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ACM-Mitteilungen vom 18. Juni 2016
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Liebe Leserin, lieber Leser,
auch der Bundesrat hat sich am 17. Juni 2016 mit den geplanten Gesetzesänderungen im Bereich Cannabis als Medizin beschäftigt. Bündnis 90/Die Grünen haben eine kleine Anfrage zum Thema im Bundestag gestellt. Sobald die Antwort vorliegt, werden wir sie hier vorstellen.
Wie weitere Beiträge in dieser Ausgabe darlegen, ist das Thema nach Annahme des Gesetzentwurfes im Bundeskabinett am 4. Mai 2016 auch bereits von Sozialgerichten und Krankenkassen registriert worden, mit entsprechend positiven Auswirkungen. So könnte es schon jetzt bereits möglich sein, dass Sozialgerichte in besonders schweren Fällen wie das Sozialgericht Düsseldorf die Krankenkassen zu einer Kostenübernahme von Cannabisblüten im Rahmen einer Ausnahmeerlaubnis durch die Bundesopiumstelle zwingen könnten. Daher macht es nun durchaus Sinn, auch bei der eigenen Krankenkasse mit Verweis auf das Urteil einen Kostenübernahmeantrag zu stellen.
Viel Spaß beim Lesen!
Franjo Grotenhermen
Sozialgericht Düsseldorf verpflichtet Krankenkasse vorübergehend zur Versorgung eines Patienten mit Medizinal-Cannabisblüten
Am 1. Juni 2016 hat das Sozialgericht Düsseldorf beschlossen, dass eine Krankenkasse ihr Mitglied „für die Zeit ab 1.7.2016 bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens, zunächst längstens bis zum 30.6.2017 im Rahmen der Erlaubnis des BfArM vom 24.4.2014, mit ärztlich verordneten Medizinal-Cannabisblüten“ versorgen müsse.
In seinem Beschluss verweist das Sozialgericht unter anderem auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 4. Mai 2016 zur Verbesserung der Bevölkerung mit Medikamenten auf Cannabisbasis, sodass ein möglicher Versorgungsanspruch bestehe. Das Gericht stellt fest, dass im konkreten schweren Fall eines Schmerzpatienten im Wesentlichen für den Betroffenen „drohende erhebliche Nachteile“ ersichtlich seien, „dagegen keine (durchgreifenden Nachteile für die Versichertengemeinschaft“.
Das vollständige Urteil findet sich hier
.
In dem Beschluss unter dem Aktenzeichen: S 8 KR 338/16 ER in einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes führt die 8. Kammer des Sozialgerichts durch die Vorsitzende Richterin am Sozialgericht aus:
„I
Die Beteiligten streiten über die Frage der Versorgung des Antragstellers mit Medizinal-Cannabisblüten bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens.
Bei dem 1970 geborenen Antragsteller besteht nach Motorradunfall 2005 mit Trümmerbruch des rechten Hüftgelenkes und TEP-Versorgung u. a. eine Peronäuslähmung rechtsseitig mit chronischem, neuropathischen Schmerzsyndrom sowie eine ausgeprägte Störung des Gangbildes. Zur Behandlung des ausgeprägten Schmerzsyndroms fanden in der Vergangenheit Pharmakotherapien u. a. mit Opiaten, Sativex und Antidepressiva statt.
Den entsprechenden Antrag auf Bewilligung der Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten lehnte die Antragsgegnerin nach Anhörung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 11.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.3.2016 ab. Das begehrte Rezepturarzneimittel bedürfe einer Anwendungsempfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses, § 135 SGB V, die nicht vorliege. Es werde die Versorgung mit Sativex bis zum 30.11.2016 bewilligt.
Der Antragsteller hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben und die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin geltend gemacht. Über den 30.6.2016 hinaus sei er nicht in der Lage, die Therapie mit Medizinal-Cannabisblüten weiter zu finanzieren. Ohne diese Versorgung sei er jedoch nicht mehr in der Lage, seiner Berufstätigkeit nachzugehen. Bereits in der Vergangenheit habe eine mehrjährige gesteigerte Behandlung mit Opiaten stattgefunden, die in einen schweren Entzug mündet hätte. Auch das bewilligte Arzneimittel Sativex führe zu keinem Behandlungserfolg, da es ausgeprägte Kopfschmerzen verursache. Ebenso gewährleiste der Einsatz von Dronabinol keine ausreichende Therapie. Denn seine starken Schmerzen führten zu einem Bedarf weit über die Höchstdosierung hinaus und zu entsprechenden negativen Nebenwirkungen. Auch die in der Vergangenheit versuchte Behandlung mit Antidepressiva hätte nur zu einer Schmerzreduzierung ins Erträgliche geführt bei unzumutbaren Nebenwirkungen (bei der Verabreichung der Medikamentenkombination von Gabapentin, Lyrica, Oxygesic und Antidepressiva Probleme beim Wasserlassen, Wasser halten, Verstopfung, Gewichtszunahme, Libido). Weitere Nebenwirkungen wie Benommenheit und Konzentrationsstörungen bis hin zu Wortfindungsstörungen, einem Taubheitsgefühl im Bereich der Haut und vor allem der Schleimhäute hätten dazu geführt, dass er normalen Alltagsaktivitäten nicht oder nur eingeschränkt nachgehen konnte. Er sei auch in der Schmerzambulanz Neuss behandelt worden. Er habe volle Rente wegen Erwerbsminderung bezogen. Erst seit der Einnahme von Cannabisblüten sei er wieder in der Lage, seiner Berufstätigkeit nachzugehen. Auf diese Tätigkeit sei er als Alleinverdiener in seiner Familie mit einem Kind angewiesen. Mit dem Wegfall des Erziehungsgeldes seiner Ehefrau ab dem 30.6.2016 sei er nicht mehr in der Lage, die Kosten der Cannabisblütentherapie zu finanzieren (488,25 € pro Monat). Hinzu komme, dass die streitgegenständliche Therapie mit monatlichen Kosten in Höhe von 488,25 € deutlich wirtschaftlicher sei als eine Versorgung mit den von der Antragsgegnerin bewilligten Fertigarzneimitteln Sativex (2620,17 € monatlich) und Dronabinol (1541 € monatlich).
