmte Patienten, die von einer Cannabis-Therapie profitieren?

Lutz: Ja. Nicht umsonst gibt es viele Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn, die zur Linderung der Symptome Cannabis nehmen. Das ist nicht Jux und Tollerei, weil die Patienten high sein wollen, sondern weil die Substanz so gut wirkt.

Bei welchen Krankheiten kann Cannabis sonst noch helfen?

Lutz: Es wirkt auch bei Spastiken, also schmerzhaften Muskelkrämpfen, die bei multipler Sklerose auftreten können, und überhaupt gegen Schmerzen. Daneben gibt es sicher viele spezielle Erkrankungen, bei denen der eine oder andere Patient Cannabis ausprobiert und gute Effekte festgestellt hat, zum Beispiel bei Epilepsie oder Ängstlichkeit. Aber gerade bei Ängstlichkeit muss man auch sehr aufpassen. Wenn die Dosis nicht stimmt, haben wir ein Problem.

Kann die angstlösende Wirkung von Cannabis ins Gegenteil umschlagen?

Lutz: Ja, genau, das ist die Gefahr.

Die Wirksamkeit von Cannabis zu beweisen ist schwierig

Sind die Effekte von Cannabis für die Bereiche, die Sie genannt haben, belegt?

Lutz: Für Sativex gibt es Studien über die Wirksamkeit bei MS-Patienten. Das ist durchaus positiv zu bewerten.

Stimmt es, dass es nur wenige gute, große Studien gibt, die die Wirksamkeit von Cannabis beweisen?

Lutz: Ja. Das hat verschiedene Gründe. Weil Cannabis psychotrop wirkt, also die Psyche beeinflusst, ist es schwierig, Patienten für Studien zu rekrutieren. Diese Erfahrung hatte ich vor Jahren selbst gemacht, als wir in einer Zusammenarbeit mit einem Gastroenterologen eine klinische Studie mit Cannabis entwerfen wollten. Da kommt man an ganz große Hürden, weil man zum Beispiel berücksichtigen muss, dass die Leute unter Cannabis-Einfluss nicht Auto fahren dürfen oder keine Maschinen am Arbeitsplatz bedienen dürfen. Es ist auch schwierig, den Patienten Cannabis überhaupt zu verabreichen. Sie sollen ja nicht rauchen, weil das schlecht für die Lunge ist. Das ist alles sehr kompliziert. Abgesehen davon ist die Pharmaindustrie nicht an einer Finanzierung interessiert, weil man THC nicht mehr patentieren lassen kann. Große Gewinne lassen sich damit also nicht machen.

Sie sind trotzdem von der Wirksamkeit überzeugt?

Lutz: Diese Substanz hat 5000 Jahre Geschichte. Da kriegt man Sachen heraus, die einfach stimmen. Man weiß schon so lange, dass Cannabis gegen Spastik, gegen Schmerz, gegen Unruhe wirkt. Und wir wissen inzwischen auch, was die Wirkmechanismen sind. Und trotzdem können wir das nicht wirklich in die Klinik umsetzen, weil die Reserviertheit groß ist.

Warum?

Lutz: Ärzte können ja nicht einfach Cannabis verschreiben. Die haben ein Problem mit der Krankenkasse. Aber das wird sich im kommenden Jahr durch das neue Gesetz, durch das schwerkranke Patienten Cannabis auf Kassenrezept bekommen können, wohl ändern.

Begrüßen Sie das neue Gesetz also?

Lutz: Ja. Ich sehe Cannabis nicht als Wundermittel, aber es ist eine Substanz, die für gewisse Patienten sehr gut ist. Davon bin ich überzeugt.

Worauf beruhen die wesentlichen Effekte von Cannabis, die für die Medizin von Bedeutung sind?

Lutz: Die meisten dieser Wirkungen gehen auf die psychotrope Substanz THC zurück. Sie dockt an die Cannabinoid-Rezeptoren in den Zellen, CB1 und CB2, an. THC stimuliert die CB1-Rezeptoren, die sich vor allem in den Nervenzellen befinden. Dadurch werden die wesentlichen Wirkungen vermittelt. Daneben aktiviert THC auch den CB2-Rezeptor, der vor allem in den Immunzellen vorkommt und daher wahrscheinlich etwas mit Entzündungen zu tun hat. Cannabis enthält über 60 verschiedene Cannabinoide. Dazu gehört auch Cannabidiol, das wahrscheinlich ebenfalls Entzündungen hemmt und außerdem eine anti-psychotische Wirkung hat.

