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ACM-Mitteilungen vom 15. Juni 2013

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Bundestag lehnt Antrag der Grünen zur Erleichterung des Zugangs zur medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten ab.

Am 7. Juni kam der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen “Zugang zu medizinischem Cannabis für alle betroffenen Patientinnen und Patienten ermöglichen“ zur Abstimmung. Wie bereits im Gesundheitsausschuss unterstützten nur Linke und Grüne den Antrag. Die SPD enthielt sich, CDU/CSU und FDP stimmten dagegen.

Wir dokumentieren hier die Rede des Antragstellers

Dr. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen)

Zugang zu medizinischem Cannabis

Union und FDP haben im Gesundheitsausschuss gegen diesen Antrag gestimmt. Sie haben das damit begründet, dass inzwischen ja bereits ein cannabishaltiges Fertigarzneimittel zugelassen sei und der Bedarf der Patientinnen und Patienten damit gedeckt sei. Außerdem könnten die Kosten eines nicht zugelassenen Arzneimittels in lebensbedrohlichen Fällen auch von den Kassen übernommen werden. Da muss ich Sie gleich mehrfach korrigieren:

Erstens gibt es derzeit kein Medikament auf dem Markt. Man kann darüber streiten, warum das Verfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist; aber derzeit gibt es kein Medikament, für das die Kassen regulär die Kosten übernehmen.

Zweitens würde dieses Medikament nur einem kleinen Teil von Patienten helfen; denn es ist nur für die Linderung der Spastik bei Multipler Sklerose zugelassen. Patienten, die etwa wegen einer Krebserkrankung an Appetitlosigkeit oder an schweren Schmerzen leiden, gehen leer aus.

Drittens kann die von Ihnen lediglich ins Gesetz geschriebene sogenannte Nikolaus-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur denjenigen helfen, die an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden. Patienten, die an einer schweren chronischen, aber nicht zum Tode führenden Erkrankung leiden, nützt dieses Urteil und Ihre neue Regelung im Sozialgesetzbuch V nichts. Es bleibt im Übrigen eine Einzelfallentscheidung, bei der die Patienten vom Gutdünken eines Sachbearbeiters abhängig sind.

Von Dichtem besehen ist also die Begründung, warum sie unseren Antrag abgelehnt haben, nicht stichhaltig.

In Wahrheit hat Ihre Ablehnung ideologische Gründe. Man kann das sehr schön nachvollziehen anhand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens um die von einem Patienten beantragte Ausnahmegenehmigung zum medizinischen Anbau von Cannabis. Das Bundesgesundheitsministerium hat mit allen juristischen Mitteln versucht, diese Genehmigung zu verhindern. Selbst das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte war am Ende dafür, den Antrag zu bewilligen. Aber das hat diese Regierung nicht daran gehindert, vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster in die nächste juristische Runde zu gehen. Eine schwere Schlappe blieb Ihnen im konkreten Fall nur deswegen erspart, weil sich urplötzlich doch noch eine Krankenkasse fand, die die Kosten einer Behandlung mit einer Cannabismedizin übernehmen wollte.

Dennoch hilft ein Blick in das Urteil. Denn das Gericht hat auch dieses ganz klar gesagt: Die vom FDP-geführten Bundesgesundheitsministerium zu verantwortende grundsätzliche Ablehnung von Anträgen zum Eigenanbau ist rechtswidrig.

Die Gesundheitspolitik hat sich in dieser Frage insgesamt nicht mit Ruhm bekleckert. Das muss man klar sagen. Denn jeden kleinen Fortschritt mussten sich die Patienten vor Gericht erkämpfen. Schon die Möglichkeit, überhaupt Anträge für den Bezug eines Cannabis-extraktes oder von Pflanzenbestandteilen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu stellen, geht auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 2005 zurück. Und jetzt war schon wieder ein Gerichtsurteil nötig, damit sich wenigstens etwas verbessert.

Dieses Antragsverfahren ist im Übrigen ein hochgradig bürokratisches, fast unmenschliches Verfahren. Damit werden in der Regel schwerkranke Patienten zu Bittstellern degradiert. Und wenn das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, den Antrag dann am Ende bewilligt, müssen die Patientinnen und Patienten die Kosten des Cannabismedikaments selbst tragen. Diese monatlichen Therapiekosten können bis zu 1 500 Euro betragen. Bei den Betroffenen handelt es sich aber in der Regel nicht um Einkommensmillionäre, sondern um schwerkranke, häufig auch erwerbsunfähige Menschen.