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller das Arzneimittel Medizinal-Cannabisblüten zu finanzieren, soweit die behandelnden Ärzte des Antragstellers diese Behandlung verordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
den Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen gemäß § 135 SGB V lägen für das streitgegenständliche Rezepturarzneimittel nicht vor, ebenso keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (§ 2 Abs. 1a SGB V). Sie biete weiterhin die Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Dronabinol an. Zudem sei eine Behandlung in einer Schmerzklinik anzuraten. Bei dem vom Antragsteller dargelegten Bedarf einer übermäßigen Einnahme von Sativex ergeben sich Hinweise auf einen missbräuchlich anmutenden Konsum. Auf die Entscheidungen des Sozialgerichts Trier vom 30.3.2016 (Az. S 5 AS 47/16) und vom 26.4.2016 (Az. S 5 KR 68/16 ER) werde hingewiesen. Bei der Versorgung mit Cannabisblüten handele es sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die durch die verschiedenen Therapien verursachten Kosten seien unerheblich.
Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten einschließlich der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.
Einstweilige Anordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Dem Antragsteller drohen ohne die Versorgung mit der streitgegenständlichen Medizinal-Cannabisblüten-Therapie der Verlust seiner Arbeitsfähigkeit und seiner konkreten Beschäftigung und damit der Verlust seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Mit seinen nachvollziehbaren Angaben zur Einkommenssituation hat er für die Zeit ab 1.7.2016 den Anordnungsgrund nachvollziehbar dargelegt (Schriftsatz vom 18.4.2016).
Es ist auch eine ausreichende Aussicht auf einen Versorgungsanspruch gegeben (Anordnungsanspruch). Eine Versorgungslücke zur ausreichenden Behandlung des ausgeprägten Schmerzsyndroms erscheint nahe liegend. Insoweit hat der Antragsteller im Rahmen des Verwaltung- und Gerichtsverfahrens unter anderem mit Vorlage der Bescheinigungen seines behandelnden Arztes Dr. Grotenhermen ausreichend wahrscheinlich gemacht, dass hinsichtlich einer erfolgreichen bzw. ausreichenden Behandlung seines chronischen Schmerzsyndroms keine vertragsärztlichen bzw. schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Über einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren sind verschiedene Therapien in Rehabilitationsverfahren, durch niedergelassene Ärzte und auch in einer Schmerzambulanz durchgeführt worden. Das Ausmaß des Schmerzsyndroms und der Behandlungsproblematik wird durch die in der Vergangenheit erfolgte Verabreichung hoher Opiatgaben anschaulich, die zu einer Opiatabhängigkeit und einem nicht einfachen Entzug geführt haben. Insoweit sind die Angaben des Antragstellers nachvollziehbar, dass die von der Antragsgegnerin bewilligten Fertigarzneimitteln Sativex und Dronabinol mit der Einnahmenotwendigkeit stark überhöhter Höchstdosierungen zu entsprechenden erheblichen Nebenwirkungen führen. Der von der Antragsgegnerin geäußerte Verdacht eines missbräuchlichen Konsums erscheint in Anbetracht der vom BfArM erfolgten Prüfung und Genehmigung des Cannabisblütenverbrauchs nicht überzeugend. Vielmehr gilt es, eine erneute Opiatabhängigkeit zu vermeiden. Darüber hinaus hat eine ärztliche Begleitung stattgefunden und ist gewährleistet (Genehmigung des BfArM vom 24.4.2014).
Der diesbezügliche Leidensdruck des Antragstellers wird zudem an dem Umstand deutlich, dass er seit längerer Zeit die Arzneimitteltherapie auf eigene Kosten durchführt.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich mittlerweile der Gesetzgeber gedrängt fühlt, die Versorgung mit getrockneten Cannabisblüten zum Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung zu machen
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften: Artikel 4 – Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, § 31 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – gesetzliche Krankenversicherung –;
http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/GE_Cannabisarzneimittel_Kabinett.pdf),
erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss in entsprechendem Maße zu einer Empfehlung hätte veranlasst sehen müssen.
Jedenfalls führt vor Abschluss des Hauptsacheverfahren eine entsprechende Folgenabwägung zum einstweiligen Versorgungsanspruch des Antragstellers.
Im Wesentlichen sind lediglich ihm drohende erhebliche Nachteile ersichtlich, dagegen keine (durchgreifenden) Nachteile für die Versichertengemeinschaft, vor allem unter Berücksichtigung des Gesichtspunktes, dass sich die streitgegenständliche Therapie – nach den unwidersprochenen Darlegungen des Antragstellers – kostengünstiger darstellt als die Therapie mit den Fertigarzneimitteln Sativex und Dronabinol.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe Beschwerde bei dem
Sozialgericht Düsseldorf,
Ludwig-Erhard-Allee 21,
40227 Düsseldorf,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden...“
Krankenkasse verweist in ihrer Entscheidung zur Kostenübernahme für Dronabinol auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung
Auch die Krankenkassen haben bereits registriert, dass die Bundesregierung Änderungen bei der Kostenübernahme für Medikamente auf Cannabisbasis beschlossen hat, und berücksichtigen diese Entwicklung bei aktuellen Entscheidungen über die Kostenerstattung von Cannabis-Medikamenten.
So heißt es in einem Schreiben der AOK Bayern vom 11. Mai an einen Patienten von Dr. Grotenhermen, der einen Antrag auf Kostenübernahme für Dronabinol zur Behandlung seiner sonst therapieresistenten ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) beantragt hat:
„Aktuell hat am 04.05.16 das Bundeskabinett entschieden, bei schwerkranken Patientinnen und Patienten die Versorgung mit Cannabisarzneimitteln zu verbessern (siehe beiliegender Presseartikel). Dieser Gesetzentwurf muss erst durch den Bundestag beschlossen werden. Folgend werden von Fachgremien die entsprechenden Grundsatzentscheidungen getroffen, welche Erkrankungen im Detail in die Versorgung einbezogen werden. Aus diesem Grund sind uns aktuell keine weiteren Ausführungen möglich. Sicherlich wird es aus unserer Sicht noch einige Monate dauern, bis konkrete Informationen vorliegen.“
In dem Schreiben heißt es zudem: „Auf Grund der geltenden Rechtslage ist es uns nicht möglich, die von Ihnen gewünschte Entscheidung zu treffen.“
Da der Patient mit seinem Antrag auf eine Ausnahmeerlaubnis durch die Bundesopiumstelle für die Verwendung von Cannabisblüten nicht auf die Umsetzung des Gesetzes und damit auf eine Entscheidung der AOK Bayern hinsichtlich der Kostenübernahme von Dronabinol in seinem Fall warten kann, ist davon auszugehen, dass er mangels aktueller Alternativen eine solche Ausnahmeerlaubnis erhalten wird.