Cannabis beeinträchtigt die Entwicklung des Gehirns

Cannabis, sagt man, könne Psychosen auslösen. Trotzdem enthält es Stoffe, die Psychosen verhindern können?

Lutz: Ja, Cannabidiol wirkt nicht über den CB1-Rezeptor, sondern über andere Mechanismen, die nicht ganz so gut verstanden sind. Es stemmt sich ein bisschen den schlechten Wirkungen von THC entgegen. Das zeigt, dass man wissen sollte, was in Cannabis steckt. Ist es eine neue Sorte mit 15 Prozent THC? Oder enthält sie nur fünf Prozent? Deshalb ist es wichtig, dass man standardisierte Extrakte herstellt.

Cannabinoide lassen sich auch synthetisch erstellen. Ließe sich so ein Arzneimittel entwickeln, das optimale Eigenschaften besitzt?

Lutz: Es gibt verschiedene Ansätze, das körpereigene Endocannabinoid-System zu beeinflussen. Darum ging es auch bei dem Schmerzmittel, das kürzlich in Frankreich in einer Studie getestet wurde und die wegen tragischer Komplikationen abgebrochen werden musste. Für mich ist es unerklärlich, wie es dazu kommen konnte. Ansonsten kann man die Rezeptoren auch durch sogenannte allosterische Modulatoren beeinflussen. Sie bewirken, dass die Rezeptoren stärker oder schwächer auf körpereigene Stoffe reagieren.

Von Dauerkonsumenten heißt es mitunter, sie würden sich das „Hirn wegkiffen“. Schädigt Cannabis in hohen Dosen das Gehirn?

Lutz: Das hängt auch vom Alter ab. Wenn ich unter 22 bin und ständig Cannabis rauche, habe ich ein größeres Risiko, an Schizophrenie zu erkranken. Cannabis beeinträchtigt die Entwicklung des Gehirns, die erst mit etwa 21 Jahren abgeschlossen ist. THC verändert das ganze „Hard-Wiring“ im Gehirn, also die Verdrahtung – das ist wie bei einem Computer. Dadurch kann es bleibende Schäden geben. Patienten geht es aber nicht darum, sich das Hirn wegzukiffen. Sie wollen kein „High“ haben, sondern ihren Schmerz lindern. Ihr Umgang mit dem Stoff ist sehr vernünftig.

Lutz: Cannabis kann auch schädliche Effekte haben

Es ist also ein großer Unterschied, ob man Cannabis als Medikament oder als Genussmittel konsumiert?

Lutz: Ja, das ist ein ganz anderes Thema. Die gesunde Person konsumiert Cannabis als Genussmittel und nimmt damit die unerwünschten Nebenwirkungen in Kauf. Es macht aber keinen Sinn, ein Arzneimittel zu nehmen, wenn man gesund ist.

Cannabis als weiche Droge betrachtet: Kann schon ein einziger Joint schaden?

Lutz: Das weiß ich nicht, aber die Null-Dosis ist auf jeden Fall die beste. Ich bin gar kein Befürworter der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel.

Warum?

Lutz: Weil ich denke, dass Cannabis durchaus schädliche Effekte haben kann. Wenn ich etwas legalisiere, dann meinen natürlich die jungen Menschen, dass es harmlos ist. Und das wäre ein verheerendes Signal. Wie gefährlich die Freigabe ist, hat man in den USA gesehen. Seit der Legalisierung in manchen Staaten gibt es dort viel mehr Fälle von Psychosen. Dass Alkohol und Nikotin ebenfalls schädlich sind, ist kein Argument, Cannabis zu legalisieren.

Presseschau: Cannabis tötet Krebszellen (Bunte)

Die Bunte berichtete darüber, dass Cannabinoide das Krebswachstum hemmen können.

Cannabis tötet Krebszellen

Viele Krebspatienten schwören auf die positive Wirkung von Cannabis. Jetzt haben Forscher herausgefunden, dass das Rauschmittel Tumorzellen sogar zerstören kann.