Es ist daher verständlich, dass zahlreiche Patientinnen und Patienten daran denken, Cannabis illegal anzubauen oder sich auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. Die derzeitige Rechtslage zwingt Betroffene, zur Linderung ihrer Erkrankung eine Straftat zu begehen. Gegen etliche Menschen laufen Ermittlungsverfahren, sie stehen vor Gericht, manche bekommen sogar Haftstrafen.

Dies ist der Hintergrund, vor dem wir unseren Antrag gestellt haben und insbesondere vorschlagen, Patienten, die ein ärztliches Attest haben, den straffreien Anbau, Besitz und Erwerb von medizinischem Cannabis zu ermöglichen.

Wir hatten diese Debatte ja bereits im Jahre 2008. Ich will Ihnen, also von der Koalition wie auch der SPD, zugestehen, dass Sie sich an der Stelle zumindest argumentativ etwas bewegt haben. Damals behaupteten Sie noch, Cannabis sei gar nicht wirksam oder Cannabis sei keine Spaßdroge und mache abhängig und dürfe daher nicht an schwerkranke Patienten abgegeben werden.

Heute verwenden Sie andere Argumente. Im Kern hat sich aber an Ihrer rein ideologisch motivierten Haltung nichts verändert. Im Gesundheitsausschuss wurde aus meiner Sicht kein einziges Argument genannt, das substanziell gegen unseren Antrag spricht.

Die FDP behauptet zum Beispiel, die Entkriminalisierung würde zur Selbstmedikation führen, und damit würde die Patientensicherheit gefährdet. Abgesehen davon, dass diese Behauptung nirgends belegt ist, müssten Sie damit auch die derzeit bestehende Möglichkeit eines Antrags beim BfArM ablehnen. Denn auch die über die Apotheke zu beziehenden Extrakte oder Cannabisblüten sind keine Fertigarzneimittel. Fraglich ist auch, warum aus Ihrer Sicht die Patientensicherheit durch den Status quo gestärkt wird. Statt es sich zu Hause straffrei anbauen zu können, wie von uns vorgeschlagen, müssen sich die Patienten Cannabis auf dem Schwarzmarkt besorgen. Die besonderen gesundheitlichen Risiken von auf dem Schwarzmarkt gehandelten Substanzen waren ja hier oft genug Thema; das müsste Ihnen also noch geläufig sein.

Und auch Ihnen von der SPD kann ich den Vorwurf nicht ersparen, dass Sie sich mal wieder wegducken. Zwar werden Sie sich bei der Abstimmung enthalten. Allerdings halte ich das für wenig glaubwürdig, wenn Sie uns vorwerfen, wir wollten uns mit unserem Vorschlag eine Hintertür zur Legalisierung des Eigenanbaus offenhalten. Ihr Vorwurf belegt sehr gut, dass es hier nicht um Patienten, sondern vor allem um eine prohibitive drogenpolitische Ideologie geht. Sie machen die Betroffenen zu reinen Objekten dieser Ideologie.

Insofern muss ich meine Aufforderung von 2008 auch für die jetzige Bundesregierung und die SPD aufrechterhalten: Kommen Sie endlich raus aus Ihrem weltfremden, drogenpolitischen Elfenbeinturm und helfen Sie den Patientinnen und Patienten!

Presseschau: Arbeitsgericht - Cannabis-Streit endet ohne Urteil (HR-Online)

HR-Online berichtete über ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht Kassel. Ein Patient, der eine Erlaubnis zur Verwendung von Cannabis für medizinische Zwecke durch die Bundesopiumstelle besitzt, verlor seinen Arbeitsplatz, da sein Arbeitgeber der Auffassung war, dass er nun den Straßenverkehr gefährde, wenn er im Rahmen seiner Tätigkeit mit dem Fahrzeug unterwegs ist.

Arbeitsgericht - Cannabis-Streit endet ohne Urteil

Presseschau: Ein Herz für Cannabis (Berliner Zeitung)

Die Berliner Zeitung berichtete über die Probleme, die damit verbunden sind, wenn bei Neuzulassungen von Medikamenten, wie den Cannabisextrakt Sativex, Behörden über den Preis entscheiden.

Ein Herz für Cannabis