Presseschau: Pressemitteilung zum Alternativen Drogen- und Suchtbericht 2016
Eine aktuelle Übersicht über die Drogenpolitik in Deutschland, darunter auch zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten mit einer Einschätzung der geplanten Gesetzesänderung durch die Bundesregierung von Dr. Grotenhermen findet sich im Alternativen Drogen- und Suchtbericht, der am 6. Juni 2016 erschienen ist.
3. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2016
Alternativer Drogen- und Suchtbericht
Am 9. Juni hat die Drogenbeauftragte den Drogen- und Suchtbericht 2016 der Bundesregierung vorgestellt. Er enthält nichts zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten, da dieses Thema nicht als drogenpolitisches, sondern als gesundheitspolitisches Thema betrachtet wird.
Drogen- und Suchtbericht 2016 vorgestellt
Presseschau: Cannabis: Bundesrat will keine Patientendaten (Apotheke adhoc)
Die Entscheidung des Bundesrats, kleine Änderungen am Gesetzentwurf der Bundesregierung zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten zu verlangen, wurde von einigen Medien aufgegriffen.
Cannabis: Bundesrat will keine Patientendaten
Im Mai hat das Bundeskabinett beschlossen, Cannabis zu medizinischen Zwecken freizugeben. „Wir wollen, dass für Schwerkranke die Kosten für Cannabis als Medizin von ihrer Krankenkasse übernommen werden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann“, begründete Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) seinen Gesetzentwurf. Jetzt meldet der Bundesrat Änderungswünsche an.
Patienten ohne therapeutische Alternative sollen laut Gesetzentwurf getrocknete Cannabisblüten und -extrakte in Apotheken erhalten, wenn es für sie keine alternative Therapie gibt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll als staatliche Cannabisagentur fungieren. Bis es den geplanten staatlich kontrollierten Anbau in Deutschland gibt, soll die Versorgung mit Importen gedeckt werden.
Die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln auf Cannabisbasis in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) soll somit erweitert werden. Bislang ist sie grundsätzlich auf Fertigarzneimittel in jeweils zugelassenen Anwendungsgebieten begrenzt. Nun sollen die Krankenkassen Cannabis in Form getrockneter Blüten für schwerkranke Menschen bezahlen können.
Die Erstattung ist aber an wissenschaftliche Begleitstudien geknüpft. Hier haken die Länder ein. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrats spricht sich gegen die im Gesetzentwurf vorgesehene verpflichtende Teilnahme der Patienten an einer begleitenden Studie aus. An der Erhebung soll zwar festgehalten werden; die Daten sollen dem BfArM von den behandelnden Ärzten nach Zustimmung des Versicherten aber nur anonymisiert übermittelt werden. Darüber hinaus empfiehlt der Ausschuss im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob bei Cannabis in Form von getrockneten Blüten eine Standardisierung auf einen definierten Gehalt an Tetrahydrocannabinol erfolgen sollte. Ohne diese Vorgabe würden verschiedene Qualitäten mit unterschiedlicher Wirkung vertrieben. Die Standardisierung sei auch aus medizinischen Gründen zwingend geboten.
Eine generelle Cannabisfreigabe lehnt die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf ab. Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler sagte: „Cannabis ist keine harmlose Substanz. Daher darf es auch keine Legalisierung zum reinen Privatvergnügen geben.“ Auch Gröhe lehnt eine Legalisierung der Droge ab: „Es hat der Versachlichung der Diskussion über Medizinalhanf gut getan, das klar zu trennen.“ Die liberalen Regeln in anderen Ländern seien kein Argument für eine generelle Legalisierung. „Viele Länder in Skandinavien, zum Teil auch in Holland, sind alles andere als glücklich über den Weg, den sie damals eingeschlagen haben.“
Wichtig sei die Begleitforschung, „weil wir noch mehr wissen müssen über den wirklichen Nutzen“, erklärte Gröhe. Die weitere Beratung des Gesetzes erfolgt jetzt im Bundestag. Es soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Bis es den geplanten staatlich kontrollierten Anbau in Deutschland gibt, soll die Versorgung mit Importen gedeckt werden.
Presseschau: Cannabis-Begleitforschung nur mit Zustimmung des Patienten (Deutsche Apotheker Zeitung)
Auch die Deutsche Apotheker Zeitung berichtete von der Entscheidung des Bundesrats vom 17. Juni 2016, Begleitforschung im Rahmen des Gesetzentwurfes der Bundesregierung vom 4. Mai 2016 von der Zustimmung der Patienten abhängig zu machen.
Cannabis-Begleitforschung nur mit Zustimmung des Patienten"
Der Verkauf von Medizinalhanf in der Apotheke soll einfacher werden. Nun hat der Bundesrat zu den gesetzgeberischen Plänen der Regierungskoalition Stellung genommen. Die Länder empfehlen unter anderem, Cannabis-Patienten nicht zur Teilnahme an einer Begleitforschung zu verpflichten.
Im Januar hatte das Bundesgesundheitsministerium seinen Entwurf für ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vorgelegt – im Mai hat das Bundeskabinett ihn beschlossen. Sein Ziel ist, die Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit von weiteren Cannabisarzneimitteln, wie zum Beispiel für getrocknete Cannabisblüten und Cannabisextrakte in standardisierter Qualität, zu normieren. Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen sollen nach entsprechender ärztlicher Indikationsstellung und bei fehlenden Therapiealternativen Cannabis-Arzneimittel zu therapeutischen Zwecken aus der Apotheke erhalten können. Damit will die Regierung auch dem Eigenanbau von Cannabis zur Selbsttherapie entgegenwirken.
Im Fünften Buch Sozialgesetzbuch soll zudem für GKV-Versicherte ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabisarzneimitteln in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon geschaffen werden. Dieser Anspruch soll nur unter engen Voraussetzungen bestehen. Nicht zuletzt wird dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Aufgabe übertragen, für eine ausreichende qualitätsgesicherte Versorgung mit Cannabisarzneimitteln zu sorgen. Es soll als Cannabisagentur für einen kontrollierten Anbau von Cannabis ausschließlich zu medizinischen Zwecken zuständig sein.