Krebspatienten die während der Behandlung unter Schmerzen und Appetitlosigkeit leiden, greifen immer häufiger zum Cannabis. Denn es wirkt nicht nur schmerzhemmend, sondern auch appetitsteigernd und hilft so den Patienten bei einer kräftezehrenden Chemotherapie. Das amerikanische Gesundheitsministerium hat auf seiner Webseite nun offiziell bestätigt, dass der Konsum von Cannabis sogar die Heilung von Krebs positiv beeinflussen kann.

Cannabis tötet Tumorzellen

Unter Laborbedingungen konnten Forscher jetzt feststellen, dass Cannabis Krebszellen abtötet. Zwar wurden die entsprechenden Tests bisher nur an Mäusen durchgeführt, doch vor allem bei Leber- und Brustkrebs seien die Ergebnis vielversprechend. Cannabis konnte außerdem eine entzündungshemmende Wirkung nachgewiesen werden, außerdem soll es Muskelkrämpfe lösen. Damit könnte es sich auch für die Behandlung der Nervenerkrankung Multiple Sklerose qualifizieren.

In Deutschland ist Cannabis als Medikament umstritten, doch immer mehr Politiker fordern inzwischen eine Legalisierung der pflanzlichen Droge. Erst kürzlich fällte das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil, das in dieser Angelegenheit richtungsweisend ist: Chronisch Kranke können ab sofort unter bestimmten VoraussetzungenCannabis zu Hause anbauen. Sollte sich nun herausstellen, dass der Konsum auch bei Menschen böse Tumorzellen abtötet, könnte es in Zukunft vielleicht noch leichter werden, das alternative Medikament zu erwerben.

Presseschau: Kommen Drogen als Psychotherapie infrage? (Apotheken-Umschau)

Neben Benzodiazepinen, Neuroleptika, Cannabinoiden, Opiaten und Amfetaminderivaten kommen möglicherweise noch weitere psychotrope Substanzen wie beispielsweise MDMA für einen therapeutischen Einsatz in Frage. Darüber berichtet die Apotheken-Umschau.

Kommen Drogen als Psychotherapie infrage?

Wissenschaftler testen, ob LSD oder der Ecstasy-Inhaltsstoff MDMA bei bestimmten seelischen Leiden helfen. Mit positiven Resultaten

Die Substanz löst beim Konsumenten unter anderem einen Anstieg des als "Glückshormon" bekannten Botenstoffs Serotonin und des "Kuschelhormons" Oxytocin aus. Die guten Folgen in der Psychotherapie: Die Patienten haben weniger Angst, und ihre Beziehung zum Therapeuten wird enger. "Die Menschen kommen in einen positiven emotional-mentalen Zustand. Sie können sich viel besser mit ihren Traumata konfrontieren und die entsprechenden Gefühle aushalten", erläutert Oehen. Zudem verbessere sich die Erinnerung an die traumatischen Geschehnisse, häufig ergebe sich ein vollständigeres Bild.

Unmittelbar nach der MDMA-Therapie und auch ein Jahr danach berichteten die meisten der zwölf Teilnehmer der kleinen Studie von einer wesentlichen Verbesserung ihres Zustands. Zu ähnlich positiven Ergebnissen kommen weitere Untersuchungen über MDMA bei PTBS-Patienten in den USA, in Israel und Kanada. Daran nahmen traumatisierte Soldaten und Feuerwehrleute teil sowie Opfer sexuellen Missbrauchs.

Auch Psilocybin und LSD werden getestet

Die Forschung zum medizinischen Einsatz von Substanzen, die man als illegale Drogen kennt, nimmt gerade Fahrt auf. Neben MDMA werden auch Psychedelika wie Psilocybin, der Stoff der "Magic Mushrooms", und die einstige Hippie-Droge LSD wieder getestet für den Einsatz in der Therapie seelischer Erkrankungen.

Bereits in den 50er- und 60er-Jahren untersuchten viele Experten weltweit den Nutzen von LSD und anderen Substanzen für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Mit vielversprechenden Ergebnissen – wenn auch nicht gemessen an den heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen. Mit dem ausufernden Drogenmissbrauch und der darauf folgenden Verbotswelle in Amerika und Europa kam die Forschung dazu aber so gut wie zum Erliegen.