Anonymisierte Datenübermittlung nur mit Zustimmung des Patienten
Die Länder haben keine grundsätzlichen Einwände gegen das Vorhaben. Allerdings hatte der federführende Gesundheitsausschuss empfohlen, die im Gesetzentwurf (§ 31 Absatz 6 SGB V) vorgesehene verpflichtende Teilnahme der Patienten an einer Begleiterhebung zu streichen. An der Erhebung will er zwar festhalten – aber: „Die Zustimmung zur Teilnahme an einer Begleiterhebung und zur Übermittlung entsprechender Daten zur Leistungsvoraussetzung zu machen, ist rechtlich und unter Versorgungsgesichtspunkten kritisch zu sehen und daher abzulehnen“. Die behandelnden Vertragsärzte sollen nach Vorstellung der Länder verpflichtet werden, die Daten an das BfArM in anonymisierter Form zu übermitteln, soweit die oder der Versicherte dem zustimmt.
Ferner hat der Ausschuss empfohlen, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob bei Cannabis in Form von getrockneten Blüten eine Standardisierung auf einen definierten Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) erfolgen sollte. Damit soll die gleichbleibende Qualität und Wirksamkeit von „Cannabis in Form von getrockneten Blüten“ sichergestellt werden.
Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz hat zudem empfohlen, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Regelung zur Überwachung des Anbausvon Nutzhanf vorzusehen.
Das Plenum des Bundesrats hat diese Empfehlungen angenommen. Jetzt ist der Bundestag wieder am Zug.
Presseschau: Wie Cannabis Tourette-Patienten das Leben erleichtert (Stern TV)
Am 15. Juni berichtete Stern TV in einer Sendung bei RTL über die Verwendung von Cannabis bei Tourette-Patienten. Als Expertin war Professorin Kirsten Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover, Mitglied im Vorstand der ACM, eingeladen.
Wie Cannabis Tourette-Patienten das Leben erleichtert
Schwieriger Kampf gegen die Tics
Die Möglichkeiten, sich Cannabis in Deutschland zur therapeutischen Behandlung zu besorgen, sind äußerst beschränkt. Obwohl die Droge vielen Tourette-Patienten nachweislich hilft, bekommen sie sie nicht auf Kassen-Rezept. stern TV hat mit zwei Betroffenen über ihre Lage gesprochen.
Wenn Benjamin Jürgens mit der Bahn zur Arbeit fährt, will er nur eins: möglichst wenig auffallen. Für den Tourette-Patienten ist das eine Herausforderung, denn seine hastigen Bewegungen und Lautausstöße, sein "Miauen" oder plötzlichen Rufe kann er willentlich kaum unterdrücken. Darauf reagieren die meisten Menschen mit Unverständnis, Ablehnung oder ängstlich. Woher sollen sie auch wissen, was mit Benjamin Jürgens nicht stimmt?
Die Diagnose Tourette bekam der 35-Jährige vor vier Jahren. Das Syndrom ist eine neurologisch-psychiatrische Erkrankung, bei der die Botenstoffe im Gehirn im Ungleichgewicht sind. Dadurch führen Reize, die im Hirn ankommen, zu ungewollten und unkontrollierten Bewegungen und Lauten, gemeinhin als "Tics" bekannt. Die Ursachen für die Erkrankung sind weitgehend ungeklärt und die Krankheit gilt als nicht heilbar. "Es ist wie ein ständiger Begleiter", erklärt Benjamin Jürgens. "Es hämmert gegen meinen Kopf und lässt mich den ganzen Tag auf Sachen reagieren, auf die ich normalerweise gar nicht reagieren würde – und ein normaler Mensch auch nicht tun würde. Oft fühlt es sich so an, als wenn mein Gehirn schneller ist, als ich, und mir einen Streich spielt."
Bevor er in die Öffentlichkeit geht, raucht Sebastian Jürgens meist einen Joint. Was bei gesunden Menschen zu einem Rausch führt, ist für den Tourette-Kranken Medizin: Der in dem Cannabis der Zigarette enthaltene Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (kurz: THC) ist das einzige Mittel, dass ihm gegen die Tics hilft. Er kann sie so besser kontrollieren.
Auch Sebastian Hurth kann erst wieder ein einigermaßen normales Leben führen, seit er Cannabis konsumieren darf. Der 25-Jährige leidet ebenfalls unter dem Tourette-Syndrom. Ohne die Droge schnalzt er unaufhörlich, klatscht unkontrolliert in die Hände oder schlägt sich gegen die Brust und den Kopf. Der innerliche Druck – so beschreibt er das Gefühl – wächst immer weiter an; die Tics behalten die Oberhand, ohne dass er etwas dagegen tun kann. "Ich kann meinen Joint meistens schon nach einem Drittel ausmachen. Dann merke ich schon, wie die Wirkung langsam einsetzt", erzählt Sebastian Hurth. "Dann fängt es relativ bald an, dass die Tics sich langsam runterfahren." Ohne die Droge sei es ihm nicht möglich, einigermaßen leise zu bleiben und könne nicht mehrere aneinander hängende Worte zu sprechen.
Sich frei und weitestgehend unbemerkt in der Öffentlichkeit bewegen zu können ist für den 25-Jährigen und seine Freundin ein ganz neues Lebensgefühl. Durch das Cannabis werden nicht nur die Tics weniger, auch die vielen strafenden Blicke anderer Menschen. "Das ist eine Situation, in der ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr war. Ich genieße davon eigentlich jeden Moment", sagt Sebastian Hurth.
Kassen tragen die Kosten bisher nicht
Durch die Einnahme von Cannabis lassen die Tics der beiden Männer nach. Andere Medikamente haben das nicht geleistet und noch dazu starke Nebenwirkungen gehabt. Cannabis fällt in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz und ist kein zugelassenes Medikament. Die Versorgung von Patienten mit schweren Erkrankungen ist erst nach zahlreichen medizinischen und bürokratischen Hürden möglich. Unter anderem müssen sie als "austherapiert" gelten. Das heißt: Sie müssen alle denkbaren zugelassenen Medikamente – nebst Nebenwirkungen – ausprobiert haben und nachweisen, dass diese nicht helfen. Sebastian Hurth ist einer von 647 Menschen in Deutschland, der aufgrund seiner Krankheit eine Ausnahmegenehmigung für medizinisches Cannabis bekommen hat. Aufgrund der Sondererlaubnis darf er Cannabisblüten legal in der Apotheke kaufen: Knapp 80 Euro für 5 Gramm Cannabisblüten. Eigentlich bräuchte er mindestens 20 Gramm pro Monat, so Hurth, könne sich aber nur 10 Gramm leisten. Wegen seiner Erkrankung hat er keinen Job. Doch: Ohne Geld, keine Medizin – ohne Medizin, keine Arbeit. Ein Teufelskreis. "Rechtlich müsste definitiv etwas geändert werden, damit Betroffene leichter an das Cannabis kommen. Und vor allem als Kassenleistung. Für mich ist es ein Medikament. Ich benutze es als nichts anderes. Als Rauschmittel würde es bei mir gar nicht wirken. Es ist Medizin – allerdings Medizin, für die ich selber aufkommen muss, obwohl ich krankenversichert bin.
Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften will Verbesserungen erwirken
Ein seit Anfang Mai dem Kabinett vorliegender Gesetzesentwurf des Gesundheitsministeriums zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften könnte das ändern. In der Zielsetzung heißt es:
Das Gesetz dient dazu, die Verkehrsfähigkeit und die Verschreibungsfähigkeit von weiteren Arzneimitteln auf Cannabisbasis herzustellen, um dadurch bei fehlenden Therapiealternativen bestimmten, insbesondere schwerwiegenden, chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten nach entsprechender Indikationskontrolle in kontrollierter pharmazeutischer Qualität durch Abgabe in Apotheken den Zugang zur therapeutischen Anwendung zu ermöglichen.
Der Plan für 2017: Wenn es keine alternative Behandlungsmethode gibt, können Patienten Cannabis auf Rezept bekommen. Diejenigen, denen die Genehmigung erteilt wurde, sollen dann auch bei ihrer Krankenkasse eine Kostenübernahme erwirken können. Das zumindest hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in diesem Zusammenhang angekündigt. Für Sebastian Hurth könnte das zumindest die finanziellen Schwierigkeiten lösen, ihr Leben einigermaßen im Griff zu haben. Die bürokratischen und medizinischen Hürden, zu diesem Punkt zu kommen, werden für andere Tourette-Erkrankte jedoch bleiben.
Presseschau: Kiffen auf Rezept (pflichtlektüre, Studentenmagazin für Dortmund)
Auch Studentenzeitungen interessieren sich für das Thema Cannabis als Medizin. Hier ein Text aus „pflichtlektüre“ aus Dortmund.
Kiffen auf Rezept – Doctor Dope"
Nur wenige Menschen dürfen in Deutschland legal Cannabis konsumieren.
Gerade einmal 647 Personen haben derzeit eine Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle.
Zwei „Cannabis-Patienten“ haben der pflichtlektüre ihre Geschichte erzählt.
Dank ihrer Wunderpflanze, wie sie Cannabis selbst nennt, kann Angelika heute ein weitgehend normales Leben führen. Sie ist fröhlich, scherzt und lacht viel. Das war nicht immer so. Schon lange ist die 50-Jährige aus Gelsenkirchen Schmerzpatientin. Nur ungern erinnert sich die Frau mit den lila Haaren an die schwere Zeit, bevor sie mit Cannabis behandelt wurde. „Als ich schließlich damit begonnen habe, wurde alles besser. Meine Tochter meinte damals, dass ihre Mama endlich wieder lebt“, sagt sie. Fast routiniert erzählt sie ihre Geschichte über ihren langen Weg zum legalen Konsum von Cannabis. Angelikas Krankengeschichte begann 1993 bei ihrer ersten Schwangerschaft.
Ein überzähliger Lendenwirbel sorgte damals für Komplikationen, seit damals ist sie wegen andauernder Schmerzen auf Medikamente angewiesen. Vor 16 Jahren misshandelte ihr damaliger Lebensgefährte sie so stark, dass sie mit einem doppelten Kieferbruch ins Krankenhaus kam. Seitdem leidet sie unter posttraumatischen Belastungsstörungen, ist psychisch labil und von Albträumen geplagt. Doch es kam noch schlimmer: Bei einem Auto-unfall wurde Angelikas Wirbelsäule verletzt, bis heute ist diese instabil. Dadurch ist die Gefahr einer Lähmung groß. „Jede Bewegung könnte meine letzte sein“, erklärt sie. Dagegen tun kann sie nichts. Auch zwei Bandscheibenvorfälle sind Teil von Angelikas Leidensgeschichte, außer-dem ist sie an Osteochondrose erkrankt. Dadurch verknöchern ihre Knorpel und drücken auf den Hauptvenenkanal. Das verursacht erhebliche Schmerzen.
Der harte Weg in die Legalität
Zehn Jahre lang wurde sie mit dem starken Schmerzmittel Morphin behandelt. „Damals hatte ich mit heftigen Neben-wirkungen zu kämpfen“, sagt Angelika. Sie war wie betäubt, vergesslich und nicht mehr sie selbst. Auch ihr Magen litt unter den Tabletten. „Den habe ich mir mit dem Morphin kaputt gemacht“, erzählt sie frustriert. Sie nahm kaum noch Nahrung zu sich und wurde immer dünner. Schließlich kam sie durch eine Freundin erstmals in Kontakt mit Cannabis und bemerkte, dass es ihr hilft – und das bei allen Beschwerden. Sie konnte sich wieder besser konzentrieren, war fitter und agiler. Die Schlafstörungen und Alb-träume wurden seltener, ihre psychische Verfassung verbesserte sich. Und auch die Schmerzen nahmen ab. Angelika beschloss, sich um eine Ausnahmegenehmigung zu bemühen. Diese sollte es ihr erlauben, Cannabis in der Apotheke zu kaufen und legal zu konsumieren. Nach ihrem ersten – noch illegalen – Kontakt mit Cannabis, wandte sich Angelika wegen einer Behandlung an ihren Hausarzt. Dieser war wenig kooperativ: „Er meinte damals, wenn ich noch weiter nerve, soll ich mir einen anderen Arzt suchen.“ Durch Zufall fand sie in einem Magazin die Adresse von Dr. Franjo Grotenhermen. Der Mediziner aus Rüthen im Landkreis Soest ist auf die Behandlung mit Cannabis spezialisiert und half Angelika weiter. So war sie der Ausnahmegenehmigung schon ein gutes Stück näher. Um diese zu bekommen, musste sie austherapiert sein. Es war also nötig, alle für ihre Erkrankung gängigen Medikamente, in ihrem Fall Schmerzmittel wie Morphin, auszuprobieren. Sie musste nachweisen, dass diese ihre Beschwerden nicht mehr lindern. Das war bei Angelika aufgrund ihrer langen Krankengeschichte bereits bei ihrem ersten Treffen mit Dr. Grotenhermen der Fall – zuvor hatte sie auf der Suche nach einem effektiven Schmerzmittel bereits alle Präparate getestet. Mit der entsprechenden Bestätigung ihres Hausarztes stellte sie den Antrag bei der Bundesopiumstelle, die für die Ausnahmegenehmigungen zuständig ist. Nach weiteren zwei Monaten war es im Frühjahr 2014 soweit. Angelika darf seitdem offiziell und legal Cannabis in der Apotheke kaufen und konsumieren.