Das Revival spielt sich nun vor allem in den USA ab. Aber auch in Großbritannien, Kanada, Israel und in der Schweiz ist man derzeit der anderen, vielleicht sogar guten Seite der Drogen auf der Spur. In einer kürzlich im Canadian Medical Association Journal erschienenen Übersichtsarbeit zu psychedelischer Medizin ist gar von einem sich erneut etablierenden Paradigma die Rede – das Tabu ist aufgehoben.

2021: Zulassung von MDMA als Medikament?

"Die Studien belegen vielversprechende Effekte der Substanzen bei der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder, für die wir bisher nur sehr armselige Therapien haben", sagt Professor Matthew W. Johnson, einer der Autoren der Überblicksarbeit. Neben posttraumatischen Belastungsstörungen sind das etwa Alkoholismus sowie Depressionen und Angststörungen bei Krebspatienten. Zudem sei gezeigt worden, dass die Anwendungen der Stoffe unter Überwachung durch medizinisches Personal sicher seien, schädliche Folgen deshalb minimal.

Im Rahmen von Studien konsumieren die Teilnehmer die Substanzen jeweils ein- bis dreimal in einer besonders überwachten Psychotherapiesitzung. Davor unterziehen sie sich strengen Gesundheits-Check-ups, zudem wird die Sitzung mit Drogentrip ausführlich vor- und nachbereitet. Die Anzahl der Forschungsprojekte steigt, die Resultate sind durchweg gut. Aber: Bisher handelt es sich lediglich um Untersuchungen mit wenigen Teilnehmern. Trotzdem hegt die US-amerikanische Organisation MAPS (Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies) schon jetzt einen großen Traum: Die Droge MDMA soll in den USA und Europa als Medikament für die Psychotherapie zugelassen werden. Anvisierter Zeitpunkt: 2021.

Für dieses Ziel treibt MAPS die Forschung voran, will eine Studie mit 400 traumatisierten Patienten an verschiedenen Orten durchführen. "Wir wollen, dass auch 40 bis 50 aus Deutschland teilnehmen", sagt MAPS-Gründer

Professor Rick Doblin. Noch fehlt aber die Genehmigung.

Psychedelikum hilft bei Abhängigkeit und Ängsten

Ähnlich gut wie MDMA bei posttraumatischer Belastungsstörung scheint Psilocybin bei extremer Nikotin- und Alkholabhängigkeit sowie bei großen Ängsten Todkranker zu wirken. Konsumenten der aus Pilzen extrahierten Substanz empfinden Wohlbehagen, Euphorie und können in einen traumartigen Zustand kommen. Die Droge verzerrt die Wahrnehmung, lässt farbige Muster vor den Augen entstehen. Sensibilität und Empathie werden stärker. Viele Anwender berichten außerdem von einem tiefgreifenden spirituellen Erlebnis.

Genau hier setzt die Wissenschaft an. Denn typischerweise gehört zu diesem Erlebnis vor allem der Eindruck, dass diese Erfahrung realer ist als das Alltagsleben. Und man hat eine überwältigend positive Sicht auf alles.

"Das tritt nicht immer ein, aber bei etwa zwei Dritteln der Konsumenten in den bisherigen Studien. Nikotinabhängige hören dann eher zu rauchen auf, Alkoholabhängige lassen eher das Trinken sein, Krebspatienten haben weniger Ängste", berichtet Matthew W. Johnson, der an der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore forscht.

Unter anderem initiierte er eine Studie mit 51 Krebspatienten. "Wir haben eine dramatische Reduzierung von Angst- und Depressionssymptomen erreicht – und zwar lang anhaltend und mit nur einer hohen Dosis Psilocybin", berichtet der Psychologe und Pharmazeut. Sein aktuelles Projekt: an 80 starken Rauchern die Wirkung der Droge mit der von Nikotinpflastern vergleichen.

Dabei analysiert der Psychologe und Pharmazeut mithilfe von Kernspin-Bildern auch, ob es in der Folge der Einnahme von Psilocybin zu Veränderungen im Gehirn kommt. Denn viele Konsumenten berichten von einem sogenannten Afterglow. "Sie haben in den Tagen und Wochen nach der Einnahme weiterhin eine andere, bessere Stimmung", sagt Johnson.