Ein Medikament, viele Einsatzmöglichkeiten
Dr. Grotenhermen ist von der Behandlung mit Cannabis überzeugt – nicht zuletzt wegen der vielfältigen Einsatz-möglichkeiten. „Man muss verstehen, dass es kein anderes Molekül auf der Welt gibt, das so viele Anwendungs-möglichkeiten wie THC hat“, erklärt er. Tetrahydrocannabinol, kurz THC, ist laut der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V.“ einer der „wichtigsten pharmakologischen Inhaltsstoffe“ von Cannabis. Die Wirkung dieses Stoffes ist nicht endgültig geklärt. Fest steht, dass THC zum Beispiel in der Schmerztherapie angewandt werden kann. Cannabis ist jedoch nicht nur äußerst vielfältig, sondern in den meisten Fällen auch gut verträglich. „Wenn man es zu Beginn der Behandlung verträgt, kann man es auch 20 Jahre lang ohne Schäden für Nieren und Magen nehmen“, sagt Dr. Grotenhermen. „Bei anderen Medikamenten ist das häufig nicht der Fall.“ Trotzdem ist es in Deutschland äußerst schwierig, mit Cannabis behandelt zu werden. Ein medizinisches Präparat, das direkt vom Arzt verschrieben werden kann, gibt es nur für Multiple-Sklerose-Patienten. Und der Weg zu einer Ausnahmegenehmigung ist langwierig. Außerdem ist ein Antrag bei der Bundesopiumstelle nicht immer erfolgreich. Seit 2005 haben nach Angaben des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte“, dem die Bundesopiumstelle untergeordnet ist, 1139 Patienten einen Antrag gestellt – nur 701 davon erhielten positive Rück-meldungen. Heute besitzen 647 Patienten die Ausnahmegenehmigung, weil Patienten verstarben oder Genehmigungen zurückgegeben wurden. Und selbst wenn der Antrag erfolgreich war, muss der Patient die Kosten für seine Medikation selbst tragen. Bei einem Apotheken-Preis von rund 17 Euro pro Gramm wird das schnell sehr teuer. Angelika darf bis zu 30 Gramm pro Monat konsumieren und zahlt dafür mehr als 500 Euro. Und das, obwohl sie infolge ihrer Erkrankungen arbeitsunfähig ist.
Vom Partyspaß zur Selbstmedikation
Für Jan aus Gelsenkirchen ist die Behandlung mit Cannabis günstiger. Er hat keine Ausnahmegenehmigung und kauft sich das Rauschmittel auf dem Schwarz-markt. Hier zahlt er zwischen sieben und zehn Euro pro Gramm. Dennoch ist es für ihn eine starke Belastung, bis zu 300 Euro gibt er pro Monat für Cannabis aus. Mehr kann er sich nicht leisten. Wie Angelika ist auch Jan Schmerzpatient und durch eine Wirbelsäulenfehlstellung von ständigen Rückenschmerzen geplagt. Und wie Angelika erzählt er seine Geschichte, als hätte er das schon viele Male getan. Neben seinen körperlichen Problemen hat er die Aufmerksamkeits-Störung ADHS und war deswegen seit seiner Kindheit mehrfach in Behandlung. „Viel gebracht hat mir das aber nie“, sagt er frustriert. Auch eine Medikation mit Ritalin, einem der Standard-Mittel bei ADHS, war wenig erfolgreich. Bessere Erfahrungen hat er mit Cannabis gemacht: In seiner Jugend hat Jan das Rauschmittel auf einer Party ausprobiert, „so wie es eben viele machen“. Schnell bemerkte er dessen positive Auswirkungen: Er konnte sich besser konzentrieren und auch die Rückenschmerzen gingen zurück. Durch das Internet und Bekannte erfuhr der heute 27-Jährige von der Möglichkeit, Cannabis als Medizin einzusetzen. So wurde aus dem gelegentlichen Partyspaß eine Selbstmedikation. Einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung hat er bisher nicht gestellt, auch wenn er gerne legal konsumieren würde. Doch er ist nicht austherapiert und hat daher keine Chance auf eine positive Rückmeldung der Bundesopiumstelle.
Mit einem Bein im Gefängnis?
Von dem derzeitigen Cannabis-Verbot in Deutschland hält Jan wenig: „Man muss natürlich einen Unterschied machen zwischen medizinischem Konsum und Spaß. Aber es wäre besser, wenn Ärzte Canna-bis einfach verschreiben könnten.“ Das sieht auch Dr. Franjo Grotenhermen so: „Wie bei jeder Therapie müssen Risiken, Nebenwirkungen und Nutzen abgewogen werden. Wir setzen Opiate und Chemotherapien ja auch nur ein, wenn es wirklich nötig ist. Das Gleiche muss man auch bei Cannabis machen.“ Durch seinen illegalen Konsum bedingt, belastet Jan die Angst vor Strafverfolgung – auch wenn er selbst immer nur eine geringe Menge Cannabis für den Eigen-gebrauch bei sich hat. Würde er mit mehr aufgegriffen werden, könnte das den Verdacht erwecken, er deale. Als Jugendlicher sei er auch durchaus schon erwischt worden, erzählt er. „Damals bin ich mit Sozialstunden davongekommen. Heute wäre das anders. Mir drohen Strafen zwischen 700 und 1000 Euro.“
Teilweise komme es auch zu einer Ersatzhaft, also einer Gefängnisstrafe, wenn die Konsumenten die Strafe nicht bezahlen können. Um dem zu entgehen und in Zukunft legal konsumieren zu dürfen, hofft Jan auf eine Gesetzesänderung. Auch Dr. Grotenhermen baut auf eine Neuregelung: „Ich kann die Bauchschmerzen der Politiker ja durchaus verstehen. Aber als Arzt, der seine Patienten möglichst gut behandeln möchte, muss ich sagen, dass diese Zugang dazu haben sollen. Und der Wunsch der beiden scheint sich tatsächlich zu erfüllen: Anfang Mai beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Demzufolge soll es in Zukunft möglich sein, dass Ärzte Cannabis auf normalem Wege und ohne Sondergenehmigung verschreiben können. Auch die Kosten für das Medikament soll dann die Krankenkasse übernehmen. „In Zukunft ist in Deutschland wohl mit einer sehr hohen Nachfrage zu rechnen“, sagt Dr. Grotenhermen. Doch an der ablehnenden Haltung gegenüber Cannabis, die nach wie vor in weiten Teilen der Gesellschaft herrscht, ändert das Vorhaben des Bundestags nichts. Der Gesetzentwurf mag der erste Schritt zur Entkriminalisierung von Kranken sein, die auf die medizinische Wirkung von Cannabis angewiesen sind. Doch es gibt noch viel zu tun. Deshalb engagiert sich Angelika im „Cannabis Selbsthilfe Netzwerk“ und klärt andere über die Möglichkeiten auf, die Cannabis bietet. Auch Jan kämpft als Mitglied im „Deutschen Hanfverband“ für das Ziel, die vermeintliche Droge zu legalisieren. Beide hoffen, dass Menschen in Zukunft leichter mit ihrer „Wunderpflanze“ therapiert werden können.
Presseschau: Ärztekammerpräsident gegen Cannabis-Freigabe (Sächsische Zeitung)
Gegner der Verbesserung der medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten kämpfen auf verlorenem Posten. Und es ist Ihnen bewusst, wie dem Präsidenten der Ärztekammer Sachsen auf dem sächsischen Ärztetag in Dresden.
Ärztekammerpräsident gegen Cannabis-Freigabe"
Der Präsident der sächsischen Landesärztekammer hat sich gegen eine Cannabis-Freigabe für Schmerzpatienten ausgesprochen. „Eine Umbenennung des giftigen Cannabiskrauts, das Abhängige konsumieren, in „Medizinalhanf“ oder „Cannabisarzneimittel“ verschleiert die Gefahren“, sagte Erik Bodendieck am Freitag beim 26. Sächsischen Ärztetag in Dresden. Die Kommission „Sucht und Drogen“ der Landesärztekammer sehe in einer Freigabe auf Rezept die Gefahr einer Weiterverbreitung der Droge.
„Nach Ansicht der Kommission würde nach Öffnung dieser Tür für Schwerkranke der Cannabiskonsums in der gesamten Population ansteigen“, so Bodendieck. Als sinnvoll werde einzig die Anwendung von pharmazeutisch hergestellten Cannabinoiden in Reinform erachtet. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will von Frühjahr 2017 an Cannabis als Arznei auf Kassenrezept zulassen.
Bodendieck sprach sich auch für eine bundesweit einheitliche Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen aus. „Die Sächsische Landesärztekammer befürwortet in diesem Zusammenhang weiterhin die Einführung einer speziellen elektronischen Gesundheitskarte für Asylsuchende, um Bürokratie abzubauen, Verwaltungskosten zu sparen und die Entscheidung, ob ein Mensch zum Arzt gehen darf, nicht Sachbearbeitern zu überlassen.“ Die sächsische Staatsregierung lehnt die Einführung der Gesundheitskarte bislang ab.
Presseschau: Hasch mit Segen (Jüdische Allgemeine)
Cannabis als Medizin ist koscher. Jüdischer Rabbiner gibt der Medizin seinen Segen.
Ein orthodoxer Rabbiner in New York erklärt Marihuana-Produkte für koscher
Schwierige Entscheidungen zu treffen, ist Rabbi Moshe Elefant gewohnt, das ist sein tägliches Geschäft. Rabbi Elefant leitet die Kaschrut-Abteilung der Orthodox Union (OU) in New York, der größten koscheren Zertifizierungsagentur der Welt. In diesem Fall sei die Entscheidung allerdings »besonders schwierig« gewesen, sagt Elefant, und es habe viele Diskussionen unter den Rabbinern gegeben, mehr noch als sonst. Stein des Anstoßes war: koscheres Cannabis.
Vireo-Health
Seit Januar ist Marihuana im Bundesstaat New York für medizinische Zwecke zugelassen. Das Pharma-Start-up Vireo Health, das Standorte in New York und Minnesota unterhält, hat sich auf einen besonderen Markt spezialisiert: »Der Staat New York hat den größten jüdischen Bevölkerungsanteil in den USA«, sagt Ari Hoffnung, Geschäftsführer von Vireo Health. Knapp neun Prozent der Einwohner von New York sind jüdisch. Der Landesdurchschnitt beträgt gut zwei Prozent. »Da liegt es auf der Hand, koschere Produkte anzubieten.« Und eben auch koscheres Cannabis.
Damit ist Vireo ein Pionier in den USA. Und auch für die Zertifizierungsbehörde war die Welt rund um Marihuana Neuland, sagt Rabbi Elefant. Bei der Entscheidung sei es nicht allein um die Kaschrut gegangen, die jüdischen Speisegesetze, »sondern auch um die politische Botschaft, die wir aussenden würden. Schließlich hat Marihuana nicht den besten Ruf.« Nicht wenige in der jüdischen Gemeinschaft rieten von einer Zertifizierung ab.
Am Ende gaben die Rabbiner dennoch ihren Segen – und das wertvolle Gütesiegel: garantiert koscher. Rabbi Elefant stellt indes klar: »Wir würden niemals Marihuana-Produkte für etwas anderes als den medizinischen Gebrauch zertifizieren.«
Auch in Israel, seit Jahrzenten führend in der Cannabis-Forschung, ist Marihuana als Medikament zulässig und als Genussmittel verboten. Dennoch habe er seine Kollegen in Israel während seiner Entscheidungsfindung nicht befragt, sagt der New Yorker Rabbi knapp. »Die treffen ihre Entscheidungen, wir treffen unsere.«
Marihuana-Manager Ari Hoffnung, der zuvor als Finanzexperte an der Wall Street und für die Stadt New York arbeitete, ist jedenfalls glücklich über die Zertifizierung. Denn sie erfülle auch einen wichtigen PR-Zweck, betont er. »Wenn eine prominente religiöse Organisation wie die Orthodox Union unsere Produkte für koscher erklärt, hilft das dabei, das Stigma zu bekämpfen, das medizinischem Marihuana noch immer anhaftet.«
Krebs
Als Medikament kommt Cannabis vor allem bei Krebsleiden und HIV/Aids zum Einsatz, bei Schmerzen und Übelkeit, ferner bei Krampfanfällen infolge von Epilepsie, Parkinson, Multipler Sklerose oder der Nervenkrankheit ALS. Vireo bietet Marihuana in drei Formen an: als Öl, als Kapseln und als Tinktur, die über einen Evaporator inhaliert wird. Das Rauchen der Cannabis-Blütenblätter – als Joint oder in der Bong, der Wasserpfeife – ist in New York, auch zu medizinischen Zwecken, verboten.