"Die Vorbehalte gegenüber LSD sind riesig"

Noch am Anfang steht die Wiederaufnahme der Forschung zu LSD in der Psychotherapie. "Die Vorbehalte gegenüber LSD sind riesig. Damit wird bis heute die Aussteigerkultur der Hippie-Ära, die Bedrohung der bürgerlichen Welt verbunden", sagt Dr. Peter Gasser. Dennoch gelang es dem Psychiater, eine Genehmigung für eine Studie zu LSD in der Psychotherapie zu erhalten – die erste nach 40 Jahren. Möglich war das wohl nur im LSD-Entdeckerland Schweiz, wo man generell der Erforschung und dem Einsatz von umstrittenen Substanzen offener gegenübersteht.

In Gassers Studie nahmen Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten, die zudem mit starken Angstzuständen kämpften, zweimal LSD ein. Auch noch ein Jahr danach ging es den Patienten seelisch deutlich besser, nachzulesen im Journal of Nervous and Mental Disease. Aber Gasser sagt: "Nicht die Ergebnisse sind das Revolutionäre, sondern dass die Studie überhaupt durchgeführt werden konnte." Nun plant er gemeinsam mit

Professor Matthias Liechti eine weitere. Der Pharmakologe aus Basel ist bekannt für seine Grundlagenforschung zu LSD. Er testete dessen Wirkung bereits an 40 gesunden Probanden. Für die Ermittlung von Daten zur Sicherheit der Substanz erlebten die Teilnehmer jeweils einen ärztlich überwachten Drogenrausch im Universitätsspital Basel.

Liechtis Fazit: "Die Gefühle werden in einer Art beeinflusst, die für Psychotherapie sinnvoll sein kann – mehr Vertrauen, Entspannung, Offenheit, Entängstigung. Das zeigt sich in den neuronalen Aktivitätsmustern im Gehirn, und gleichzeitig wurde es von den Patienten beschrieben." Etwa ein Viertel empfinde zum Teil auch unangenehme Gefühle. Dieser Zustand werde aber im Verlauf der bis zu zwölf Stunden andauernden Wirkung wieder überwunden.

Kritiker sagen: "Dirty Drugs" sind schwer zu kontrollieren

Einer von zahlreichen Experten, die das Revival der Drogen-Forschung trotzdem nicht freudig begrüßen, ist Professor René Hurlemann. Der Psychiater kritisiert die Versuche zum medizinischen Einsatz von MDMA, Psilocybin und LSD: "Das sind ,Dirty Drugs‘, die viele verschiedene Wirkungen haben, von denen man aber bei Weitem nicht alle braucht. Deswegen sind sie auch schwer zu steuern und zu kontrollieren", sagt der stellvertretende Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn. Er schlägt der wieder erwachten Forschung in dem Bereich einen anderen Weg vor. "Das Ziel sollte nicht sein, beispielsweise tatsächlich MDMA zu geben. Das Ziel sollte sein, zu entschlüsseln, auf welche Weise eine Substanz wie MDMA wirkt – und welcher Mechanismus eine Psychotherapie befeuern kann."Diese Erkenntnis könnte dann in die Entwicklung neuer Wirkstoffe für Medikamente fließen. Denn eine Beschleunigung und bessere Wirksamkeit seien für die Psychotherapie mit den bekannten langen Wartezeiten und knappen Ressourcen durchaus wünschenswert, betont Experte Hurlemann.

Negative Effekte nach der Einnahme möglich

Doch medizinisch verordnete Drogentrips sind für ihn der falsche Weg. Der Experte gibt zu bedenken, dass negative Effekte der Substanzen auch erst in den Tagen nach der Einnahme auftreten können – wenn aus dem kurzen High ein langes Low wird. Bei der Einnahme von MDMA zum Beispiel führe das neuerliche Absinken des Serotoninspiegels dazu, dass sich die Konsumenten anschließend trauriger, erschöpfter, energieloser und lethargischer fühlen.

Auch Studienteilnehmerin Hella M. berichtet, dass sie sich in den Tagen nach ihren MDMA-Einnahmen besonders verletzlich gefühlt habe, dass sie sich zurückziehen wollte. Es habe sie Mühe gekostet, "in die Welt hinauszugehen". Das wäre für M. aber kein Grund, auf die MDMA-Erfahrung zu verzichten. "Dieses Erlebnis hat mir mehr gebracht als alles andere." Wenn es Hella M. heute wieder einmal schlecht geht, dann "zoomt" sie sich zurück in das Gefühl der Therapiesitzung – und denkt an den Blick in den unendlichen Sternenhimmel.