Vireos Hanf-Fabrik befindet sich etwa eine Autostunde nördlich von Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates. Bevor der Cannabis-Produzent hier einzog, diente das Gebäude, Ironie des Zufalls, als Einrichtung für schwer erziehbare Jugendliche.
In New York produziere Vireo »ausschließlich koschere Produkte«, sagt Hoffnung. Das Unternehmen vertreibt seine Produkte in vier eigenen Läden, die in der Cannabis-Branche »Dispensaries« heißen, Ausgabestellen.
Bereits Monate vor der Zertifizierung begann ein intensiver Dialog zwischen den Pharmaforschern von Vireo und den Rabbinern der Orthodox Union. »Es war ein wichtiger, ein interessanter Dialog, bei dem, so hoffe ich, beide Seiten viel gelernt haben«, sagt Hoffnung.
Dabei standen die Rabbiner gleich vor mehreren Herausforderungen. Nach den jüdischen Religionsgesetzen sind lebenserhaltende Medikamente von der Kaschrut ausgenommen. Medizinisches Marihuana gehört nicht dazu: Es lindert zwar Symptome, bringt aber keine Heilung. »Und genau das war unser Problem«, erklärt Rabbi Elefant. Der Grund, warum sein Team am Ende dennoch grünes Licht gab: »Marihuana bringt vielen Menschen Erleichterung. Doch strenggläubige Juden würden es nicht nehmen, solange es nicht koscher zertifiziert ist.«
Was die Herstellung betrifft, so waren es nicht so sehr die Pflanzen selbst, die den Prüfern der OU Sorgen bereiteten, sondern die Zutaten, die für die Verarbeitung der Pflanzen in Medizin verwendet werden. So darf bei der Produktion von Marihuana-Kapseln beispielsweise keine Schweinegelatine verwendet werden. Auch dürfen die Geräte, die für die Verarbeitung nötig sind, ausschließlich der Herstellung koscherer Produkte dienen.
Monatelang gingen die Gespräche hin und her, sagt Hoffnung. Die Mitarbeiter der OU »wollten bestimmte Dokumente einsehen und mit Experten sprechen, und wir haben dafür gesorgt, dass sie vollen Zugang hatten«.
Der Aufwand lohnte sich: Die zwei Rabbiner, die am Ende des Prozesses die Fabrik inspizierten, waren zufrieden. Und auch die Investition in die koschere Produktion – Hoffnung will keine Summe nennen – zahlt sich offenbar aus. Seit Ende Januar läuft das Geschäft mit dem koscheren Cannabis. »Der Markt ist noch jung, aber die Zahl unserer Kunden steigt von Monat zu Monat.«
Meinung
Das Beispiel von Vireo Health macht derweil Schule. Gerade hat der Cannabis-Produzent Cresco Labs im Bundesstaat Illinois eine Zertifizierung für koscheres medizinisches Marihuana erhalten. Auch in anderen Bundesstaaten mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil wie Kalifornien und Massachusetts erwägen Cannabis-Hersteller die Einführung koscherer Produktlinien.
Vireo habe viele Anfragen aus anderen Bundesstaaten erhalten, berichtet Hoffnung. Anfragen, die auch bei der Orthodox Union eingegangen sind – »und zwar nicht nur von Herstellern, sondern auch von Rabbinern, die unsere Meinung hören wollten«, sagt Rabbi Elefant.
In Colorado, dem ersten US-Bundesstaat, der 2014 den Handel mit Marihuana als Genussmittel legalisierte, gibt es, bislang zumindest, kein koscheres Cannabis, weder als Medizin noch als Rauschmittel. »Weil der Markt einfach zu klein und damit nicht profitabel ist«, sagt Madalyn McElwain, die als Anwältin in Denver arbeitet und auf die rechtlichen Aspekte der Marihuana-Industrie spezialisiert ist. In Colorado beträgt die jüdische Bevölkerung zwei Prozent; der Großteil ist säkular.
Die Lage für das Geschäft mit koscherem Cannabis könne sich jedoch schnell – und radikal – ändern, meint McElwain, und zwar in dem Moment, in dem Marihuana auch auf Bundesebene in den USA legalisiert wird. Dort gilt Marihuana bislang noch als verbotene Substanz – es gehört zu derselben Kategorie wie Heroin, Kokain, LSD und Ecstasy. Das Verbot auf Bundesebene bedeutet auch: Der Export von Marihuana-Produkten aus einem Bundesstaat in einen anderen ist derzeit nicht möglich.
Mehr als 20 Bundesstaaten haben mittlerweile den medizinischen Gebrauch von Marihuana in der einen oder anderen Weise legalisiert. In vier dieser Staaten sowie der Hauptstadt Washington ist Cannabis auch als Genussmittel zugelassen. Der legale Umsatz von Marihuana-Produkten lag 2015 bei 4,4 Milliarden Dollar und könnte 2016 auf 5,7 Milliarden steigen.
Gerade hat der US-Kongress ein Gesetz erlassen, demzufolge Kriegsveteranen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, Marihuana benutzen dürfen. »Der Druck zur Legalisierung von Marihuana auf Bundesebene wächst«, sagt McElwain. Sie erwartet, dass das Verbot in den nächsten fünf Jahren fallen wird. Dann würden die Hersteller von koscherem Cannabis ihre Produkte überall in die USA verschicken können. »Es wird einen nationalen Markt geben mit landesweiter Nachfrage und landesweiter Konkurrenz.«
Und das heißt auch: mehr Arbeit – und mehr Diskussionen – für Rabbi Moshe Elefant und sein Zertifizierungsteam von der Orthodox Union. Aber schwierige Entscheidungen ist er ja gewohnt.